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Preproceedings 2006 - Austrian Ludwig Wittgenstein Society

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Kann eine Person als Urheber ihrer Handlungen verstanden<br />

werden, wenn sie keine alternativen Möglichkeiten hat?<br />

Benedikt Schick, University of Innsbruck, Austria<br />

1. Das Prinzip der alternativen<br />

Möglichkeiten (PAP)<br />

In unserer alltäglichen, lebensweltlichen Erfahrung<br />

erscheint uns die Zukunft als offen. Sie erstreckt sich vor<br />

uns wie ein mehr oder weniger unbestimmter Raum von<br />

Möglichkeiten, den wir als Handelnde gestalten können.<br />

Als Handelnde nehmen wir Einfluss auf die zukünftigen<br />

Zustände der Welt. Mit dieser Vorstellung ist in unserer<br />

lebensweltlichen Erfahrung die Idee der Freiheit verknüpft,<br />

und damit wiederum ist die Idee der Verantwortlichkeit<br />

verbunden. Als ein wesentliches Element der Idee von<br />

Verantwortlichkeit gilt das von Harry G. Frankfurt so<br />

genannte Prinzip der alternativen Möglichkeiten, kurz PAP<br />

(„principle of alternate possibilities“, Frankfurt 1969). Es<br />

besagt, dass eine Person nur dann moralisch<br />

verantwortlich ist für das, was sie getan hat, wenn sie auch<br />

etwas anderes getan haben könnte.<br />

PAP scheint eine in unseren alltäglichen<br />

Auffassungen fest verwurzelte Grundintuition über<br />

Verantwortlichkeit auszudrücken. So machen wir<br />

beispielsweise Jones nur dann dafür verantwortlich, dass<br />

er das Auto seines Onkels gestohlen hat, wenn er es auch<br />

hätte lassen können. Auf der anderen Seite sind wir<br />

geneigt, jemanden von der Verantwortung los zu<br />

sprechen, falls es als sicher gelten kann, dass er oder sie<br />

gar nicht anders handeln konnte. Bietet sich in einer<br />

bestimmten Situation nur eine einzige, alternativlose<br />

Option, so scheint Freiheit und damit Verantwortlichkeit<br />

unmöglich zu werden. Der Ausruf „Ich konnte gar nicht<br />

anders handeln!“ wird, soweit er glaubwürdig ist, als<br />

Entschuldigung akzeptiert.<br />

Die intuitive Plausibilität von PAP findet ihren<br />

Niederschlag auch in der fachphilosophischen Debatte<br />

über den angemessenen Begriff von Willensfreiheit.<br />

Alternative Möglichleiten zu haben, scheint zumindest ein<br />

wichtiges Element jeder brauchbaren Explikation von<br />

Freiheit zu sein. Stellvertretend sei auf Henrik Walters<br />

Drei-Komponenten-Modell verwiesen (Walter<br />

298<br />

2 1999).<br />

Walter unterscheidet drei verschiedene Komponenten, die<br />

jedes Konzept von Freiheit, das den Namen Freiheit zu<br />

Recht beanspruchen kann, in irgendeiner Weise<br />

integrieren muss. Die drei Komponenten sind erstens<br />

Alternativismus, zweitens Intelligibilität und drittens<br />

Urheberschaft. Diese drei Komponenten repräsentieren<br />

jeweils einen Aspekt, den wir mit der Idee der Freiheit<br />

verbinden, auch wenn es vorläufig noch nicht so klar und<br />

präzise ist, worin genau dieser Aspekt besteht. In einem<br />

noch vagen Sinn strukturieren die drei Komponenten die<br />

Idee der Freiheit: Frei sind wir erstens, wenn wir mehrere<br />

Möglichkeiten haben, und nicht auf eine festgelegt sind<br />

(Alternativismus). Frei sind wir zweitens, wenn wir unser<br />

Verhalten durch verstehbare und rationale Gründe<br />

kontrollieren können (Intelligibilität), nicht dagegen wenn<br />

es dem blanken Zufall unterworfen ist. Frei sind wir<br />

drittens, insofern wir selbst uns als die Urheber unserer<br />

Handlungen verstehen können (Urheberschaft), und nicht<br />

als Marionetten externer Prozesse.<br />

