Rechtsextremismus im Wandel Forum Berlin - Bibliothek der ...
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Der Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes <strong>der</strong><br />
ehemaligen DDR (damals: „Gauck-Behörde“) hat eine Deliktkartei über neonazistische<br />
Umtriebe bei <strong>der</strong> NVA und <strong>der</strong> Staats sicherheit ausgewertet. Danach<br />
feierten selbst Offiziere Hitlers Geburtstag, grölten Nazi-Parolen („es lebe<br />
<strong>der</strong> Nationalsozialismus“), erzählten sich „Judenwitze“ und verherrlichten die<br />
Verbrechen <strong>der</strong> Wehrmacht.<br />
„Dekadent-amoralische Auffassungen“ bei Jugendlichen sind seit den sechziger<br />
Jahren aktenkundig. Dabei handelte es sich offenbar um mehr als nur<br />
um Protestverhalten. Das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) sprach 1966<br />
von „Zersetzung und Aufweichung <strong>der</strong> Bürger <strong>der</strong> DDR“, und <strong>der</strong> zuständige<br />
Minister, Erich Mielke, lastete <strong>der</strong>artige Erscheinungsformen dem „staatsmonopolistischen<br />
Herrschaftssystem“ <strong>der</strong> BRD an. Ende <strong>der</strong> siebziger, Anfang <strong>der</strong><br />
achtziger Jahre häuften sich dann offenbar die Vorfälle.<br />
Wir wissen heute, dass auch die DDR-Gesellschaft <strong>der</strong> siebziger und achtziger<br />
Jahre durch sozialen <strong>Wandel</strong>, Wertewandel und Individualisie rung – wenn<br />
auch nur teilweise (vor allem die Jugend) und auch nur rud<strong>im</strong>entär – geprägt<br />
war. Aber an<strong>der</strong>s als <strong>im</strong> Westen ließen die technisch -wissenschaftliche Mo<strong>der</strong>nisierung<br />
und die allgemeine Erweiterung des Bildungsniveaus den politischen<br />
Bereich völlig unberührt. Dafür sorgte die bürokratische Einparteienherrschaft,<br />
die außerstande war, die Brisanz des sich verschärfenden Wi<strong>der</strong>spruchs zwischen<br />
<strong>Wandel</strong> <strong>im</strong> wirtschaftlich -sozialen und Stagnation <strong>im</strong> politischen Bereich<br />
zu erkennen.<br />
Trotz sichtbarer Verän<strong>der</strong>ungen in Osteuropa gab die DDR-Führung dem Reformdruck<br />
nicht nach. Bereits in <strong>der</strong> zweiten Hälfte <strong>der</strong> siebziger Jahre hatte<br />
in <strong>der</strong> DDR-Jugend <strong>der</strong> Loyalitätsverfall gegenüber dem sozi alistischen System<br />
eingesetzt. Er ermöglichte bald das Überschwappen westlicher Jugendkulturen<br />
auf die DDR. An<strong>der</strong>s als <strong>im</strong> Westen war für die DDR-Jugendlichen <strong>der</strong> Einstieg<br />
in eine <strong>der</strong> Subkulturen mit enormen Risi ken verbunden: Wer sich dazu entschloss,<br />
begab sich in den Untergrund. Dies för<strong>der</strong>te den integrativen Wert<br />
<strong>der</strong> Subkulturen und verlieh ihren Mitglie<strong>der</strong>n das Gefühl von Mut, Stärke<br />
und Kameradschaft. Die rechts extremistischen Parolen bedeuteten anfangs<br />
weniger eine Identifikation mit dem Nationalsozialismus, son<strong>der</strong>n vor allem<br />
einen gezielten Tabubruch mit <strong>der</strong> antifaschistischen Staatsdoktrin <strong>der</strong> DDR,<br />
eine Identifikation mit dem Feind des Feindes. Der <strong>im</strong> Vergleich zum Westen<br />
großen Risikobe reitschaft entsprach eine enorme Gewaltbereitschaft und Brutalität,<br />
um die die Westskins ihre Kameraden <strong>im</strong> Osten lange bewun<strong>der</strong>ten.<br />
6. Organisation, Programmatik und Praxis – <strong>Rechtsextremismus</strong> <strong>im</strong> <strong>Wandel</strong> 107