Schroeder - 1998 - Lehrbuch der Pflanzengeographie
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Tropischer Regenwald 161<br />
überhaupt nicht bis in den ungestörten Wald<br />
vordrangen.<br />
Ähnliche Fehleinschätzungen betreffen auch<br />
die Rolle <strong>der</strong> Epiphyten. Sie treten zwar in fast<br />
allen Regenwäl<strong>der</strong>n in großer Artenzahl auf; <strong>der</strong><br />
gewaltige, aspektbeherrschende Individuen- und<br />
Massenreichtum, <strong>der</strong> so oft als typisch hingestellt<br />
wird, ist aber auf bestimmte Varianten beschränkt<br />
(S. 170). In einem Waldtyp, <strong>der</strong> am<br />
Boden extrem wenig Licht bietet, ist <strong>der</strong> Epiphytismus<br />
für Pflanzen geringer Größe eine<br />
sinnvolle Strategie, um besseren Lichtgenuß zu<br />
erreichen (vgl. auch J ohansson 1974, Ibisch<br />
1996). Epiphyten gibt es aus verschiedenen<br />
Pflanzengruppen. Thallo-Epiphyten, d. h. Luftalgen,<br />
Flechten und Moose, sind bekanntlich<br />
auch in den Extratropen nicht selten; in den<br />
feuchten Tropen treten sie, beson<strong>der</strong>s Algen und<br />
Lebermoose, nicht nur auf Stämmen, son<strong>der</strong>n<br />
sogar auf Blättern auf (Abb. 72). Solche „Epiphyllen“<br />
sind dann darauf angewiesen, ihren<br />
Lebenszyklus innerhalb <strong>der</strong> Lebensdauer des<br />
Blattes ablaufen zu lassen.<br />
Als eigenständige, für die Tropen typische Lebensform<br />
sind aber nur die Kormo-Epiphyten<br />
anzusehen. Sie erkaufen sich den besseren Lichtgenuß<br />
in den oberen Schichten des Waldes mit<br />
einer Reihe ökologischer Schwierigkeiten, die<br />
den Wasserhaushalt, die Mineralstoffversorgung<br />
und die Ansiedlung betreffen.<br />
Der Wasserhaushalt bietet (außer bei einigen Famen,<br />
die wie die Thallo-Epiphyten poikilohydrisch sind) die<br />
größten Probleme. Da die Wasserbeschafifung schwierig<br />
ist, ist es zunächst wichtig, den Wasserverlust zu<br />
begrenzen; viele Epiphyten sind daher xeromorph.<br />
Auch Wasserspeicherung ist nicht selten; neben normaler<br />
(Blatt-, Stamm-) Sukkulenz (Abb. 73.3) dienen<br />
hierzu auch die bei den Orchideen verbreiteten oberirdischen<br />
Sproßlcnollen (Abb. 73.4). Die Wasseraufnahme<br />
erfolgt im einfachsten Fall in normaler Form<br />
durch die Wurzeln aus dem am Stamm herablaufenden<br />
Regenwasser; damit diese während trockener<br />
Tageszeiten nicht vertrocknen, sind sie an <strong>der</strong><br />
Unterseite des Epiphyten geborgen. Hier kann sich<br />
allmählich auch etwas Staub und Detritus ansammeln,<br />
so daß unter dem Epiphyten, beson<strong>der</strong>s wenn er in<br />
Astgabeln o<strong>der</strong> an ähnlichen günstigen Stellen sitzt,<br />
ein eigener, durchwurzelter Boden entsteht, in dem<br />
das Regenwasser sich länger hält. Manche Epiphyten<br />
bauen einen solchen Boden selbst auf: so <strong>der</strong> anisophylle<br />
Geweihfarn {Platycerium, Abb. 73.1), <strong>der</strong> im<br />
Wechsel mit den normalen, gabelig verzweigten Laubblättern<br />
flache, dem Substrat anliegende Blattorgane<br />
(„Nischenblätter“) ausbildet, die sich dicht übereinan<strong>der</strong><br />
legen, absterben und verrotten. Zuweilen wird<br />
ein wasserspeicherndes Substrat auch durch Ausbildung<br />
eines dichten, zopfartig herabhängenden Wurzelfilzes<br />
