Preproceedings 2006 - Austrian Ludwig Wittgenstein Society
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individuellen Freiheit (Stelzer 2004: 79 f.). Auch in der<br />
interkulturellen Philosophie wird die Vielfalt nicht nur<br />
bejaht, sondern als ein Wert an sich begriffen. Die<br />
interkulturelle Philosophie geht nicht nur von einem<br />
Pluralismus an Prinzipien, Werten, Sozialisationen,<br />
Interessen und Präferenzen aus, sondern ihr Anliegen ist<br />
gerade die intrakulturelle Sicht, in der es immer schon<br />
unterschiedliche erkenntnistheoretische, ethische und<br />
politische Modelle gibt, durch Einbeziehung anderer<br />
philosophischer Traditionen zu erweitern (vgl. Mall 2003:<br />
39 und 126; Yousefi und Mall 2005: 116).<br />
Dass eine solche Erweiterung auch für den<br />
kritischen Rationalismus einen hohen Stellenwert besitzt,<br />
zeigen etwa die Ausführungen von Hans Albert, der die<br />
Notwendigkeit des Aufbrechens der natürlichen<br />
Kritikimmunität der eigenen Weltauffassung durch die<br />
Begegnung mit anderen Kulturen betont (vgl. Albert 2000:<br />
37). Für Popper besitzt der interkulturelle Kontakt zentrale<br />
Bedeutung für seine These vom Ursprung der Philosophie.<br />
Dieser Ursprung – wohlgemerkt der abendländischen<br />
Philosophie – im Griechenland des 6. vorchristlichen<br />
Jahrhunderts geht seiner Auffassung zufolge auf den kulturellen<br />
Zusammenprall (culture clash) mit den östlichen<br />
Kulturen in den griechischen Kolonien an der<br />
kleinasiatischen Küste zurück (vgl. Popper 10 1999: 118<br />
und 128). 1 Die Wichtigkeit des kulturellen Kontakts besteht<br />
aber auch für die Philosophie der Gegenwart. In diesem<br />
Zusammenhang betont Popper, dass der kulturelle<br />
Zusammenprall Teile seines großen Wertes verlieren<br />
kann, wenn sich eine Kultur als universelle überlegen sieht<br />
bzw. von der anderen als solche wahrgenommen wird. Der<br />
größte Wert des kulturellen Zusammenpralls liegt nämlich<br />
gerade im Umstand, dass er die eigene kritische<br />
Einstellung erwecken kann. (Vgl. Popper 1994: 51).<br />
Die interkulturelle Philosophie kann also aus einer<br />
kritisch rationalen Perspektive einen wichtigen Beitrag<br />
leisten, indem sie uns dazu führt, unsere eigene<br />
Lebensform, unsere eigenen Ansichten, unsere eigene<br />
abendländische philosophische Tradition kritisch zu<br />
befragen. Sie bildet genauso wie der kritische<br />
Rationalismus mit seiner Forderung nach Kritik und<br />
Selbstkritik, seinem Respekt und seiner Offenheit<br />
gegenüber anderen Meinungen eine wertvolle<br />
Ausgangsbasis für das Programm einer neuen Aufklärung.<br />
Zugleich kann der kritische Rationalismus in Hinblick auf<br />
seine theoretische und praktische Philosophie zur<br />
Grundlegung einer interkulturellen Philosophie beitragen,<br />
deren Aufgabe ja auch in der Herausarbeitung der<br />
Grundlagenprobleme der Interkulturalität mit den Mitteln<br />
der rationalen Analyse und damit zugleich im Aufzeigen<br />
der Bedingungen, Möglichkeiten und Grenzen gelingender<br />
interkultureller Kommunikation liegt (vgl. Cesana 2000:<br />
73).<br />
1 Dass Popper in seiner Darstellung der Philosophiegeschichte sich kaum mit<br />
anderen Kulturen auseinandergesetzt hat und deshalb in Bezug hierauf der<br />
Vorwurf des Eurozentrismus nicht ganz unberechtigt erhoben wurde, sei hier<br />
nur am Rande erwähnt. Die Gründe hierfür bräuchten eine ausführlichere<br />
Analyse und Erörterung, die in diesem Zusammenhang nicht zu leisten ist.<br />
336<br />
Konvergenzen in grundlegenden Prinzipien zwischen dem ... - Harald Stelzer<br />
Literatur<br />
Albert, Hans 2000 Kritischer Rationalismus. Vier Kapitel zu Kritik<br />
illusionären Denkens, Tübingen: UTB.<br />
Albert, Hans 1968 Traktat über kritische Vernunft, Tübingen: Mohr<br />
Siebeck.<br />
Albert, Hans 1967 Marktsoziologie und Entscheidungslogik.<br />
Ökonomische Probleme aus soziologischer Perspektive, Neuwied<br />
am Rhein: Leuchterhand.<br />
Cesana, Andreas 2000 “Karl Jaspers und die Herausforderung der<br />
interkulturellen Philosophie“, Jahrbuch der Österreichischen Karl<br />
Jaspers Gesellschaft Jahrgang 13, 69-88.<br />
Jarvie, Ian C. 1972 Concepts and society, London: Routledge.<br />
Mall, Ram Adar 2003 Essays zur interkulturellen Philosophie,<br />
Nordhausen: Traugott Bautz.<br />
Mall, Ram Adar 1993 “Begriff, Inhalt, Methoden und Hermeneutik<br />
der interkulturellen Philosophie“, in: Dieter Lohmar und Ram Adhar<br />
Mall (eds.), Philosophische Grundlagen der Interkulturalität,<br />
Amsterdam/Atlanta: Rodopi, 1-27.<br />
Popper, Karl 2000 Vermutungen und Widerlegungen: das<br />
Wachstum der wissenschaftlichen Erkenntnis, Tübingen: Mohr<br />
Siebeck.<br />
Popper, Karl 10 1999 Auf der Suche nach einer besseren Welt:<br />
Vorträge und Aufsätze aus dreißig Jahren, München: Piper.<br />
3<br />
Popper, Karl 1995 Ausgangspunkte. Meine intellektuelle<br />
Entwicklung, Hamburg: Hoffmann und Campe.<br />
Popper, Karl 1994 The Myth of the Framework. In defence of<br />
science and rationality (ed. Mark Notturno), London/New York:<br />
Routledge.<br />
Salamun, Kurt 1991 “Das Ethos der Aufklärung im Kritischen<br />
Rationalismus“, in: Kurt Salamun (ed.), Moral und Politik aus der<br />
Sicht des Kritischen Rationalismus, Amsterdam Rodopi, 95-119.<br />
Stelzer, Harald 2004 Karl Poppers Sozialphilosophie. Politische<br />
und ethische Implikationen, Wien: Litt Verlag.<br />
Wendel, Hans Jürgen 1992 „Kritischer Rationalismus und Ethik“, in:<br />
Kurt Salamun (ed.), Ideologie und Ideologiekritik. Ideologietheoretische<br />
Reflexionen. Darmstadt: Wissenschaftliche<br />
Buchgesellschaft, 161-175.<br />
Wimmer, Franz Martin 2004 Interkulturelle Philosophie, Wien: UTB.<br />
Yousefi, Hamid Reza und Mall, Ram Adhar 2005 Grundpositionen<br />
der interkulturellen Philosophie, Nordhausen: Traugott Bautz.