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Preproceedings 2006 - Austrian Ludwig Wittgenstein Society

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erscheinen. Nur wenn man mit der isostheneia der<br />

Argumente konfrontiert wird, kommt man zur epoch�; und<br />

nur wenn man zur epoch� kommt, erreicht man die<br />

ataraxia (s. P 1.26-29).<br />

Sextus definiert genauer, was man unter<br />

isostheneia und unter epoch� zu verstehen hat:<br />

„‚Gleichgewichtigkeit‘ nennen wir die Gleichheit in<br />

Glaubwürdigkeit und Unglaubwürdigkeit, so daß keines<br />

der unverträglichen Argumente das andere als<br />

glaubwürdiger überragt. ‚Urteilsenthaltung‘ ist ein<br />

Stillstehen des Verstandes, durch das wir weder etwas<br />

aufheben noch setzen.“ (P 1.10.) Angesichts der<br />

Tatsache, daß der Begriff der isostheneia eine zentrale<br />

Rolle in der pyrrhonischen Philosophie einnimmt, scheint<br />

mir, daß einige Formulierungen über PU in Stern (2004),<br />

die den Charakter der philosophischen Methode<br />

<strong>Wittgenstein</strong>s beschreiben sollen, dem Geist des<br />

Pyrrhonismus nicht entsprechen. Stern behauptet:<br />

„(<strong>Wittgenstein</strong>) aimed to dissolve those problems, by<br />

means of a dialogue between opposing voices, a dialogue<br />

in which the commentator comes closer to expressing the<br />

author’s viewpoint than either of his leading protagonists<br />

do.“ (S. 23, meine Hervorhebung.) Wenn ein Pyrrhoneer<br />

zu der Ansicht neigt, daß p (statt q oder r etc.) der Fall ist,<br />

dann erreicht er keine isostheneia, enthält sich<br />

infolgedessen nicht des Urteils, und gelangt so auch nicht<br />

zur ataraxia. Damit wird das anfängliche Problem nicht<br />

aufgelöst.<br />

Stern macht außerdem auf den folgenden Umstand<br />

aufmerksam: „However, if <strong>Wittgenstein</strong> is correct, the<br />

accounts offered by all the participants in his dialogues are<br />

nonsense, and so cannot, in the end, be true or false.” (S.<br />

25, meine Hervorhebung.) Der Pyrrhoneer würde sich in<br />

diesem Fall wohl vorsichtiger ausdrücken; er würde offen<br />

lassen, ob es sinnvoll ist, auf ein bestimmtes Problem eine<br />

bestimmte Antwort zu geben, ob diese Antwort wahr oder<br />

falsch ist. Das einzige, das er feststellen könnte, wäre, daß<br />

ihm die bis jetzt angeführten Argumente nicht hinreichend<br />

erscheinen, um das Problem zu lösen. Vielleicht ist die<br />

Antwort sinnvoll, vielleicht ist sie wahr, doch nach seiner<br />

philosophischen Untersuchung ist es ihm nicht gelungen,<br />

dies zu sehen.<br />

Man sollte die Definition der epoch� (s. oben) in<br />

bezug auf das pyrrhonische Schlagwort ‚nicht eher‘<br />

deuten: „Das ‚Nicht eher dieses als jenes‘ zeigt aber auch<br />

ein Erlebnis (pathos) von uns an, bei dem wir wegen der<br />

Gleichwertigkeit der gegensätzlichen Dinge in ein<br />

Gleichgewicht münden. Dabei nennen wir […]<br />

‚Gleichgewicht‘ das Keinem-von-beiden-Zustimmen. So<br />

gebrauchen wir das Schlagwort ‚um nichts eher‘ […]<br />

gleichgültig und mißbräuchlich, entweder anstelle einer<br />

Frage oder anstelle des Ausdrucks ‚ich weiß nicht,<br />

