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Das Argument - Berliner Institut für kritische Theorie eV

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Wider den bloß verbalen Materialismus 693<br />

Anti-Idealismus, den er gleichwohl mit Nachdruck betreibt, nicht<br />

allzu endgültig einrichten. Sonst bleibt er an sein Gegenteil gebunden.<br />

Nachdem der Materialismus durch die Dialektik aufs Niveau der<br />

wissenschaftlichen Weltanschauung gehoben ist, vor allem aber (und<br />

damit im Zusammenhang), seit er ein festes Fundament in Gestalt<br />

der Arbeiterklasse und ihrer sozialistischen Bewegung gefunden hat,<br />

seit er gar sozialistische Gesellschaften zur Basis gewonnen hat, muß<br />

er nicht mehr so durchweg als Negation seines Gegenteils auftreten.<br />

Mehr und mehr treten im allgemeinen Bewußtsein die idealistischen<br />

Flausen und Mystizismen aller Art als das in Wahrheit Besondere,<br />

ja Absonderliche auf, das dem Rechtfertigungszwang ausgesetzt gehört.<br />

Dann wird es „ungemein schwierig", die Objektivität der Welt<br />

zu leugnen, die „anzuerkennen" einfach selbstverständlich ist, so daß<br />

es absonderlich wäre, hier ein besonderes Anerkennungsproblem zu<br />

sehen. Wenn als das Besondere, Verrückte die Leugnung der Objektivität<br />

bewußt geworden ist, dann wird man auch spüren, daß in der<br />

Meinung, die Anerkennung der materiellen Einheit der Welt sei ein<br />

„unser individuelles Bewußtsein ungemein belastendes Problem", ein<br />

Rest mehr oder weniger angestrengt negierter Theologie steckt. Hier<br />

wird ein Verhältnis des Menschen zur Materie gedacht, dessen Freiheit<br />

zu ihrer Verleugnung, zum Abfall von derselben, vom religiösen<br />

Verhältnis zu „Gott" überkommen ist. Die Materialisten haben nicht<br />

an der Befreiung von der Gottesvorstellung und ihrer irdischen Basis<br />

gearbeitet, um unter dem Namen der Materie die alte religiöse<br />

Beziehung in neuer, wenn auch sehr verschämter Form weiterzuschleppen.<br />

10. Gesichtspunkt des Lebens — oder der Lebenskategorie?<br />

Die Irritation der Pro/da-Autoren tritt dort besonders hervor, wo<br />

der Name Lenin fällt. „Zu finden ist aber überall der Name Lenins",<br />

entrüsten sie sich über meinen Aufsatz, „und zwar so, als sei Lenin<br />

die große Leuchte am Himmel der dialektisch-materialistischen Erkenntnistheorie,<br />

an der sich jeder Marxist zu orientieren habe" 74 .<br />

Als „Beweis" dafür, daß ich Lenins Autorität anstelle von Beweisen<br />

bemühen würde, was sich jedem genauen Leser meines Aufsatzes als<br />

eine unzutreffende Unterstellung erweisen wird (aber sie rechnen<br />

wohl damit, daß nicht gelesen wird!), zitieren sie u. a. meine Formulierung<br />

vom „schönen Vorschlag Lenins, den Gesichtspunkt des Lebens,<br />

der Praxis, zum ersten und grundlegenden Gesichtspunkt der<br />

Erkenntnistheorie zu machen" 75 ohne Sinn für die objektive Ironie.<br />

Sie merken nicht, daß dieses Zitat ihrer Denunziationsabsicht widerspricht.<br />

In meinem Aufsatz heißt es, der Vorschlag, von der Praxis<br />

auszugehen, „mutet den ,Fachphilosophen' zu, sich aus ihrem Fach<br />

heraus und in die allgemeine Bewegung hineinzubegeben. Seine Befolgung<br />

fällt ihnen so schwer, weil er ihnen zumutet, so manches<br />

74 v. Greiff/Herkommer, aaO, S. 168.<br />

75 <strong>Argument</strong> 81, S. 570.<br />

DAS ARGUMENT 92/1975 ©

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