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Preproceedings 2006 - Austrian Ludwig Wittgenstein Society

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einer ausgesprochen lockeren Sprache. Seine<br />

Unterscheidung der drei Welten nennt er "eine<br />

Klassifikation: nichts Besonderes" (ebda S. 99). An<br />

anderer Stelle platziert er sie in den Bereich der<br />

Metaphysik, ohne das jedoch ontologisch zu meinen (ebda<br />

S. 74).<br />

Aber er nimmt natürlich eine gewisse Plausibilität für<br />

kausale Wirkungen von Welt3 in Anspruch, und ich<br />

plädiere dafür, sich dem anzuschließen. Denn, um es mit<br />

Max Planck zu sagen: Der Freiheit des menschlichen<br />

Geistes würde es wenig helfen, sich auf den<br />

Indeterminismus der Quantenmechanik zu berufen. Für<br />

das Geistige im Menschen fordert man ja gerade, daß es<br />

die Welt zu gestalten fähig sei. Jede Zurechenbarkeit von<br />

Handlungen würde sich verflüchtigen, wollte man sich<br />

gegen das Kausalitätsprinzip auf den "blinden Zufall"<br />

berufen (Planck 1990, S. 152; dazu: Hassenstein 1978).<br />

Pluralismus der Sprachspiele und<br />

Inkommensurabilät<br />

Diese Überschrift spielt an auf einen interessanten<br />

Abschnitt in Poppers Objektiver Erkenntnis (Popper 1972,<br />

p. 153). Poppers Abneigung gegen sprachanalytisches<br />

Vorgehen um der "objektiven Probleme" willen führt immer<br />

wieder dazu, daß er auch in Fragen, die man viel besser<br />

sprachanalytisch und methodologisch formulieren könnte,<br />

lieber Anleihen bei der traditionellen Metaphysik und dem<br />

Common Sense macht. So ist es auch mit dem<br />

Pluralismus, den er lieber als einen Pluralismus der Welten<br />

einführt (in dieser Hinsicht zählt er nicht wie die Dualisten<br />

nur bis zwei, sondern unter Berufung auf Platon, die<br />

Stoiker und Moderne wie Leibniz, Frege und Bolzano bis<br />

drei) denn als einen Pluralismus von Sprachen oder<br />

Sprachspielen, die sich gewiß nicht so einfach abzählen<br />

lassen. Fairer Weise wäre allerdings hinzuzufügen, daß<br />

Popper diese Dreizahl nicht abschließend nimmt (vgl.<br />

Popper 1972, p. 106f.).<br />

Wenn ich jetzt zur Ergänzung Poppers und zur<br />

Erläuterung eines unabgeschlossenen Pluralismus der<br />

Vielheit auf ein Kriterium von Paul Feyerabend, nämlich<br />

auf dessen Prinzip der Inkommensurabilität (Feyerabend<br />

1977, S. 310ff.), zurückgreife, so geschieht das nicht ohne<br />

eine gewisse Pikanterie. War doch Feyerabend (1981, S.<br />

326 – 364) einer der ersten und schärfsten Kritiker der<br />

Welt3 Poppers, welche er einer vernichtenden Kritik<br />

unterzog. Andererseits fand er später Gefallen daran,<br />

selbst die Regentänze der Hopis für kosmologisch möglich<br />

zu erklären (1977, S. 78ff.). Da halte ich mich doch lieber<br />

zunächst an die Befolgung der Straßenverkehrsordnung<br />

und deren Auswirkung auf das Parken von Autos.<br />

Inspiriert von <strong>Wittgenstein</strong>s Sprachspielkonzept hat<br />

Paul Feyabend (1977, 1980, 1981; dazu: Duerr (ed.) 1980,<br />

1981) für einen offenen Pluralismus der Sprachspiele eine<br />

etwas schärfere Begrifflichkeit entwickelt, als man sie<br />

hierzu bei Popper findet. Feyerabend fordert zu einer<br />

methodologischen Selbstreflexion in dem Sinne auf, dass<br />

man "die Gehaltsklassen gewisser Theorien" (also<br />

Poppers Inhalte der Bücher) daraufhin untersucht, welche<br />

der "üblichen logischen Beziehungen (Einschließung,<br />

Ausschließung, Überschneidung) zwischen ihnen gilt"<br />

(1977, S. 310). Sein Ergebnis: In den allermeisten Fällen,<br />

in denen moderne Wissenschaft und Metaphysik<br />

aufeinander treffen, werde man finden, dass die<br />

Reichweite der modernen Theorien, an deren eigener<br />

