Das Argument - Berliner Institut für kritische Theorie eV
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638 Rolf Zimmermann<br />
So wichtig bereits dieser erste Satz ist, so zweideutig ist er vom<br />
Text her. Soll er sagen, daß „der Gegenstand, die Wirklichkeit, Sinnlichkeit"<br />
im Gegensatz zum bisherigen Materialismus nicht „unter<br />
der Form des Objekts oder der Anschauung", sondern unter der<br />
Form von sinnlich-menschlicher Tätigkeit, Praxis und so „subjektiv"<br />
gefaßt werden soll, oder ist diese Gegenüberstellung so zu lesen,<br />
daß von nun an „der Gegenstand, die Wirklichkeit, Sinnlichkeit"<br />
verstanden werden soll im Sinn von sinnlich-menschlicher<br />
Tätigkeit, Praxis, wie die 5. These gleichfalls nahezulegen scheint 6 ?<br />
Oder ist beides der Fall, und wie verhalten sich dann die beiden<br />
Aspekte zueinander?<br />
Aus dem Paralleltext der „Deutschen Ideologie" geht hervor, daß<br />
beide Aspekte zu berücksichtigen sind. Als Erläuterung von Praxis<br />
im Sinne der Formgebung von Wirklichkeit kann die Passage dienen:<br />
„So sehr ist diese Tätigkeit, dieses fortwährende sinnliche Arbeiten<br />
und Schaffen, diese Produktion die Grundlage der ganzen<br />
sinnlichen Welt..." »<br />
Als Erläuterung der als Praxis gefaßten Wirklichkeit steht die<br />
Wendung:<br />
„... die sinnliche Welt als die gesamte lebendige sinnliche Tätigkeit<br />
der sie ausmachenden Individuen aufzufassen..." 8<br />
Beide Aussagen sind gegen Feuerbach gewendet, an dem kritisiert<br />
wird, daß bei ihm weder der Begriff der sinnlich-menschlichen<br />
Tätigkeit im Verhältnis Mensch-Natur, noch im Verhältnis Mensch-<br />
Mensch eine systematische Rolle spielt 9 .<br />
Die erste Richtung der Kritik ist ausgeführt im weiteren Text der<br />
1. These und erläutert Marx' eigene Position:<br />
„Feuerbach will sinnliche — von den Gedankenobjekten wirklich<br />
unterschiedene Objekte: aber er faßt die menschliche Tätigkeit<br />
selbst nicht als gegenständliche Tätigkeit. Er betrachtet daher<br />
im ,Wesen des Christentums' nur das theoretische Verhalten als<br />
das echt menschliche, während die Praxis nur in ihrer schmutzig<br />
jüdischen Erscheinungsform gefaßt und fixiert wird."<br />
Feuerbach will die erkenntnistheoretische Unterscheidung zwischen<br />
der Subjektivität und der von ihr unabhängig gegebenen<br />
Objektwelt dadurch erreichen, daß er auf die sinnliche Anschauung<br />
6 Vgl. ebda, S. 6: „Feuerbach, mit dem abstrakten Denken nicht zufrieden,<br />
will die Anschauung; aber er faßt die Sinnlichkeit nicht als<br />
praktische menschlich-sinnliche Tätigkeit."<br />
7 MEW 3, S. 44.<br />
8 Ebd., S. 45.<br />
9 Der Unterscheidung dieser Aspekte entspricht auch die (im Manuskript<br />
gestrichene) Anmerkung: „Bisher haben wir hauptsächlich nur<br />
die eine Seite der menschlichen Tätigkeit, die Bearbeitung der Natur<br />
durch die Menschen betrachtet. Die andere Seite, die Bearbeitung der<br />
Menschen durch die Menschen...", ebd., S. 36.<br />
DAS ARGUMENT 92/1975 ©