228 SCHOCK- UND TRAUMAFORSCHUNG229VON DER FETTEMBOLIE ZUR PATHOPHYSIOLOGISCH BASIERTENSCHOCK- UND POLYTRAUMABEHANDLUNGUniv.-Prof. Dr. med. Ingo MarziDirektor der Klinik für Unfall-, Hand und WiederherstellungschirurgieUniversitätsklinikum der Johann-Wolfgang-Goethe-UniversitätTheodor-Stern-Kai 760590 Frankfurt am MainI. MarziH. C. PapeM. LehnertJ. A. SturmGrundsätzeDie Behandlung schwerverletzter Patienten stellt höchste Anforderungenan die ärztliche und medizinische Versorgung. Diese Behandlung erfordertgrundlegende Kenntnisse der Pathophysiologie von Verletzungen, dergesamten Notfallmedizin, des primären Traumamanagements inkl. derDiagnostik, der chirurgischen Intensivmedizin, der speziellen operativenChirurgie praktisch sämtlicher Verletzungen wie auch der rehabilitativenBehandlung. Gerade die Versorgung schwerverletzter Patienten unterBerücksichtigung aller dieser Aspekte stellt eine Besonderheit der <strong>Unfallchirurgie</strong>in Deutschland dar, die es sich zum Ziel gesetzt hat, polytraumatisiertePatienten vom Unfallort bis zur Rehabilitation auf hohem fachlichenNiveau zu begleiten.Univ.-Prof. Dr. med. Hans-Christoph Pape, FACSDirektor der Klinik für <strong>Unfallchirurgie</strong>Universitätsklinikum AachenPauwelsstraße 3052074 AachenPD Dr. med. Mark LehnertOberarzt der Klinik für Unfall-, Hand- und WiederherstellungschirurgieUniversitätsklinikum der Johann-Wolfgang-Goethe-UniversitätTheodor-Stern-Kai 760590 Frankfurt am MainIn verschiedenen Behandlungsstufen existieren selbstverständlich interdisziplinäreTherapieansätze. Dennoch ist es aus medizinischen und organisatorischenGründen sinnvoll, die Behandlung des polytraumatisiertenPatienten in einer Hand – der des Unfallchirurgen – zu koordinieren. Dieerheblichen Vorteile eines solchen Behandlungskonzeptes ergeben sich ausder Fürsorgepflicht für den verletzten Patienten, der nicht Schritt für Schrittweitergegeben werden muss, sondern dessen Behandler den gesamtenHeilungsverlauf mitgestaltet. Diese integrierte Behandlung des polytraumatisiertenPatienten hat zu einer erheblichen Änderung des gesamten Krankheitsverlaufeswie auch der Überlebensrate und der funktionellen Endzustände,der umfassenden Rehabilitationschancen insgesamt geführt, wieunschwer aus der positiven Entwicklung des Traumaregisters der DGU zuerkennen ist.Prof. Dr. med. Johannes A. SturmGeschäftsführer der AUC-Akademie der <strong>Unfallchirurgie</strong> GmbHLangenbeck-Virchow-HausLuisenstr. 58/5910117 BerlinHistorische Entwicklung der Trauma-und SchockforschungDie Entwicklung der Schock- und Traumaforschung hat in den letzten60 Jahren erhebliche Fortschritte in der Therapie polytraumatisierterPatienten erbracht. Diese Forschungsaktivitäten beeinflussen die Polytraumatherapiesowohl auf der Grundlagen-, <strong>als</strong> auch der Management- undDiagnostikebene sowie gleichermaßen auf der Behandlungsebene. Die
