Das Argument - Berliner Institut für kritische Theorie eV
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Besprechungen<br />
Philosophie<br />
Lange, Friedrich Albert: Geschichte des Materialismus<br />
und Kritik seiner Bedeutung für die Gegenwart.<br />
Herausgegeben und eingeleitet von Alfred Schmidt.<br />
Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft, Frankfurt/M. 1974 (Band 1<br />
und 2, 1010 S., br., 28,— DM).<br />
Dieses Werk (erste Auflage 1866), den Großvätern ans Herz gewachsen,<br />
den Heutigen zugänglich gemacht zu haben, ist ein Verdienst.<br />
Der Verlag erinnert an Rosa Luxemburgs Brief an Sonja<br />
Liebknecht: „Ich habe wieder zu Langes .Geschichte des Materialismus'<br />
gegriffen, die mich stets anregt und erfrischt. Ich möchte so<br />
sehr, daß Sie sie mal lesen." Der Vor-Marxist, dem das <strong>kritische</strong><br />
Instrumentarium des dialektischen Materialismus noch fehlte, fand<br />
hier, abweichend von der Katheder-Philosophie mit ihrer esoterischen<br />
Sprache, eine gelehrte aber engagierte Geschichte des materialistischen<br />
Denkansatzes von der Antike bis zur Gegenwart. Langes<br />
„Geschichte des Materialismus" ist nicht Geschichte um der Geschichte<br />
willen, sondern Geschichte als Anleitung zum richtigen<br />
Verhalten im Bereich des Denkens. Die didaktisch-aufklärende Tendenz<br />
ist dem Material nicht aufgeklebt, vielmehr der Darstellung<br />
immanent. Polemisch gegen den Vulgärmaterialismus, ist Langes<br />
Werk apologetisch in Bezug auf einen naturwissenschaftlich orientierten,<br />
spekulationsfeindlidien Realismus. Die schulphilosophische<br />
Grundlage ist Kants Kritizismus. Kant markiert die Grenze zwischen<br />
den beiden Geschichtsbänden. Vor und nach Kant — das ist bereits<br />
ein Programm. Treffend bemerkt Alfred Schmidt in seiner Einleitung:<br />
„Der Apriorismus, die Lehre vom Transzedentalen, wird bei<br />
ihm selbst zu einem Stück, wenn man will, materialistischer Naturphilosophie."<br />
Freilich fehlt dem Philosophen in der Antinomie von<br />
Sein und Erscheinung die dialektische Klammer. Als Marxschüler<br />
verfolgt man mit umso größerer Sympathie Langes Bemühen um<br />
eine Lösung, als er, ohne materialistische Geschichtsphilosophie, auf<br />
der richtigen Seite steht. „Wir legen den Griffel der Kritik aus der<br />
Hand", schließt der Historiker des Materialismus sein monumentales<br />
Werk, „in einem Augenblick, in welchem die soziale Frage Europa<br />
bewegt: eine Frage, auf deren weitem Gebiete alle revolutionären<br />
Elemente der Wissenschaft, der Religion und der Politik ihren<br />
Kampfplatz für eine große Entscheidungsschlacht gefunden zu haben<br />
scheinen. Sei es, daß diese Schlacht ein unblutiger Kampf der Geister<br />
DAS ARGUMENT 92/1975 ©