welchem von diesen Dingen man zustimmen soll und<br />

welchem nicht‘.“ (P 1.190-191, meine Hervorhebung.)<br />

<strong>Wittgenstein</strong> und Pyrrhonismus - Rosario La Sala<br />

Zusammenfassend läßt sich also feststellen, daß<br />

gerade der Hinweis auf die Methode auch einen wichtigen<br />

Unterschied zwischen <strong>Wittgenstein</strong> und den Pyrrhoneern<br />

zu markieren scheint, denn die letzteren hatten neben der<br />

diaph∩nia auch eine Reihe weiterer, bewährter Argument-<br />

Schemata – s. (Barnes 1990), (Annas and Barnes 1985),<br />

die sie systematisch auf jeden möglichen<br />

Untersuchungsgegenstand anwendeten. <strong>Wittgenstein</strong>s Art<br />

und Weise zu untersuchen, sein Sich-Entfernen von dem<br />

und sein immer wieder Zurückkommen auf den selben<br />

Untersuchungsgegenstand aus unterschiedlichen<br />

Blickwinkeln (Sluga 2004) stellt einen originellen Charakter<br />

dar, der es verdient, eingehender und unabhängig von den<br />

herkömmlichen Kategorisierungen erörtert zu werden.<br />

Abschließend möchte ich noch etwas über das Ziel<br />

bemerken, das Fogelin ( 2 1987) <strong>Wittgenstein</strong> und dem alten<br />

Pyrrhonismus zuschreibt: die Philosophie, wie sie<br />

traditionell praktiziert wird, aufzuheben. Wir haben<br />

gesehen, daß sich die ungelösten (philosophischen)<br />

Probleme für einen Pyrrhoneer nur temporär auflösen<br />

können, daß ein Pyrrhoneer möglicherweise von den<br />

selben Fragen in einer mehr oder weniger fernen Zukunft<br />

„gepeitscht“ werden kann (es steht nicht in seiner Macht,<br />

ob dies eintreten wird oder nicht), und daß er sich<br />

deswegen als einen sieht, der, im Gegensatz zu den<br />

dogmatischen Philosophen, diesen Fragen gegenüber<br />

offen bleibt und weiter (unter)sucht. <strong>Wittgenstein</strong> äußerte<br />

sich meiner Meinung nach in eben diesem Sinne, als er<br />

Rhees gegenüber in bezug auf PU 133 sagte: „In my book<br />

I say that I am able to leave off with a problem in<br />

philosophy when I want to. But that’s a lie; I can’t.“ (Stern<br />

2004, S. 53.)<br />

Literatur<br />

Annas, Julia and Barnes, Jonathan 1985 The Modes of Scepticism,<br />

Cambridge: Cambridge University Press.<br />

Barnes, Jonathan 1990 The Toils of Scepticism, Cambridge:<br />

Cambridge University Press.<br />

Fogelin, Robert 2 1987 <strong>Wittgenstein</strong>, London: Routledge & Kegan<br />

Paul.<br />

Fogelin, Robert 1994 Pyrrhonian Reflections on Knowledge and<br />

Justification, Oxford: Oxford University Press.<br />

Kenny, Anthony 1973 <strong>Wittgenstein</strong>, Cambridge, MA: Harvard<br />

University Press.<br />

Sluga, Hans 2004 „<strong>Wittgenstein</strong> and Pyrrhonism“, in: Walter<br />

Sinnott-Armstrong (ed.), Pyrrhonian Skepticism, Oxford: Oxford<br />

University Press, 99-117.<br />

Stern, David G. 2004 <strong>Wittgenstein</strong>’s Philosophical Investigations.<br />

An Introduction, Cambridge: Cambridge University Press.<br />

Williams, Michael 2004 „The Agrippan Argument and Two Forms of<br />

Skepticism“, in: Walter Sinnott-Armstrong (ed.), Pyrrhonian<br />

Skepticism, Oxford: Oxford University Press, 121-145.<br />

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