230 231SCHOCK- UND TRAUMAFORSCHUNGVON DER FETTEMBOLIE ZUR PATHOPHYSIOLOGISCH BASIERTEN SCHOCK- UND POLYTRAUMABEHANDLUNGAbb. 1 / Pathophysiologische Ursachen des posttraumatischen Organversagens und Phasen der posttraumatischenInfl ammationsreaktionen. Die gestörte Balance zwischen immunstimulierenden und antiinfl ammatorischen Mechanismenist wesentliche Ursache der posttraumatischen Zelldysfunktion und damit Wegbereiter des Organversagens.(aus Burchardi, Larsen et al. Die Intensivmedizin, Springer, 2007)Swan-Ganz-Katheter-Messung in Verbindung mit Lungenwasser-Bestimmunweiterunten besprochenen Teilaspekte der Schockforschung (Pathophysiologiedes Organversagens, Stufenkonzept der Polytraumaversorgung, Monitoringder posttraumatischen Inflammation etc.) waren bis in die 1950/60erJahre unbekannt. Es wurde ausschließlich nach klinischer Symptomatikvorgegangen, die einzige bekannte – und gefürchtete – Komplikation beiprimär überlebenden Patienten mit Frakturen war das Fettemboliesyndrom.Dieses wurde für verschiedene klinische Organfunktionsstörungen verantwortlichgemacht, z.B. Lungenversagen, Gerinnungsstörungen, Somnolenzund renale Dysfunktion. <strong>Das</strong> Fettemboliesyndrom <strong>als</strong> wesentliche Komplikationsteuerte die operative Behandlung dieser Patienten. Deswegen wurdenregelhaft Verletzte, die mehrere Frakturen erlitten hatten, keiner operativenVersorgung unterzogen, bis die Symptome des Fettemboliesyndroms abgeklungenwaren – eine erhebliche Zahl von ihnen verstarb, während sie auf dieoperative Frakturstabilisierung wartete.Die ubiquitär in post-mortem-Analysen nachgewiesenen Fettpartikel wurden<strong>als</strong> pathogenetisch bedeutsam und kausal für das Organversagen, an dem diePatienten nach ca. 1 Woche verstarben, angesehen. Aufgrund mangelnderBeurteilbarkeit des Volumenstatus war dies zunächst das Nierenversagen;eine mehrtägige oder sogar längerfristige Beatmung war zu diesemZeitpunkt technisch nicht möglich. Selbst bei der am meisten zitiertenStudie zur Bedeutung der operativen Frakturbehandlung waren noch mehrAbb. 2 / Änderung des Organversagens in Abhängigkeit von der Therapie über die letzten Jahrzehnte.(aus Tscherne H, Regel G; 1997)<strong>als</strong> die Hälfte der Mehrfachverletzten in nicht ventiliertem Zustand.Erst 1967 beschrieben Ashbaugh et al. das Lungenversagen <strong>als</strong> eigenständigeEntität. In den folgenden 2 ½ Dekaden galten der Bekämpfung desLungenversagens die wesentlichen Anstrengungen, da die Mortalitätzunächst weit über 50% betrug und das Vollbild des ARDS gleichsam einTodesurteil bedeutete. Obgleich sich technische Neuerungen der Beatmungentwickelten, hinkte das Verständnis der Pathogenese hinterher.Eine wesentliche klinische Fragestellung bestand in der Kausalität der Gasaustauschstörung.Die radiologisch nachweisbaren Verdichtungen, welche vorher<strong>als</strong> Fettembolie oder aber <strong>als</strong> Infektion fehlgedeutet worden waren, standenwesentlich im Mittelpunkt des Interesses. Die intrapulmonale Blockade,welche durch invasive Messungen nachweisbar wurde, konnte mit pulmonalarteriellenKathetern nachgewiesen werden. Anders <strong>als</strong> bei Pneumonie oderanderen Infiltraten wurde hierdurch eine rechts-cardiale Stauung bei guterlinksventrikulärer Funktion nachgewiesen. Diese galt in Verbindung mitdem Nachweis eines vermehrten interstitiellen Volumens <strong>als</strong> diagnostischrelevant für das ARDS. Es ist zu beachten, dass dam<strong>als</strong> ein radiologischerNachweis anderer Ursachen interstitieller Stauung oder differentialdiagnostischeNachweise von Lungenkontusionen versus Aspiration technisch aufgrundnoch unzureichender Qualität der CT unmöglich war. Somit wurde die