Preproceedings 2006 - Austrian Ludwig Wittgenstein Society
Preproceedings 2006 - Austrian Ludwig Wittgenstein Society
Preproceedings 2006 - Austrian Ludwig Wittgenstein Society
Create successful ePaper yourself
Turn your PDF publications into a flip-book with our unique Google optimized e-Paper software.
Searles Naturalismus: Eine seiner Schwierigkeiten in Bezug auf das Geistige und das Soziale - Tárik de Athayde Prata<br />
„This is a relation between any two types of things that<br />
can have causal powers, where the existence and a<br />
fortiori the causal powers of the reduced entity are<br />
shown to be entirely explainable in terms of the causal<br />
powers of the reducing phenomena.“ (Searle, 1992: 114)<br />
Die kausale Reduzibilität bestehe darin, dass ein<br />
Phänomen durch ein anderes erklärbar sei. Wenn Searle<br />
die kausale Reduzibilität des Bewusstseins (das<br />
grundlegendste Merkmal des Geistigen – vgl. z.B. Searle,<br />
1992: 84) erläutert, behauptet er ausdrücklich, dass das<br />
Bewusstsein bereits erklärt worden sei: „all features of<br />
consciousness are accounted for causally by<br />
neurobiological processes going on in the brain“(Searle,<br />
2002: 60, Kursiv von mir) „consciousness is entirely<br />
causally explained by neuronal behaviour“(Searle,<br />
2004a:119). Und aus dem Umstand, dass die<br />
Geistesphänomene erklärt worden seien, folge die<br />
Auflösung des Körper-Geist Problems. Es gebe keine<br />
Schwierigkeiten, das Körper-Geist Verhältnis zu verstehen,<br />
insofern dieses Verhältnis nach dem Modell ganz normaler<br />
Systemeigenschaften verstanden werden könne:<br />
„Consciousness is a mental, and therefore physical,<br />
property of the brain in the sense in which liquidity is a<br />
property of systems of molecules.“ (Searle, 1992:14)<br />
3. Sind die Geistesphänomene erklärt<br />
worden?<br />
Die kausale Erklärbarkeit des Bewusstseins ist das<br />
Herzstück der Searleschen Lösung für das Körper-Geist<br />
Problem. Doch steht die Auffassung, das Bewusstsein sei<br />
bereits kausal erklärt worden, verschiedenen<br />
Schwierigkeiten gegenüber, sogar schon in Rahmen des<br />
Searleschen Ansatzes. Das erste Problem ist, dass Searle<br />
in einen Widerspruch geraten zu sein scheint, denn<br />
obwohl er die These der kausalen Erklärbarkeit vertritt,<br />
behauptet er zugleich, dass wir zur Zeit über keine<br />
Erklärung des Bewusstseins verfügen: „we really do not<br />
understand how brain processes cause consciousness.“<br />
(Searle, 2002: 57-8) Wenn wir noch nicht verstehen, wie<br />
das Hirn den Geist verursacht, bedeutet das einfach, dass<br />
das Hirn-Geist Verhältnis unerklärt bleibt. Und was einem<br />
noch merkwürdiger vorkommen kann, ist, dass Searle<br />
selbst eingesteht, dass solch eine Erklärung vielleicht<br />
unmöglich ist. Über die Denker (wie z.B. Collin McGinn),<br />
die die Möglichkeit einer Lösung des Körper-Geist<br />
Problems bezweifeln, schreibt Searle: „I think the<br />
mysterians are too pessimistic. They may be right, of<br />
course, that we will never find a scientific account of<br />
consciousness. But it would be defeatism to give up in<br />
advance.“ (Searle, 2004a: 146, Kursiv von mir).<br />
Ein zweites und noch undurchdringlicheres Problem<br />
ist, dass Searle gewisse Merkmale den<br />
Geistesphänomenen zuschreibt, die mit einer Erklärung<br />
dieser Phänomene durch Hirnvorgänge völlig unverträglich<br />
zu sein scheinen. Wenn er für das so genannte<br />
Verbindungsprinzip argumentiert, behauptet Searle, dass<br />
der Aspektgehalt (zu dem Begriff von “Aspektgehalt” vgl.<br />
Searle,1992: 155) intentionaler Zustände durch objektive<br />
Prädikate nicht völlig charakterisiert werden kann: “The<br />
aspectual feature cannot be exhaustively or completely<br />
characterized solely in terms of third-person, behavioral, or<br />
even neurophysiological predicates. None of these is<br />
sufficient to give an exhaustive account of aspectual<br />
shape.” (1992: 157-8, Kursiv von Searle) Wenn er für die<br />
