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Preproceedings 2006 - Austrian Ludwig Wittgenstein Society

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152<br />

Nachdenken über Gewissheit – Zur Artikulierbarkeit und Verhandelbarkeit ... - Beatrice Kobow<br />

because it does not tell us what the role of the rule<br />

structure is.“ (Searle 1995, 140)<br />

Searles sozialontologisches Projekt ist es, die Rolle<br />

der Regelstruktur für gesellschaftliche Institutionen, die<br />

Systeme konstitutiver Regeln sind, darzustellen (Searle<br />

1995, 140).<br />

Die Interpretation der Begriffe Bedeutung, Regel<br />

(<strong>Wittgenstein</strong> 1970, 25, § 62) und Anerkennung illustriert<br />

<strong>Wittgenstein</strong>s Position: Innerhalb der Sprachspiele ist die<br />

Bedeutung eines Wortes eine Art seiner Verwendung und<br />

macht damit den Inhalt einer Regel aus (<strong>Wittgenstein</strong><br />

1970, 24, § 61 und 62). Wenn Gesellschaften Systeme für<br />

kollektives Handeln schaffen, dann sind Bedeutungen<br />

(Regel-)Zwecke der in diesem System Handelnden (vgl.<br />

Meggle 1985, 9-13).<br />

Wissen und Regel-Können gründet sich am Schluss<br />

auf Anerkennung (<strong>Wittgenstein</strong> 1970, 99, § 378). Die<br />

Anerkennung der Regeln ist eine Funktion des kulturellen<br />

Hintergrundes und ist meiner (persönlichen) Entscheidung<br />

entzogen und ist kollektiv bestimmt.<br />

Die Hintergründe einer Kultur sind auf der vorintentionalen<br />

Ebene für ihre Träger nicht verhandelbar,<br />

aber sind sie deshalb auch tatsächlich jeder Reflexion<br />

entzogen?<br />

Wie ist kulturelles Hintergrundkönnen und –Wissen<br />

artikulierbar? Wie ist es verhandelbar?<br />

Zur Verhandlung und Veränderung des kulturellen<br />

Hintergrundes ist das Erleben der Unsicherheit des<br />

Hintergrundes und seiner Relativität notwendig. Diese<br />

Relativität geht zurück auf die Indexikalität und die<br />

Kontingenz des individuellen Hintergrundes, der mental ist;<br />

er beinhaltet die Erfahrung der Privatheit des Individuums<br />

im Verhältnis zur Umwelt. Der kulturelle Hintergrund ist die<br />

Ausformulierung der Anlagen des tiefen Hintergrundes,<br />

aber er wird als naturalisiert erlebt. Die Erfahrung des<br />

Zusammenbruchs erscheint nicht nur aus der Perspektive<br />

der “vernünftigen Menschen”, sondern auch aus der<br />

Perspektive des Zweifelnden unnatürlich und abnormal.<br />

„Damit der Mensch sich irre, muß er schon mit der<br />

Menschheit konform urteilen.“ (<strong>Wittgenstein</strong> 1970, 49, §<br />

156) Wenn der „Irrtum“ in einer Nicht-Konformität mit der<br />

Praxis des Urteiles allgemein besteht, dann wird der<br />

Weltzweifel als Zusammenbruch erlebt.<br />

Manche literarischen Werke befassen sich mit der<br />

Darstellung des Erlebens des Weltzweifels. Das soziale<br />

Scheitern von Ödön von Horvaths Figuren zeigt z.B. die<br />

Tragik der Naturalisierung des kulturellen Hintergrundes.<br />

Weil der Hintergrund nicht bezweifelt werden kann, wird<br />

ein Auseinanderbrechen von Selbst und Gesellschaft als<br />

ausweglos erfahren. Horvaths Figuren sind in diesem Sinn<br />

Opfer ihrer Gesellschaft.<br />

Der Welt-Zweifel wird dann nicht als<br />

Zusammenbruch meiner Welt erfahren, wenn das<br />

Auseinanderbrechen von Selbst und Welt (Gesellschaft)<br />

kontrollierbar bleibt, d.h. wenn dieser Zweifel uns nicht<br />

widerfährt, sondern als Teil eines Sprachspiel erlebt wird.<br />

Das Spielen des Weltzweifels findet statt z.B. in der<br />

dramatischen Kunst. Das kontrollierte Erleben des Welt-<br />

Zweifels ist die kathartische Wirkung solcher Spiele.<br />

Literatur:<br />

Dreyfus, Hubert L. 1991 „The Primacy of Phenomenology over<br />

Logical Analysis“, Philosophical Topics 27, no. 2: 3-24.<br />

Malcolm, Norman 1986 „Moore and <strong>Wittgenstein</strong> on the Sense of ‚I<br />

know’“, in: John V. Canfield (Hg.), The Philosophy of <strong>Wittgenstein</strong>,<br />

Volume 8: Knowing Naming, Certainty and Idealism, New<br />

York/London: Garland Publishing Inc.<br />

Meggle, Georg 1985 „<strong>Wittgenstein</strong> – ein Instrumentalist?“, in: D.<br />

Birnbacher, A. Burkhardt (Hg.), Sprachspiel und Methode, Berlin/<br />

New York: de Gruyter, S. 71-88<br />

Searle, John R. 1983 Intentionality: An Essay in the Philosophy of<br />

Mind, Cambridge: Cambridge University Press.<br />

Searle, John R. 1995 The Construction of Social Reality, New<br />

York: The Free Press.<br />

Searle, John R. 2005 „The Phenomenological Illusion“, in: M.E.<br />

Reicher, J.C. Marek (Hg.), Experience and Analysis. Erfahrung und<br />

Analyse, Wien: öbvahpt, S. 317-336<br />

Stekeler-Weithofer, Pirmin 2000 „Kommunikatives Handeln und<br />

kooperatives Begreifen. Intentionalismus und sozialer<br />

Externalismus in Theorien des Sinnverstehens“, in: Katalin<br />

Neumeier (Hg.), Das Verstehen des Anderen, <strong>Wittgenstein</strong>-Studien<br />

der DLWG, Band 1, Frankfurt am Main et al.: Peter Lang, S.13-48.<br />

Watzka, Heinrich 2000 Sagen und Zeigen: die Verschränkung von<br />

Metaphysik und Sprachkritik beim frühen und beim späten<br />

<strong>Wittgenstein</strong>, Stuttgart et al.: Kohlhammer.<br />

<strong>Wittgenstein</strong>, <strong>Ludwig</strong> 1970 Über Gewißheit, herausgegeben von<br />

G.E.M. Anscombe und G.H. von Wright, Frankfurt am Main:<br />

Suhrkamp.

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