Das Argument - Berliner Institut für kritische Theorie eV
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Wider den bloß verbalen Materialismus 675<br />
hang ist viel behandelt worden unter dem Begriff des Fetischcharakters<br />
der Ware. Ihn zu behandeln ist zum Steckenpferd für<br />
enttäuschte Idealisten geworden, die in der Form eines „totalen Verblendungszusammenhangs"<br />
hier unbewußt eine Möglichkeit finden,<br />
sich weiterhin allein mit dem Bewußtsein, wenn auch mit dem falschen,<br />
zu beschäftigen. Sie verteidigen deshalb entschlossen seine<br />
Falschheit. Scheinbar ist diese total ideologie<strong>kritische</strong> Position ebenso<br />
total materialistisch und erlaubt es doch zugleich, die Rede von<br />
materieller Objektivität zu tabuisieren. Diese Position kann sich nur<br />
darlegen in einer Sprache, die alle entscheidenden Nahtstellen und<br />
Kriterien verschwimmen läßt. Ihr Grundfehler ist die Verabsolutierung<br />
einer Seite eines Widerspruchs. Es liegt doch wohl für jeden,<br />
der nicht vollkommen den Kontakt zur Realität verloren hat, auf der<br />
Hand, daß die Warenproduktion nicht nur Schein produziert, sondern<br />
den härtesten Kriterien von Rationalität — die sich letztlich in<br />
Beherrschung der äußeren und der eigenen Natur auflöst — unterworfen<br />
ist, die bis dahin in einer Gesellschaftsformation wirksam<br />
waren. Daher das stürmische Herausproduzieren von Wissenschaft<br />
und Technik in der kapitalistischen Gesellschaft. Auf der andern<br />
Seite ist es richtig, daß dieses historische Werk nur möglich war<br />
durch die inhumane Triebfeder, die seine Vollbringung nicht der<br />
menschlichen Freiheit anheimstelle, nicht der Einsicht in seine Notwendigkeit,<br />
sondern sie vermittelt durch Geldgier und Geldnot, durch<br />
eine wahre Hölle an ökonomischen Sanktionen, aus ihnen herauspreßte.<br />
Diese Form objektiver Verdinglichung wird auf eine Weise bewußt,<br />
die die ökonomischen, d. h. gesellschaftlichen Zusammenhänge<br />
der privaten Aktivitäten entsprechend dinglich, also „falsch" erscheinen<br />
läßt. — Die Verabsolutierung dieses von Marx als Moment herausgearbeiteten<br />
falschen Bewußtseins führt zu einem wahren Mystizismus<br />
mit historisch entmutigender und entwaffnender Auswirkung.<br />
<strong>Das</strong> Alltagsbewußtsein ist im Vergleich dazu wissenschaftlicher. —<br />
Soll es überhaupt eine historische Perspektive über den Kapitalismus<br />
hinaus geben, so nur wenn gelernt worden ist, nicht mit dem<br />
Kapitalverhältnis zugleich seine Früchte zu verwerfen.<br />
Im <strong>Argument</strong> 81 schrieb ich, „die Gebrauchsweisen der Dinge sind<br />
wirkende Eigenschaften, wie sie für einen menschlichen Zweck praktikabel<br />
sind" 49 , deren Nützlichkeit zwar erst entdeckt werden mußte, die<br />
aber durch die Entdeckung nicht begründet (konstituiert) wurden.<br />
Konstituiert wird dabei nur die Artikulation eines Wissens, nicht<br />
aber das Gewußte. Die Artikulation unterliegt dem Anspruch, die<br />
interessierenden wirkenden Eigenschaften des jeweiligen Gegenstands<br />
„richtig abzubilden" — wobei „abbilden" nicht im Sinne von<br />
„illustrieren" oder „kopieren" zu verstehen ist, sondern in dem<br />
Sinne, wie man in der Mathematik von Abbildung spricht. Die Artikulation<br />
muß also selber letztlich immer wieder objektiv begründet<br />
werden. Ich brachte ein Beispiel, das Marx in ähnlichem Zusam-<br />
49 Was soll..., S. 567.<br />
DAS ARGUMENT 92/1975 ©