Das Argument - Berliner Institut für kritische Theorie eV
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Soziale Bewegung und Politik 753<br />
Die theoretische Einheit dieser Sammlung, die durch Sweezys Artikel<br />
hergestellt werden soll, enthält jedoch einige schwerwiegende<br />
Mißverständnisse über die Situation in Chile. Nach Sweezy „bestätigt<br />
die chilenische Tragödie, was seit langem klar sein sollte und für viele<br />
auch klar war, daß es nämlich einen friedlichen Weg zum Sozialismus<br />
nicht gibt" (11). Sweezys theoretische Gewißheit rührt von seinem<br />
Glauben, es sei eine offensichtliche Wahrheit, daß keine herrschende<br />
Klasse jemals ihre Privilegien aufgeben wird, ohne zu Kampfmethoden<br />
zu greifen, die in einem bestimmten Stadium unweigerlich die<br />
Form einer bewaffneten Konfrontation annehmen müssen. Da für<br />
Sweezy dieses bestimmte Stadium mit dem Wahlsieg der Linken 1970<br />
erreicht war, scheiterte Allende, weil er nicht „die bewaffnete Konfrontation<br />
vorbereitete, die schließlich und unvermeidlich am 11. September<br />
1973 kam" (12). Zwar werden nur wenige Sweezys Ausführungen<br />
über das Verhalten einer bedrohten herrschenden Klasse bezweifeln,<br />
aber eine genauere Analyse seiner <strong>Argument</strong>ation deckt<br />
auf, daß er mehr daran interessiert ist, die Gültigkeit historischer Gesetze<br />
der Revolution zu bestätigen als daran, die chilenische Geschichte<br />
zu verstehen.<br />
Nach Sweezy muß Allendes Fehlschlag darauf zurückgeführt werden,<br />
daß er nicht gewillt war, sich der Machtfrage zu stellen. Er<br />
schlägt vor, Allende hätte gleich nach der Amtsübernahme versuchen<br />
sollen, Kontrolle über die politischen Bereiche des Staates zu gewinnen,<br />
die sich in Händen der Opposition befanden. Nach Sweezys Ansicht<br />
bestand diese Möglichkeit während der ersten Stadien von Allendes<br />
Amtszeit. Zu jener Zeit hätte Allende ein Plebiszit verlangen<br />
sollen, das ihm erlaubt hätte, die Verfassung zu reformieren und damit<br />
vollständige Kontrolle über die Bereiche der Jurisdiktion und<br />
Legislative zu erlangen. Aber sogar diese vollständige Kontrolle der<br />
politischen Bereiche des Staatsapparates hätte nach Sweezy nicht den<br />
Erfolg von Allendes friedlichem Weg gewährleistet. Im Gegenteil,<br />
bedroht von der politischen Niederlage, hätte sich die Bourgeoisie<br />
unweigerlich der Armee zugewandt. Wäre die Linke aus dieser Konfrontation<br />
siegreich hervorgegangen, so wäre die Machtfrage gelöst<br />
worden und der Übergang zum Sozialismus hätte beginnen können.<br />
Der von Sweezy vorgeschlagene Weg basiert auf seiner Einschätzung<br />
der ersten sechs Monate der Regierungszeit Allendes. Nach seiner<br />
Ansicht habe der anfängliche Erfolg der ökonomischen Politik<br />
Allendes, der sich in der Unterstützung durch 49,7 % der Stimmen<br />
für die Linke in den Gemeinde-Wahlen von 1971 widerspiegelt, der<br />
Regierung die „goldene Möglichkeit" (17) gegeben, ein Plebiszit zu<br />
verlangen. Aber Allende habe das klare Mandat dieser Wahlen mißdeutet<br />
und nicht nach dem Plebiszit verlangt, sondern stattdessen<br />
fälschlicherweise beschlossen, auf eine ökonomische Politik zu bauen,<br />
die im wesentlichen kurzfristig gewesen sei. Ferner argumentiert<br />
Sweezy, Allende sei nicht gewillt gewesen, den Konsequenzen einer<br />
gewaltsamen Konfrontation entgegenzusehen, weil er dem Mythos<br />
der Demokratie aufgesessen sei und weil in der Unidad Popular viele<br />
DAS ARGUMENT 92/1975 ©