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Preproceedings 2006 - Austrian Ludwig Wittgenstein Society

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Substanz, Kausalität und Freiheit<br />

Pedro Schmechtig, Technical University of Dresden, Germany<br />

I. Einführung<br />

Libertarianistische Konzeptionen der Handlungs- und<br />

Entscheidungsfreiheit werden gegenwärtig anhand von<br />

drei unterschiedlichen Ansätzen diskutiert: (a) Nichtkausale<br />

Theorien (Ginet 1990, McCann 1998) gehen<br />

davon aus, dass eine Handlung H nur dann frei ist, wenn<br />

es keine Entität gibt, durch die H verursacht wurde; (b)<br />

Indeterministisch-kausale Ansätze (Mele 1995, Ekstrom<br />

2000) betrachten eine Handlung H hingegen als frei, wenn<br />

H durch die mentalen Prozesse des Akteurs auf nichtdeterministische<br />

Weise verursacht wurde; (c) Und im<br />

Rahmen von klassischen Akteurskausalitäts-Theorien<br />

(Chisholm 1985, Taylor 1966) wird eine Handlung H<br />

solange für frei gehalten, wie sie durch ein substanzielles<br />

Einzelding – nämlich den Akteur selbst – verursacht ist.<br />

Unter ontologischen Gesichtspunkten stellen<br />

Ansätze, die unter (c) fallen eine besondere<br />

Herausforderung dar, da sie auf starken metaphysischen<br />

Annahmen beruhen, wie das Verhältnis von Kausalität und<br />

Freiheit im Handlungszusammenhang zu denken ist.<br />

Einerseits teilen sie mit den unter (a) angeführten nichtkausalen<br />

Theorien die Auffassung, dass freie Handlungen<br />

nicht auf eine der verschiedenen reduktionistischen<br />

Varianten der Ereigniskausalität zurückzuführen sind (z. B.<br />

Regularitätsthese, kontrafaktische Analyse oder<br />

probabilistischer Ansatz). Andererseits halten sie zwar<br />

daran fest, dass Handlungen das kausale Produkt der<br />

motivationalen Zustände einer Person sind, bezweifeln<br />

jedoch, dass sich allein auf dieser Grundlage erklären<br />

ließe, worin der libertarianistische Gedanke einer freien<br />

Entscheidung besteht.<br />

Als Gegenentwurf wird eine Art Substanzkausalität<br />

propagiert, die das Ziel hat, den interventionistischen<br />

Charakter menschlicher Handlungen in den Vordergrund<br />

zu rücken. Dieser Vorschlag beinhaltet jedoch zwei<br />

weitreichende Konsequenzen: Erstens wird davon<br />

ausgegangen, dass zwischen dem traditionellen<br />

Verständnis von Kausalität – beruhend auf einem<br />

deterministischen Begriff der Ereignisverursachung – und<br />

dem vorgeschlagenen Akteurskonzept eine nicht zu<br />

überwindende Kluft besteht, die daher rührt, dass Akteure,<br />

obgleich sie in der Lage sind bestimmte Ereignisse selbst<br />

zu initiieren, nicht der Verursachung eines<br />

vorausgehenden Ereignisses unterliegen. Damit hofft man<br />

dem allgemeinen Dilemma zu entgehen, dass freie<br />

Handlungen weder im Sinne einer vollständigen<br />

Verursachung extern determiniert sind, noch rein zufällig,<br />

auf der Basis glücklicher Umstände zustande kommen –<br />

denn in beiden Fällen wäre die Handlung der kausalen<br />

Kontrolle des Akteurs entzogen. Zweitens folgt, dass<br />

dasjenige Glied einer kausalen Relation, welches die<br />

Handlung oder einen mentalen Zustand verursacht, selbst<br />

kein Ereignis ist, sondern ein unabhängiges substanzielles<br />

Einzelding; und da solche Einzeldinge über die Zeit<br />

hinweg immer vollständig gegenwärtig sind, ist man<br />