erzeugt. Eine kuriose Son<strong>der</strong>bildung sind die<br />
„Taschenblätter“ <strong>der</strong> Asclepiadacee Dischidia (Abb.<br />
73.5), die sich bei Regen mit Wasser füllen, das dann<br />
durch hineinragende sproßbürtige Wurzeln aufgenommen<br />
wird.<br />
Viele Kormo-Epiphyten können das Wasser auch auf<br />
an<strong>der</strong>e Weise aufnehmen. So schließen .die Blattrosetten<br />
vieler Bromeliaceen im unteren Teil so dicht<br />
zusammen, daß eine Zisterne entsteht (Abb. 73.2), in<br />
<strong>der</strong> sich das Regenwasser sammelt, das direkt von den<br />
Blattbasen aufgenommen wird; solche Zisternen-<br />
KJeingewässer können so permanent sein, daß sich<br />
darin eine charakteristische Tierwelt ansiedelt. Die<br />
meisten Bromeliaceen, so beson<strong>der</strong>s die Gattung<br />
Tillandsia, besitzen außerdem auf <strong>der</strong> Blattoberfläche<br />
spezielle Wasseraufnahmeorgane, die Saugschuppen,<br />
die auf das Blatt fallende Wassertropfen sofort aufsaugen<br />
und dem Xylem Zufuhren. Ein ähnliches Saugorgan<br />
ist auch das an den Luftwurzeln vieler Orchideen<br />
vorhandene Velamen radicis, ein totes, bei Trokkenheit<br />
lufterfülltes vielschichtiges Gewebe, das aus<br />
<strong>der</strong> Rhizo<strong>der</strong>mis entstanden ist.<br />
Die Versorgung mit den lebensnotwendigen M i<br />
neralien erfolgt teils durch das Regenwasser (vor allem<br />
Stickstoff), teils durch herangewehten Staub. Auch<br />
Tiere können zur Stickstoffversorgung beitragen: beson<strong>der</strong>s<br />
Ameisen bauen häufig ihre Nester im Bereich<br />
von Epiphyten; manche Epiphyten stellen für solche<br />
Nester sogar spezielle Hohlräume in ihrem Körper<br />
bereit, wie die Rubiacee Hydnophytumformicamm im<br />
Hypokotyl (Abb. 73.7). In passiver Form liefern Tiere<br />
den Stickstoff bei den in <strong>der</strong> Paläotropis häufigen<br />
insektivoren Nepenthes-Axien (Abb. 73.6).<br />
Die eben genannten Ameisen können auch bei <strong>der</strong><br />
Ansiedlung <strong>der</strong> Epiphyten eine Rolle spielen, allerdings<br />
gewöhnlich nur bei <strong>der</strong> Nahausbreitung innerhalb<br />
<strong>der</strong>selben Baumkrone. Für die Weiterverbreitung<br />
von Baum zu Baum sind die Vögel die maßgebende<br />
Tiergruppe, sowohl in Form <strong>der</strong> Endo- als auch <strong>der</strong><br />
Synzoochorie (letztere ist beson<strong>der</strong>s auffällig bei <strong>der</strong><br />
epiphytischen Kakteengattung Rhipsalis, vgl. S. 25).<br />
Ebenso wichtig wie diese gezielte Übertragung ist die<br />
nach dem Zufallsprinzip wirkende Anemochorie, bei<br />
<strong>der</strong> große Mengen sehr kleiner Diasporen als Staubflieger<br />
transportiert werden, wie bei den Farnen und<br />
Orchideen. Ob es wirklich zu einer Ansiedlung<br />
kommt, hängt natürlich auch vom Substrat ab: die<br />
Rindenstruktur und die Verzweigungsform (Astgabeln,<br />
Richtung <strong>der</strong> Seitenzweige) spielen eine große Rolle.<br />
Die Anzahl <strong>der</strong> epiphytisch lebenden Kormophyten-Sippen<br />
ist recht groß. Sie umfaßt neben<br />
zahlreichen Farnen Vertreter aus sehr unterschiedlichen<br />
Verwandtschaftskreisen <strong>der</strong> Blütenpflanzen;<br />
in größerem Ausmaße sind allerdings<br />
nur relativ wenige Familien beteiligt.