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Preproceedings 2006 - Austrian Ludwig Wittgenstein Society

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Trendwende in der Evolution?<br />

Nicht gestellte Fragen in unserem relativistischen Zeitalter.<br />

Rainer Gottlob, Vienna, Austria<br />

Wir können unser Zeitalter als „relativistisch“ bezeichnen.<br />

Der Relativismus wurde durch die Errungenschaften des<br />

frühem 20. Jahrhundert bestärkt, Errungenschaften, die<br />

wie die Quantentheorie und die Relativitätstheorie weit<br />

über die Grenzen des mesokosmischen Bereiches<br />

(Vollmer 1983) hinausgehen. Aber gerade der<br />

mesokosmische Bereich ist der Bereich, in dem wir leben<br />

und bestehen müssen, für den unsere Sinne ausgelegt<br />

sind. Unsere Untersuchungen beziehen sich nur auf<br />

diesen Bereich, nicht auf die unserer direkten Erfahrung<br />

entzogene mikrokosmische Welt (Quantentheorie) oder<br />

auf die makrokosmische Welt (Relativitätstheorie).-<br />

Zunächst eine eigene Erfahrung: Je länger der 2.<br />

Weltkrieg dauerte, umso mehr fanden sich kleine Gruppen<br />

zusammen, die den Faschismus ablehnten. Wir<br />

schimpften gegen den „Führer“, der aus dem Debakel<br />

Napoleons nichts gelernt hatte, auf die Heeresleitung, die<br />

uns erst im März mit Winterkleidung versorgte oder auf<br />

unsere direkten Vorgesetzten.<br />

Erst etwa 50 Jahre später fiel mir auf, dass wir die<br />

wichtigste Frage ausgelassen hatten: Was hatten wir<br />

überhaupt in Russland zu suchen?<br />

Selbst große Philosophen, die wir verehren, haben<br />

solche nahe liegenden Fragen oft nicht gestellt. Wir wollen<br />

hier auf solche Denker eingehen, die zum heutigen<br />

Relativismus Beigetragen haben.<br />

1. David Hume (1711 – 1755)<br />

Hume war ein großer Aufklärer, aber auch das erste<br />

wichtige Glied in der Kette, die zum heutigen Relativismus<br />

geführt hat. In seiner Zeit standen die Menschen noch<br />

unter dem mächtigen Einfluss der Pioniere der modernen<br />

Wissenschaft: Kopernikus, Galilei, Francis Bacon, Kepler<br />

und Newton. Hume nahm die Aufgabe des Philosophen<br />

wahr, nämlich, den Naturwissenschaftlern auf die Finger<br />

zu schauen. Er bestritt, dass die Beobachtung<br />

regelmäßiger Abläufe Schlüsse auf die zukünftigen<br />

Abläufe oder das Aufstellen eines Naturgesetzes erlaube.<br />

Als reiner Phänomenalist, lehnte er auch<br />

Kausalitätsbehauptungen ab. Wir können nur ein „Post<br />

hoc“, niemals aber ein „Propter hoc“ erkennen. Die nicht<br />

gestellte Frage lautet aber: Wenn ein Mensch geköpft wird<br />

(damals und auch später leider ein häufiger Brauch), stirbt<br />

er nur post hoc, rein zufällig, oder doch, weil<br />

lebenswichtige Vorgänge von denen man damals schon<br />

einige kannte, (Harvey hatte die Gesetze des<br />

Blutkreislaufes bereits 1628 aufgestellt), unterbunden<br />

werden. Ein weniger blutrünstiges Beispiel: Der klassische<br />

Uhrenvergleich. Wenn wir zwei annähernd gleichlaufende<br />

Uhren so einstellen, dass die eine Uhr die Zeit fünf<br />

Minuten nach der anderen angibt, so liegt bei dem<br />

Nachlaufen nur ein Post hoc, kein Propter hoc vor. Es<br />

genügt aber zum Nachweis einer Kausalität eine einzelne<br />

federbetriebene Uhr, die dann nicht geht, wenn sie<br />