Die Debatte über die Geltung von PAP betrifft die<br />

erste Freiheitskomponente in Walters Modell. Es geht um<br />

die Frage, inwieweit Alternativismus eine notwendige<br />

Bedingung ist für eine Form von Freiheit, die hinreicht, um<br />

Personen für ihre Handlungen verantwortlich zu machen.<br />

2. Frankfurt-Fälle<br />

In seinem berühmten Artikel „Alternate possibilities and<br />

moral responsibility“ entwickelt Frankfurt ein<br />

Gedankenexperiment (einen so genannten Frankfurt-Fall),<br />

das zeigen soll, dass PAP falsch ist, bzw. dass man auf<br />

den Alternativismus grundsätzlich verzichten kann ohne<br />

das Konzept der Verantwortlichkeit preisgeben zu müssen.<br />

Ein Frankfurt-Fall ist dadurch gekennzeichnet, dass eine<br />

Person, z.B. Jones in einer bestimmten Situation S von<br />

sich aus eine bestimmte Handlung A vollzieht, ohne dabei<br />

zu wissen, dass die Situation S gar keine andere<br />

Handlung außer der vollzogenen Handlung A zugelassen<br />

hätte. Eine solche Situation soll kurz skizziert werden:<br />

Nehmen wir an, dass eine Person namens Black<br />

aus irgendeinem Grund will, dass Jones das Auto seines<br />

Onkels stiehlt. Black ist ein hervorragender Neuro-Chirurg,<br />

er kann mit Hilfe eines Apparats Jones’ Gehirn<br />

manipulieren, sodass Jones unfehlbar die Entscheidung<br />

trifft, das Auto zu stehlen und diesen Entschluss dann<br />

auch ausführt. Weiter nehmen wir an, dass Black nur dann<br />

manipulierend eingreift, wenn Jones nicht von sich aus die<br />

Entscheidung trifft, das Auto zu stehlen. Black beobachtet<br />

daher Jones’ Hirnzustände, um zu kontrollieren, ob Jones<br />

tatsächlich von sich aus die gewünschte Entscheidung<br />

treffen wird. Drittens nehmen wir an, dass Jones in einem<br />

konkreten Fall tatsächlich von sich aus entscheidet, das<br />

Auto zu stehlen und es dann auch tut. In diesem Fall greift<br />

Black also überhaupt nicht in das Geschehen ein. Wie<br />

wäre ein solcher Fall zu beurteilen? Zum einen haben wir<br />

die starke Intuition, dass Jones verantwortlich für den<br />

Diebstahl ist, schließlich hat er selbst die Entscheidung<br />

getroffen ohne dabei, im faktisch stattfindenden Szenario,<br />

irgendwie manipuliert worden zu sein, zum andern scheint<br />

es so zu sein, dass er keine andere Möglichkeit hatte, als<br />

den Wagen zu stehlen, denn schließlich hat Black im<br />

Hintergrund sichergestellt, dass nur diese eine<br />

Entscheidung möglich war. Black fungiert in diesem<br />

Beispiel als kontrafaktischer Eingreifer. Sind diese beiden<br />

Beurteilungen zutreffend, dann muss PAP falsch sein.<br />

Für das Funktionieren eines Frankfurt-Falles sind<br />

zwei Aspekte grundlegend. Zum einen müssen alternative<br />

Handlungsverläufe tatsächlich ausgeschlossen sein, dies<br />

wird im genannten Beispiel durch die Existenz eines<br />

kontrafaktischen Eingreifers sichergestellt. Allgemeiner<br />

kann man sagen, ein Frankfurt-Fall muss so konstruiert<br />

sein, dass er Umstände beinhaltet, die Alternativen<br />

unmöglich machen. Zum zweiten muss es plausibel<br />

bleiben, dass die betreffende Person, Jones, auch wirklich<br />

als Urheber der entsprechenden Handlung gelten kann,<br />

dies wird im Beispiel dadurch erreicht, dass Black gar nicht<br />

eingreift. Im faktisch stattfindenden Szenario nehmen also<br />

diejenigen Umstände, die alternative Möglichkeiten<br />

ausschließen, überhaupt keinen Einfluss auf den<br />

tatsächlichen Handlungsverlauf. Da diese Umstände<br />

genauso vollkommen wirkungslos bleiben, wie wenn sie

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