Logik gemessen, gar nicht zureiche, um die von ihnen aus<br />

oft angegriffene Metaphysik in einem logisch strikten Sinne<br />

"verbieten" zu können. Diesen Sachverhalt nennt er<br />

232<br />

Das Gehirn, das Ich und die Straßenverkehrsordnung - Hermann Oetjens<br />

Inkommensurabilität. Als Beispiel nennt er die<br />

Inkommensurabilität von moderner Physik und Kosmologie<br />

der Hopis, zwischen denen aus rein logischen Gründen<br />

kein echter Widerspruch zu konstruieren sei. Seine<br />

Folgerung: "Wenn man Regentänzen eine Wirkung auf die<br />

Natur abspricht, so gibt es dafür also weder unmittelbare<br />

noch mittelbar empirische Gründe" (aaO S. 79).<br />

Das Feyerabendsche Prinzip der<br />

Inkommensurabilität orientiert sich an den Möglichkeiten<br />

deduktiver Logik, die sich bekanntlich auch der Kritische<br />

Rationalismus Poppers zum Leitfaden erkoren hat. Indem<br />

Feyerabend den Kritischen Rationalismus in diesem Sinne<br />

gewissermaßen beim Wort nimmt, zeigt er, dass, je<br />

konsequenter sich die an der Logik der deduktiven<br />

Überprüfung orientierte Rationalität sich auf eben dieses<br />

Argumentationswerkzeug besinnt, sie sich eigentlich desto<br />

weitherziger und toleranter gegenüber alternativen<br />

Weltauffassungen gebärden müßte, die sich gemäß der<br />

Inkommensurabilität außerhalb ihrer logischen Reichweite<br />

bewegen.<br />

Statt "alles geht": Ignoramus<br />

Zu dem bekannten "anything goes" Feyerabends wäre<br />

anmerken, daß man dieses "alles geht" natürlich nicht<br />

positiv in dem Sinne verstehen darf, daß etwa dadurch die<br />

Regentänze der Hopis und der mit ihnen verbundene<br />

Wirkungsanspruch als legitimiert angesehen werden<br />

könnte. Was man aufgrund der Inkommensurabilität aus<br />

der Warte der modernen Physik nur sagen könnte, wäre<br />

ein achselzuckendes "weiß nicht" oder "mag sein oder<br />

auch nicht", vielleicht auch ein vielsagendes: "möglich"<br />

(dazu: Oetjens 1983).<br />

In diesem Sinne würde das Prinzip der<br />

Inkommensurabilität zu einer Reduzierung des berühmten<br />

"ignoramus et ignorabimus" ("wir wissen es nicht und wir<br />

werden es nicht wissen") des Physiologen Du Bois-<br />

Reymond auf ein bloßes "ignoramus" nötigen, da nicht klar<br />

ist, aus welcher Theorie der Zukunftsanspruch des<br />

"ignorabimus" logisch-deduktiv ableitbar wäre. Dem<br />

würden vermutlich Popper und Eccles in Bezug auf den<br />

genauen Interdependenzzusammenhang zwischen den<br />

drei Welten zustimmen können.<br />

Der Neurodeterminismus unserer Tage ist damit<br />

offenkundig nicht zufrieden. Er räumt zwar ein derzeitiges<br />

"ignoramus" ein, fügt jedoch ein verheißungsvolles "noch"<br />

hinzu: wir wissen es "noch nicht". So proklamiert zum<br />

Beispiel ein bekanntes Manifest von elf führenden<br />

Neurobiologen (2004), dass man in nicht allzu ferner<br />

Zukunft "widerspruchsfrei Geist, Bewusstsein, Gefűhle,<br />

Willensakte und Handlungsfreiheit als natűrliche Vorgänge<br />

ansehen wird, denn sie beruhen auf biologischen<br />

Prozessen“.<br />

Programmatischer Determinismus vs.<br />

hypothetische Interdependenz zwischen<br />

den drei Popper-Welten<br />

Die ganze Diskussion um Determinismus und<br />

Willensfreiheit wäre wesentlich entspannter, wenn die<br />

Kombattanden sich etwas strikter das Prinzip der<br />

Inkommensurabilität vor Augen hielten und sich von dort<br />

aus den erkenntnistheoretischen Status ihrer jeweils<br />

vertretenen Positionen klar machten. Niemand hätte etwas<br />

gegen einen Neurodeterminismus einzuwenden, der sich<br />

selbst als Forschungsprogramm deklarierte, welches unter<br />

dem leitenden Erkenntnisinteresse steht, die

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