Download als PDF - Raphael Draschtak
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International hatten sich die bosnischen Serben wie die Führung Rest-Jugoslawiens<br />
in Belgrad durch ihr offensives militärisches Vorgehen und skizzierte Gewaltexzesse<br />
einiger Einheiten bald noch stärker isoliert, wenngleich vor allem die Europäer was<br />
die Beurteilung der Lage betraf, aus plausiblen Gründen zurückhaltend agierten. Als<br />
extremste Ausprägungsform des Selbstbestimmungsrecht war nämlich das in<br />
Bosnien doppelt strapazierte Sezessionsrecht unter Völkerrechtsexperten und<br />
Politikern anläßlich des Bosnienkrieges wieder heftig umstritten. Vor allem in Hinblick<br />
auf eigene Minoritätenprobleme - Basken, Nordirland, Südtirol etc. - erkannten die<br />
europäischen Staaten die stabilitätsgefährdende Wirkung einer „Balkanisierung” und<br />
hatten dementsprechend vorsichtig vorzugehen. 270<br />
Gleichzeitig war der Westen nicht zuletzt wegen der Erfahrungen der Deutschen<br />
Wehrmacht auf dem Balkan im Zweiten Weltkrieg, der Unübersichtlichkeit der<br />
Situation und der Unwegsamkeit des Geländes sowie innenpolitischer Überlegungen<br />
(Präsidentenwahlkampf in den USA) nicht bereit, militärisch in den Balkankrieg<br />
einzugreifen. Eine Militäroperation hätte enormen Aufwand an Truppen und Material<br />
verursacht und wäre aufgrund des zu erwartenden serbischen Widerstandes<br />
vermutlich verlustreich gewesen. „Nach Angaben des US-Gener<strong>als</strong> McCaffrey, eines<br />
Mitarbeiters von Gener<strong>als</strong>tabschef Colin Powell, vor dem Streitkräfteausschuß des<br />
US-Senats, ist für eine ‘Operation Balkansturm’ ein Heer von 400.000 Soldaten<br />
erforderlich (1992, Anm.). Die Einsatzdauer ist auf ein Jahr zu veranschlagen. Nach<br />
Schätzungen des kanadischen Gener<strong>als</strong> Lewis MacKenzie, dem vormaligen Chef<br />
der UN-Friedenstruppen in Sarajevo, würde eine effektive Militäraktion sogar bis zu<br />
einer Million Soldaten erfordern.” 271<br />
Dennoch wurde auch von anderer Seite beträchlicher militärischer Aufwand<br />
veranschlagt: „Um zum Beispiel Sarajevo zu befrieden, wären nach Ansicht des<br />
früheren IISS-Direktors Francois Heisbourg mindestens zwei Kampfdivisionen<br />
erforderlich: ‘Das Unternehmen wäre mit einem hohen Risiko belastet. Mit<br />
beträchtlichen Verlusten wäre zu rechnen.” 272 Gleichzeitig muß betont werden, daß<br />
das Argument der vermutlich hohen Verluste von den Interventionsgegnern häufig<br />
bewußt übertrieben und dadurch politisch instrumentalisiert wurde.<br />
Im Westen herrschte somit bald Konsens, zumindest vorerst kein militärisches<br />
Eingreifen in Jugoslawien zu riskieren. Vielmehr setzte man auf diplomatischen<br />
Druck und wirtschaftliche Sanktionen. Am 30. Mai verhängte die UN wegen der<br />
270 Holderbach, Der Krieg im ehemaligen Jugoslawien. S. 273<br />
271 Lutz, Interventionen - Krieg <strong>als</strong> Ultima ratio? S. 98<br />
272 Ebenda. S. 103<br />
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