niemand aufzieht. Und kocht das Teewasser nicht, weil es<br />

auf einen Herd gestellt wurde?<br />

Hume hat diese Fragen nicht gestellt. Vielfach ist<br />

seine Skepsis berechtigt, es gibt aber einen sich mit dem<br />

Fortschritt der Wissenschaften ausdehnenden<br />

Kausalitätsbegriff, nämlich dann, wenn zu einer dauernd<br />

homogenen Beobachtung noch darüber stehende<br />

Naturgesetze kommen, Gesetze, die sich im Mikrokosmos<br />

ebenso wie im Makrokosmos bewährt haben. Das sind,<br />

am Beispiel der Uhr oder des Teewassers, die<br />

Erhaltungssätze und am Beispiel des Köpfens, Gesetze,<br />

die das Leben aller höherer Lebewesen, einschließlich des<br />

Menschen bestimmen und die zum Teil auch Hume<br />

bekannt waren und in der Folgezeit ausgebaut wurden.<br />

Wir können Hume als Vater des bis in unsere Zeit<br />

reichenden Relativismus ansehen.<br />

2. Immanuel Kant (1724 – 1804)<br />

Aus mehreren Gründen ist Kant verehrungswürdig. Seine<br />

kosmologischen Untersuchungen waren damals<br />

bahnbrechend. Er war der bedeutendste Aufklärer im<br />

deutschen Sprachraum, ein Verfechter der<br />

Menschenrechte und sein Werk „Zum ewigen Frieden“<br />

(1795) kann als eine Vision gelten, die heute noch aktuell,<br />

ja zukunftweisend ist. Was hier kritisiert werden soll, ist die<br />

„Kopernikanische Wendung“. Kopernikus hatte<br />

ursprünglich den Menschen an die Peripherie des<br />

Sonnensystems gesetzt. Kant gibt dem Menschen seine<br />

zentrale Rolle wieder:<br />

„Wir haben also sagen wollen, dass alle unsere<br />

Anschauung nichts als die Vorstellung von Erscheinung<br />

sei; dass die Dinge, die wir anschauen, nicht das an sich<br />

selbst sind, wofür wir sie anschauen, noch ihre<br />

Verhältnisse so an sich selbst beschaffen sind, als sie<br />

uns erscheine, und dass, wenn wir unser Subjekt oder<br />

auch nur die subjektive Beschaffenheit der Sinne<br />

überhaupt aufheben, alle die Beschaffenheit und , alle<br />

Verhältnisse der Objekte in Raum und Zeit, ja selbst<br />

Raum und Zeit verschwinden würden, und als<br />

Erscheinung nicht an sich selbst, sondern nur in uns<br />

existieren können. …“<br />

Hier erheben sich einige Fragen: Nehmen wir an,<br />

wir benötigen eine neue Schublade für unseren Schrank.<br />

Wir können den freistehenden Raum, nach Höhe, Breite<br />

und Tiefe ausmessen und der Tischler würde auf Grund<br />

der Maße eine passende Schublade herstellen. Kann<br />

etwas, das wir messen können, nur subjektiv sein? Konnte<br />

vor der Entstehung des Menschen und der Tiere weder<br />

Raum, noch Zeit objektiv vorhanden sein? Wusste Kant<br />

nicht auf Grund seiner kosmologischen Untersuchungen,<br />

dass das Ganze in riesigen Räumen und in Millionen<br />

Jahre dauernden Zeitspannen ablief?<br />

Vielleicht war damals nicht bekannt, dass Menschen<br />

mehrere Mittel zur Schätzung von Entfernungen gegeben<br />

sind: Die Linsenkrümmung, das binokulare Sehen, die<br />

Perspektive etc. Die Entfernungsschätzung ermöglicht<br />

aber auch eine Raumwahrnehmung. Außerdem gibt es für<br />

den Satz: „Alle materiellen Dinge nehmen einen Raum ein“<br />

keine gesicherten Ausnahmen!<br />

Kant nimmt das Bestehen von Dingen an sich an,<br />

auch wenn wir von ihnen nichts wissen können.<br />

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