Wiedergänger in der skandinavischen Literatur

Eine andere Erklärung warum die Menschen an die Existenz von Wiedergängern glaubten,
war das nicht allzu seltene Phänomen des Scheintodes. Beim Scheintod handelt es sich um
einen Zustand in dem das Leben erloschen zu sein scheint, aber noch Gehirnaktivität besteht.
Alle körperlichen Anzeichen des Lebens wie Atmung und Herztätigkeit können beim
Scheintod bis auf ein kaum erkennbares Minimum herabsinken. Wenn ein Mensch nicht mehr
bei Bewusstsein ist, seine Reflexe nicht mehr funktionieren, sich der Brustkorb nicht mehr
hebt und senkt und Herztöne nicht mehr wahrnehmbar sind, liegt ohne geeignetes modernes
medizinisches Gerät die Vermutung nahe, dass diese Person verstorben sei. Verschiedenste
medizinische Auslöser können zu diesem Zustand führen, wie Vergiftungen, Cholera, starke
Blutungen, Gehirnerschütterungen, kataleptische Anfälle 75 , tiefe Erschöpfungszustände oder
nach Abschneidung der Sauerstoffzufuhr, wie es beim Ertrinken der Fall ist. Dieser Zustand
kann sich über Stunden, oder in seltenen Fällen, über Tage hinziehen. 76 Einige erwachten
noch während ihrer Totenwache, andere hatten weniger Glück und wurden bei lebendigem
Leib beerdigt und starben dann einen qualvollen Tod durch Ersticken, Verdursten und
Verhungern, wenn sie sich nicht bemerkbar machen oder selbst befreien konnten. Einige
erwachten auf dem Weg zum Friedhof im Sarg und versetzten die Trauernden in Schock,
wenn sie gegen den Sargdeckel klopften. Andere hatten Glück im Unglück und wurden Opfer
von Grabräubern, die es auf den Schmuck abgesehen hatten, den man ihnen angelegt hatte. Zu
diesem Zweck musste der Sarg geöffnet werden und die sich darin noch lebende Person war
gerettet. Die Unglücklichen, die nicht entdeckt wurden, kamen erst als Scheintodfall zum
Vorschein, wenn das Grab wieder geöffnet wurde, um einen weiteren Verwandten zu
bestatten. 77 Wenn seltsam verkrümmte Leichen mit einem verzerrten Gesichtsausdruck, der
auf einen buchstäblichen Todeskampf hindeutete, gefunden wurden, hat das die Gerüchte über
Wiedergänger und Vampire nur noch weiter angeheizt.
In Europa erfuhr die Angst vor dem Scheintod mit dem Aufkommen der Romantik
gewissermaßen eine Renaissance. Zahlreiche Erfindungen wurden gemacht, mit deren Hilfe
sich der scheintote Mensch aus dem Sarg heraus melden und die Sauerstoffzufuhr weiterhin
gewährleistet werden konnte. Immanuel Nobel, Vater des Dynamiterfinders Alfred Nobel,
entwickelte einen mit Belüftung und Alarmvorrichtung ausgestatteten Sicherheitssarg. Diese
Erfindung wurde von anderen kopiert und verbessert. 78
75 Starrsucht
76 Borrmann: Vampirismus oder die Sehnsucht nach Unsterblichkeit, S. 97f
77 Jones: Die letzte Reise, S. 82
78 Schäfer: Scheintot, S. 77
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