ontologische Irreduzibilität des Bewusstseins argumentiert,<br />
behauptet Searle, dass der qualitative (und deshalb<br />
subjektive) Charakter geistiger Phänomene durch<br />
objektive Beschreibungen nicht wiedergegeben (convey)<br />
werden kann: “No description of the third-person,<br />
objective, physiological facts would convey the subjective,<br />
first-person character of the pain, simply because the firstperson<br />
features are different from the third person<br />
features.” (Searle, 1992: 117). Wenn die Intentionalität mit<br />
dem Bewusstsein wesentlich verknüpft sei und wenn der<br />
subjektive Charakter des Bewusstseins durch objektive<br />
Beschreibungen nicht ausgedrückt werden könne, dann<br />
folgt daraus, dass eine neurobiologische Theorie die<br />
wichtigsten Merkmale des Geistigen (Intentionalität und<br />
Bewusstsein) nicht zum Ausdruck bringen könnte. Die<br />
neurobiologische Theorie handelt von ganz objektiven<br />
Phänomenen (Hirnzustände, -ereignisse und -vorgänge),<br />
die doch laut Searle wesentlich verschieden von<br />
subjektiven Geistesphänomenen sind. Aber wenn der<br />
subjektive Charakter der Geistesphänomene im Rahmen<br />
einer neurobiologische Theorie nicht einmal ausgedrückt<br />
werden kann, dann brauchen wir immer noch geistige<br />
Begriffe, um auf die subjektiven Phänomene Bezug zu<br />
nehmen. Aber dann scheinen diese beiden Redeweisen<br />
(die geistige und die neurobiologische) so grundsätzlich<br />
verschieden zu sein, dass das Verhältnis der beiden<br />
Bereiche unverständlich bliebe. Unser neurobiologischer<br />
Diskurs scheint nicht zu unserem Verständnis des<br />
qualitativen Charakters des Geistigen beitragen zu<br />
können, so dass eine neurobiologische Erklärung des<br />
Geistigen unmöglich zu sein scheint. Aber wenn eine<br />
kausale Erklärung des Geistes nicht möglich ist, geht die<br />
Grundlage des biologischen Naturalismus verloren.<br />
4. Die Konsequenzen für Searles Theorie<br />
der sozialen Wirklichkeit<br />
In seinem Buch The Construction of Social Reality<br />
versucht Searle zu erklären, wie es gewisse Tatsachen<br />
geben kann, die von der menschlichen Übereinkunft<br />
(agreement) abhängig 5 und trotzdem objektiv sind. Er<br />
beschäftigt sich mit den institutionalen Tatsachen, 6 die zu<br />
den Tatsachen gehören, die nur relativ zu Beobachtern<br />
und Benutzern existieren (vgl. Searle, 1995: 9-10). Sie<br />
lassen eine große Schwierigkeit entstehen, insofern sie<br />
sich nicht in naturwissenschaftlichem Vokabular<br />
beschreiben lassen:<br />
„We live in exactly one world, not two or three or<br />
seventeen. As far as we currently know, the most<br />
fundamental features of that world are as described by<br />
physics, chemistry, and the other natural sciences. But<br />
the existence of phenomena that are not in any obvious<br />
way physical or chemical gives rise to puzzlement“<br />
(Searle, 1995: xi) 7<br />
Die Art wie Searle seine Auffassung der sozialen<br />
Wirklichkeit artikuliert, kann im Rahmen der vorliegenden<br />
Arbeit nicht ausführlicher beschrieben werden. Für meine<br />
Ziele reicht es doch aus, darauf hinzuweisen, dass seine<br />
Auffassung des Geistes, wie er ausdrücklich behauptet,<br />
seinem Ansatz zur Naturalisierung der sozialen<br />
Wirklichkeit zugrunde liegt:<br />
5 “there are portions of the real world, objective facts in the world, that are only<br />
facts by human agreement. In a sense there are things that exists only<br />
because we believe them to exist.”(Searle, 1995: 1)<br />
6 „Institutional facts are so called because they require human institutions for<br />
their existence. In order that this piece of paper should be a five dollar bill, for<br />
example, there has to be the human institution of money.“ (Searle, 1995: 2)<br />
7 „There is no physical-chemical description adequate to define ‘restaurant’,<br />
‘waiter’, ‘sentence of French’, ‘money’, or even ‘chair’ and ‘table’, even though<br />
all restaurants, waiters, sentences of French, money and chairs and tables are<br />
physical phenomena.“ (Searle, 1995: 3)<br />
71