Das Argument - Berliner Institut für kritische Theorie eV
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Geschichte 745<br />
tierte aus dem ökonomischen Interesse, den Staat — Diplomatie und<br />
Militär — für solche Ziele wie koloniale Extraprofite, internationale<br />
Arbeitsteilung, lukrative Rohstoffversorgimg etc. zu instrumentalisieren.<br />
Frank Niess (Heidelberg)<br />
Kühnl, Reinhard (Hrsg.): Geschichte und Ideologie. Kritische<br />
Analyse bundesdeutscher Geschichtsbücher. Rowohlt Taschenbuch<br />
Verlag, Reinbek 1973 (350 S., br., 5,80 DM).<br />
Die von Kühnl und einer Gruppe Marburger Studenten erstellte<br />
Repräsentativuntersuchung bietet breites Anschauungsmaterial für<br />
ihre These, daß der Geschichtsunterricht in den Schulen der BRD als<br />
ein entscheidender Vermittler bürgerlicher Ideologie fungiert. Mittels<br />
des historischen Stoffes erhalten vornehmlich die zukünftigen Produzenten<br />
in den für sie bestimmten Bildungseinrichtungen (Grund-,<br />
Haupt- und Berufsschulen) ein Orientierungsschema, das ihre politischen<br />
Denk- und Verhaltensformen in den Konflikten der Gegenwart<br />
maßgeblich in einem konservativen Sinne beeinflußt (9).<br />
Allgegenwärtig ist das Bemühen der meisten Geschichtsschulbuchautoren,<br />
den Kapitalismus zur ewig-menschlichen, naturgegebenen<br />
<strong>Das</strong>einsweise zu verklären und ihn damit jeglichem <strong>kritische</strong>n Zugriff<br />
zu entziehen. In den Unterrichtsmaterialien sind diverse Denkmuster<br />
und methodische Varianten vorherrschend; der Personalisierungsansatz,<br />
d. h. Geschichte als einsamen Kampf großer Männer zu interpretieren,<br />
behauptet auch weiterhin eine führende Stellung. Vielfach<br />
schrumpft die Historie zur reinen Ideengeschichte,wobei ökonomische<br />
und soziale Faktoren nicht einmal entfernt ins Blickfeld geraten.<br />
Gleichermaßen greifen die Schulbuchautoren auch sehr gern zur<br />
Anthropologisierung und Ontologisierung, die von der Annahme<br />
einer dem Geschichtsverlauf zugrunde liegenden unveränderlichen<br />
Menschennatur bzw. bestimmter Konstanten jedweder Gesellschaftsstruktur<br />
ausgehen. (183) Weiterhin kennzeichnend für die Darstellung<br />
historischer Prozesse in fast allen Schulbüchern ist die Dichotomie<br />
von Elite und Masse, wobei sich die unverhüllte oder latente Verachtung<br />
des Volkes und aller demokratischen Prinzipien mit einer<br />
manchmal geradezu grotesken Überschätzung der Philosophen, Literaten<br />
oder politischen Führerpersönlichkeiten paart.<br />
Die gegenwärtige politisch-ideologische Funktion der westdeutschen<br />
Geschichtsbücher wird aber besonders dadurch erhellt — so die<br />
Marburger Studiengruppe —, daß bei der Behandlung zurückliegender<br />
Perioden häufig immerhin noch das Bemühen um eine den realen<br />
Prozessen adäquate Interpretation erkennbar ist, im Gegensatz dazu<br />
die Darstellung der geschichtlichen Entwicklung spätestens seit der<br />
russischen Oktoberrevolution die Klassengebundenheit der Autoren<br />
ganz manifest zeigt. Die Fülle von Verzerrungen, Unterschlagungen<br />
und offener Verfälschungen wichtiger Fakten etwa über die marxistische<br />
Arbeiterbewegung und die sozialistischen Staaten lassen sich<br />
DAS ARGUMENT fo/1975 ©