Das Argument - Berliner Institut für kritische Theorie eV
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Praxisbegriff und Abbildtheorie 637<br />
sie nicht möglich ist, werde ich zwar auch erläutern, doch wäre für<br />
den vorliegenden Diskussionskontext die argumentative Überzeugung<br />
zugunsten der schwächeren These, daß sie nicht nötig ist, bereits<br />
Erfolg genug. Daher soll im Anschluß an die Interpretation<br />
des Marxschen Ansatzes gezeigt werden, wie der Abbildbegriff<br />
zu eliminieren ist, ohne daß damit irgend etwas an sachlicher Substanz<br />
verlorengeht.<br />
Ich muß vorausschicken, daß auf den wenigen Seiten hier nur die<br />
Grundzüge einer Interpretation gegeben werden. Zur Verdeutlichung<br />
an Alternativen befasse ich mich abschließend kurz mit früheren<br />
Beiträgen von W. F. Haug und F. Tomberg und mit dem polemischen<br />
Beitrag von J. Meyer-Ingwersen 3 .<br />
I.<br />
Zunächst ist festzuhalten, daß von „Praxis" in den Feuerbach-<br />
Thesen (und auch sonst) in verschiedenem Sinn die Rede ist. Die<br />
1. These bestimmt Praxis als „sinnlich menschliche Tätigkeit", die<br />
3. These entwickelt den Begriff der „revolutionären Praxis" 4 , und<br />
in der 8. These wird durch den allgemeinen Begriff der „menschlichen<br />
Praxis" angegeben, worauf die gesellschaftlichen Lebensäußerungen,<br />
insbesondere die mystifizierend theoretischen, jeweils<br />
zurückzubeziehen sind 5 . Dies zu konstatieren genügt, um die Frage<br />
nach der erkenntnistheoretischen Funktion des Praxis-Begriffs, die<br />
vor allem an die erste Bedeutung anzuknüpfen ist, als eine unter<br />
anderen einzuordnen. Außerdem sollte klar sein, daß es Marx nicht<br />
darum geht, den Historischen Materialismus erkenntnistheoretisch<br />
abzuleiten. Worum es sich handelt, ist, die eigene Position als eine<br />
von dem Ausgangspunkt der bisherigen theoretischen Philosophie<br />
radikal verschiedene zu kennzeichnen. Erst so kann auch die Frage<br />
entstehen, was „Erkenntnistheorie" bei Marx noch heißen kann<br />
und in welcher Weise erkenntnistheoretische Konzeptionen der Tradition,<br />
wenn überhaupt, für eine marxistische <strong>Theorie</strong> aufzunehmen<br />
sind.<br />
Zur Interpretation im einzelnen ist bei der ersten These anzusetzen:<br />
„Der Hauptmangel alles bisherigen Materialismus (den Feuerbachschen<br />
mit eingerechnet) ist, daß der Gegenstand, die Wirklichkeit,<br />
Sinnlichkeit nur unter der Form des Objekts oder der Anschauung<br />
gefaßt wird; nicht aber als sinnlich menschliche Tätigkeit,<br />
Praxis, nidit subjektiv."<br />
3 Vgl. die Angaben in Anm. 31, 34, 39.<br />
4 Vgl. MEW 3, S. 6: „<strong>Das</strong> Zusammenfallen des Änderns der Umstände<br />
und der menschlichen Tätigkeit oder Selbstveränderung kann nur als<br />
revolutionäre Praxis gefaßt und rationell verstanden werden."<br />
5 Vgl. ebda, S. 7: „Alles gesellschaftliche Leben ist wesentlich praktisch.<br />
Alle Mysterien, welche die <strong>Theorie</strong> zu Mystizismus veranlassen, finden<br />
ihre rationelle Lösimg in der menschlichen Praxis und in dem Begreifen<br />
dieser Praxis."<br />
DAS ARGUMENT 92/1975 ©