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Wohnst du noch oder lebst du schon? - Arbeitswelt der Geographie

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2. Theoretischer Hintergrund 16<br />

Eine Nachbarschaft ist allerdings nicht per se ein soziales System, son<strong>der</strong>n nur, wenn es nicht<br />

ausschließlich <strong>du</strong>rch räumliche Nähe, son<strong>der</strong>n auch <strong>du</strong>rch soziale Interaktionen charakterisiert<br />

ist. (vgl. ESSER 2001: 1) Räumliche Nähe ist den<strong>noch</strong> eine Einflussgröße, die die Interaktionsoptionen<br />

– bei Vorhandensein indivi<strong>du</strong>eller Ressourcen wie Sprache und von Gemeinsamkeiten –<br />

positiv beeinflusst. (vgl. KEMPER 2007: 122; HAMM 2000: 174)<br />

Insbeson<strong>der</strong>e im näheren Wohnumfeld kommt es zu nachbarschaftlichen – und dabei auch interkulturellen<br />

– Interaktionen. 6 Die Gestaltung von Freiräumen, z.B. <strong>du</strong>rch die Anlage kommunikativer<br />

Orte, kann die Interaktionen positiv beeinflussen. (vgl. FARWICK 2007: 156)<br />

Die größte Bedeutung hat die Nachbarschaft bzw. <strong>der</strong> „Nahraum“ für „ältere Menschen, Kin<strong>der</strong>,<br />

Einkommensschwache wie auch für Migranten“ (Kemper 2007: 122), weil die Mobilität dieser<br />

Gruppen aus gesundheitlichen, ökonomischen <strong>o<strong>der</strong></strong> kulturellen Gründen häufig auf die nähere<br />

Wohnumgebung beschränkt ist. (vgl. ebd.: 122; HAMM 2000: 175)<br />

Seit den 1990er Jahren rückt das Thema Nachbarschaften wie<strong>der</strong> in den wissenschaftlichen Fokus<br />

7 (vgl. HAMM 1998 und ROHR-ZÄNKER 1998 nach SCHNUR 2003: 77), vor allem weil sich die<br />

Pluralisierung <strong>der</strong> Lebensstile verstärkt auch in räumlicher Fragmentierung nie<strong>der</strong>schlägt (vgl.<br />

Kapitel 2.3.1) und Lebensstile damit mit dem Wohnen und dem Wohnumfeld assoziiert werden.<br />

Die verschiedenen Bevölkerungsgruppen konstruieren damit auch den „Wert“ ihres Sozialraums<br />

(vgl. BEETZ 2007: 242 ff., Hervorhebung im Original) – damit entstehen nicht nur baulich son<strong>der</strong>n<br />

auch sozial auf- bzw. abge“wertete“ Nachbarschaften.<br />

Sozialräumlich existieren dabei Unterschiede in <strong>der</strong> Nachbarschaftlichkeit. So sind die nachbarschaftlichen<br />

Netzwerke in Mittelschichtgebieten häufig <strong>du</strong>rch Initiativen gekennzeichnet, in denen<br />

sich die Bewohner gemeinsam für eine Verbesserung <strong>der</strong> Wohnqualität einsetzen. In sozial benachteiligten<br />

Gebieten, in denen sich ökonomische Problemlagen und Konzentrationen ethnischer<br />

Min<strong>der</strong>heiten überlagern, entwickeln sich dagegen neue Qualitäten von Nachbarschaften.<br />

(vgl. BEETZ 2007: 242 ff.) Neben Potentialen können sich dabei auch Probleme ergeben. Potentiale<br />

sind z.B. die Bil<strong>du</strong>ng einer kollektiven Identität, weil sich hier „marginalisierte Indivi<strong>du</strong>en“ über<br />

die räumliche Nähe zusammenfinden und aufgrund homogener Lebenslagen eine gemeinsame<br />

Identität entwickeln können. Die kollektive Identität gilt als Voraussetzung, um selbstsicher in<br />

Dialoge treten zu können. Das Nachbarschaftsgefüge in benachteiligten Gebieten kann sich aber<br />

auch negativ entwickeln. Die Marginalisierung und verringerte Teilhabe am öffentlichen Leben<br />

kann sich negativ auf das Selbstwertgefühl auswirken und zur Vereinzelung und Frustration führen.<br />

(vgl. BÖHME/SCHULERI-HARTJE 2002: 3; vgl. Abbil<strong>du</strong>ng 1)<br />

6 In einer Untersuchung gaben 86% <strong>der</strong> befragten türkischstämmigen Teilnehmer an, soziale Kontakte in<br />

<strong>der</strong> näheren Wohnumgebung zu knüpfen. 68% <strong>der</strong> Teilnehmer nannten das Wohnquartier als „Ort“ für soziale<br />

Interaktion. Für 32% ist die restliche Stadt in Bezug auf soziale Kontakte relevant. (vgl. FARWICK 2007:<br />

156)<br />

7 Bereits in den 1970er Jahren fand das Thema Nachbarschaften wissenschaftliche Aufmerksamkeit im<br />

Rahmen <strong>der</strong> Schaffung demokratischer und partizipativer Strukturen in Stadtteilen, trat allerdings während<br />

<strong>der</strong> 1980er Jahre wie<strong>der</strong> in den Hintergrund. (vgl. HAMM 1973, 1998 und ROHR-ZÄNKER 1998 nach SCHNUR<br />

2003: 77)

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