Das Argument - Berliner Institut für kritische Theorie eV
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658 Wolfgang Fritz Haug<br />
lieh, im Gesamtzusammenhang der Wissenschaft, haben diese Abstraktionen<br />
keinerlei selbständigen Wert. Nötig ist ein Bewußtsein<br />
dieses ihres erkenntnislogischen Status, das ihren Gebrauch begleitet.<br />
Philosophie entspringt also der transitorisch notwendigen, gegen<br />
die Religion fortschrittlichen Begeisterung für die menschliche Vernunft,<br />
die sich anschickt, aus sich heraus die Welt zu konstruieren,<br />
sie also vernünftig zu konstruieren, die Widersprüche theoretisch<br />
aufzulösen. „Sobald wir einmal eingesehn haben..., daß die so<br />
gestellte Aufgabe der Philosophie weiter nichts heißt als die Aufgabe,<br />
daß ein einzelner Philosoph das leisten soll, was nur die gesamte<br />
Menschheit in ihrer fortschreitenden Entwicklung leisten kann<br />
— sobald wir das einsehn, ist es auch am Ende mit der ganzen Philosophie<br />
im bisherigen Sinn des Worts. Man läßt die auf diesem Weg<br />
und für jeden einzelnen unerreichbare .absolute Wahrheit' laufen<br />
und jagt dafür den erreichbaren relativen Wahrheiten nach auf dem<br />
Weg der positiven Wissenschaften und der Zusammenfassung ihrer<br />
Resultate vermittelst des dialektischen Denkens. Mit Hegel schließt<br />
die Philosophie überhaupt ab ..." 18 Die dialektische Zusammenfassung<br />
der Wissenschaftsresultate bekommt eine Bedeutung, die ganz<br />
anders ist als die eines Leitfadens für die Forschung. Es sei denn, wir<br />
fassen sie in einem andern Sinn als Leitfaden auf, als den Ariadnefaden,<br />
der im Labyrinth den Weg finden hilft, so wie Engels an<br />
Hegel rühmt, daß er uns, „wenn auch unbewußt, den Weg zeigt aus<br />
diesem Labyrinth der Systeme zur wirklichen positiven Erkenntnis<br />
der Welt" 19 . Jene Zusammenfassung mit orientierendem Charakter<br />
wird von Engels als Weltanschauung bezeichnet.<br />
3. Leists Szientismus-Vorwurf und die Notwendigkeit einer wissenschaftlichen<br />
Weltanschauung<br />
Wenn Wissenschaftler Wissenschaftlern „Szientismus" vorwerfen,<br />
dann kann dies entgegengesetzte Bedeutung annehmen, die vom Vorwurf<br />
einer borniert-arbeitsteilig verstümmelten Wissenschaftlichkeit<br />
bis zu dem einer Ausdehnung des wissenschaftlichen Standpunkts<br />
auf die Beziehung zur ganzen Welt reichen. Leist richtet den Vorwurf<br />
des Szientismus an Engels und Lenin 20 . Zunächst spricht er von<br />
„der szientifischen Einstellung Engels' und Lenins, wenn sie die<br />
Naturwissenschaften selber als materialistische Potentiale betrachten.<br />
Engels sieht den dialektischen Materialismus auf den neuzeitlichen<br />
Naturwissenschaften gegründet, materialistische Naturanschauung<br />
heißt für ihn .weiter nichts als einfache Auffassung der<br />
Natur so, wie sie sich gibt, ohne fremde Zutat', Naturwissenschaftler<br />
seien bereits qua Naturforscher .unerbittliche Materialisten'...<br />
18 Engels, Ludwig Feuerbach..., MEW 21, S. 270.<br />
19 Ebda.<br />
20 A. Leist, Widerspiegelung der Realität — Realität der Widerspiegelung?<br />
in: <strong>Argument</strong> 81, S. 578 f.<br />
DAS ARGUMENT 92/1975 ©