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Das Argument - Berliner Institut für kritische Theorie eV

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Sprach- und Literaturwissenschaft 717<br />

Uedings auf ein Minimum an stofflicher Basis aufgebaute Untersuchung<br />

(Lektüre eines „Kitsch"-Romans von Elise Polko und einiger<br />

„Kolportage"-Romane Karl Mays) muß fast zwangsläufig in Verbindung<br />

mit der von Bloch übernommenen Arbeitshypothese von der<br />

geheimen revolutionären Weisheit einer „Literatur der Enterbten"<br />

zu konfabulatorischer Hochstapelei führen. Zu einer fundierten Analyse<br />

der Massenliteratur trägt sie so gut wie nichts bei. Zwei für das<br />

19. Jahrhundert zweifellos relevante und auch oft behandelte Themen<br />

werben herausgegriffen. Überall dort aber, wo Ueding nicht<br />

umhin kann festzustellen, daß diese nicht nur die „niedere", sondern<br />

auch die etablierte Literatur mitprägen, flüchtet er sich in Komparative<br />

(Subliteratur artikuliere die Sehnsüchte der Massen „unverstellter"<br />

[50], „besonders deutlich" [37] oder „besonders augenfällig"<br />

[60]), in Rückgriffe auf gängige Gelegenheitsdefinitionen und Behauptungen<br />

(51, 60, 195; Hauptgewährsmann W. Killy); oder er läßt<br />

es bei offenen Widersprüchen bewenden. So gilt ihm für das Kitsch-<br />

Schöne einmal, daß sich in ihm ästhetisch das Prinzip der Warengesellschaft<br />

realisiert; Kitsch, bleibe an den „reinen Tauschwert" der<br />

„Gegenstände und Verhältnisse" „gefesselt" (61); und zum andern:<br />

das „humanistische Interesse, wie es aus Schillers ,Ästhetischen<br />

Schriften' spricht, liegt auch noch dem kitschigen Verschönerungswillen<br />

der massenhaft verbreiteten Literatur zugrunde"; Realität<br />

werde hier „nicht als fixe geronnene Gewordenheit" begriffen, sondern<br />

„als veränderbare Totalität im Prozeß, aus dem Schönheit sich<br />

noch nicht herausgewickelt hat, sich aber herauswickeln könnte"<br />

(65). Bedenklich ist auch die Art, in der Ueding seine Kolportagetheorie<br />

in die Expressionismus- und Erbedebatte von 1937/39 einzubringen<br />

versucht (180—187). Nicht der von Ueding zitierte Gedanke,<br />

„daß es keine Idee, kein Bedürfnis, keine Hoffnung gibt, die eine<br />

materialistische <strong>Theorie</strong> einfach liegenlassen könnte" (Reich), ist<br />

falsch, wohl aber die unreflektierte Usurpation eines Trivialterrains,<br />

in dem die „Gedanken der Herrschenden" angeblich von vornherein<br />

nicht zum Tragen kommen (185). Wenn eine solche illusionistisch<br />

eingeschätzte Form von anarchischem, ebenso und vielleicht sogar<br />

noch eher faschistoidem Outlaw-Kult dann gegen die sog. etablierte<br />

Literatur ausgespielt wird, dann beginnt Uedings Bedenken- und<br />

<strong>Theorie</strong>losigkeit vollends suspekt zu werden. Bloch hatte in Karl<br />

May immerhin noch den „verwirrten Proleten" gesehen. Uedings<br />

chaotische, pauschal antibürgerliche Revolutionsvorstellung hat sich<br />

dagegen trotz aller Rückversicherungen und Belesenheitsdokumentationen<br />

zu einem windigen Stück irrationalistischer Germanistik<br />

ausgewachsen.<br />

Uedings durchaus akzeptables Programm, „revolutionäre Inhalte<br />

nicht nur theoretisch grundlegend zu erfassen, sondern sie aus den —<br />

wie vage und schief — artikulierten Bedürfnissen der Massen selber<br />

zu entwickeln" (187), scheitert so schon im Ansatz und natürlich<br />

nicht zuletzt an seiner fast unbegreiflich simplen Gleichsetzung von<br />

„aushäusig" = „revolutionär". Wort- und bilderreich, unter Bemü-<br />

DAS ARGUMENT 92/1975 ©,

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