Das Argument - Berliner Institut für kritische Theorie eV
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Praxisbegriff und Abbildtheorie 647<br />
oben bestimmten Voraussetzungen und deren Stellenwert bei Marx<br />
den „Materialismus der alltäglichen Praxis" 88 im Verständnis der<br />
„Alltagserfahrung einer objektiv gegebenen Welt" 37 formuliert,<br />
ohne zu merken, daß er weder für diese Feststellung noch für den<br />
Erkenntnisbegriff (Erkenntnis subjektunabhängiger Realität) die<br />
„Widerspiegelung" braudit. Stattdessen lehnt er sich an die Autorität<br />
Lenin an und verordnet schlicht die Identität von Materialismus<br />
und Abbildtheorie 38 . Daß diese Identität unhaltbar ist, habe ich<br />
gezeigt.<br />
3. Sofern man angesichts der Polemik bei Meyer-Ingwersen 39 von<br />
einer <strong>Argument</strong>ation sprechen kann, reduziert sie sich auf einen<br />
Grundfehler, den ich hier zur Klarstellung meiner Interpretation<br />
aufzeige:<br />
Meyer-Ingwersen sieht nicht ein, daß das, was des Beweises nicht<br />
bedürftig ist, eben dadurch nicht theoretisch unsicher wird, sondern<br />
als fundamental zu gelten hat. Daher folgt aus dem Umstand,<br />
daß es nicht nötig ist, theoretische Gründe für die Existenz<br />
der Außenwelt anzuführen, nicht die theoretische Unsicherheit, wie<br />
sie für agnostizistische, skeptische oder subjektiv-idealistische Positionen<br />
kennzeichnend ist 40 , geschweige denn ein „Sich-Herumdrükken"<br />
um die sogenannte „Grundfrage der Philosophie" 41 . Was ich<br />
entwickelt habe, ist nur der Ausdruck dafür, daß mit Marx an der<br />
Faktizität des durch den Begriff der sinnlich-menschlichen Tätigkeit<br />
interpretierten praktischen Grundverhältnisses zur „Welt" festgehalten<br />
wird, und zwar gerade so, daß diese Faktizität zum Leitfaden<br />
der weiteren Untersuchung wird. Erkenntnistheoretische Alternativen<br />
werden nicht dadurch destruiert, daß man sich auf die<br />
„erkenntnistheoretische Einstellung" einläßt und diese Faktizität<br />
zu beweisen sucht, sondern dadurch, daß die Wurzel solcher Alternativen<br />
in dieser Faktizität aufgezeigt wird und sie damit auf diese<br />
zurückgeführt werden iS .<br />
36 Ebd., S. 619.<br />
37 Ebd., S. 625.<br />
38 Ebd., S. 626. Insofern ist Tomberg repräsentativ für den eklektischen<br />
Dogmatismus früherer Beiträge von R. Albrecht („Die Kritik von<br />
Korsch und Pannekoek an Lenins .Materialismus und Empiriokritizismus'",<br />
in: <strong>Das</strong> <strong>Argument</strong> 74 (1972)), Th. Metscher („Ästhetik als Abbildtheorie",<br />
in: <strong>Das</strong> <strong>Argument</strong> 77 (1972)) und H. J. Sandkühler („Zur Begründung<br />
einer materialistischen Hermeneutik durch die materialistische<br />
Dialektik", in: <strong>Das</strong> <strong>Argument</strong> 77 (1972)).<br />
39 J. Meyer-Ingwersen, „Mit Marx und Sprache gegen den Materialismus?",<br />
in: <strong>Das</strong> <strong>Argument</strong> 85 (1974), S. 202—219.<br />
40 Vgl. ebd., S. 211.<br />
41 Vgl. ebd., S. 204 und 210. Im übrigen ist es eine maßlose, historisch<br />
falsche Übertreibung, hier von der „Grundfrage der Philosophie" zu reden.<br />
Engels hatte wenigstens noch die Bescheidenheit, sie auf die Neuzeit<br />
einzuschränken.<br />
42 Damit ergibt sich auch gegenüber der Tradition eine interessante<br />
Perspektive. So etwa die Frage, ob Kants Begriff der „Synthesis" nicht<br />
eine mystifizierte Form der „sinnlich-menschlichen Tätigkeit" ist.<br />
DAS ARGUMENT 82/1975 ©