zugleich auf die Behauptung verpflichtet, dass Akteure<br />

endurantistische Objekte im herkömmlichen Sinne sind<br />

(O’Connor 2002).<br />

Beide Konsequenzen und die Tatsache, dass<br />

letztlich nicht klar ist, was sich genau genommen hinter<br />

dem Begriff der Substanzkausalität verbirgt, haben Anlass<br />

302<br />

zu zahlreichen Einwänden gegeben (Aune 1977, Broad<br />

1952, Ginet 1990, van Inwagen 2002), die Vertreter des<br />

Akteurskonzepts in jüngster Zeit dazu bewogen haben,<br />

den ursprünglichen Ansatz einer nicht unbedeutsamen<br />

Revision zu unterziehen (Chisholm 1995, Clarke 1996,<br />

Markosian 1999, van Wachter 2003). Ausgangspunkt ist<br />

die These, dass es offenkundig ein Fehler war, darauf zu<br />

bestehen, dass sich Akteurs- und Ereigniskausalität<br />

unversöhnlich gegenüberstehen. Vielmehr muss es darum<br />

gehen, die traditionelle Sichtweise zu überwinden, wonach<br />

bei der Verursachung einer freien Handlung immer nur<br />

eine kausale Determinante im Spiel ist. Betrachtet man<br />

das Hervorbringen einer Handlung als ein komplexes kodeterminiertes<br />

Geschehen, das sich aus der simultanen<br />

Verschmelzung zweier nicht miteinander identischer<br />

Verursachungsketten zusammensetzt (‚double causation’)<br />

– wobei es einige Phasen des initiierten<br />

Handlungsereignisses gibt, die durch vorangegangene<br />

Ereignisse nicht-deterministisch verursacht wurden, und<br />

mindestens eine weitere Phase existiert, die der Akteur<br />

direkt, ohne eine vorhergehende Verursachung aufgrund<br />

seiner spontanen Entscheidung bewirkt hat – dann scheint<br />

der im Vorfeld behauptete Gegensatz hinfällig zu sein.<br />

Gemäß einer moderaten Lesart der Akteurskausalität sind<br />

beide Formen der Kausalität genau dann miteinander<br />

vereinbar, wenn man die Art der Ereignisverursachung –<br />

ähnlich der unter (b) angeführten Theorien – als<br />

indeterministisch betrachtet.<br />

Vertreter der moderaten Variante sind der Ansicht,<br />

dass die Annahme einer indeterministischen<br />

Ereignisverursachung nicht nur große Vorteile für die<br />

entsprechende Handlungserklärung bringt, sondern auch<br />

für eine höhere Plausibilität der Akteurskausalität sorgt.<br />

Aufgrund der Vereinbarkeit beider Konzepte soll es unter<br />

anderem möglich sein, den Standardeinwand zu<br />

entkräften, der besagt, dass Akteure, die als substanzielle<br />

Einzeldinge aufgefasst werden, nicht damit verträglich<br />

sind, dass Ursachen zeitlich datierbare Entitäten sind.<br />

Demgegenüber werde ich deutlich machen, dass auch ein<br />

moderater Ansatz der Akteurskausalität nicht in der Lage<br />

ist, für dieses Problem eine befriedigende Antwort zu<br />

liefern. Generell wird es sich als fraglich erweisen, ob der<br />

Rückgriff auf ein indeterministisches Verständnis der<br />

Ereigniskausalität wirklich geeignet ist, die<br />

inkompatibilistischen Intuitionen zu stützen, die mit einer<br />

libertarianistischen Auffassung der Handlungs- und<br />

Entscheidungsfreiheit für gewöhnlich verbunden sind.<br />

II. Das Problem der zeitlichen Verursachung<br />

Die Möglichkeit einer auf substanziellen Einzeldingen<br />

basierenden Akteurskausalität wurde bereits sehr früh<br />

durch einen Einwand von C. D. Broad (1952) attackiert:<br />

„ I see no prima facie objection to there being events<br />

that are not completely determined. But, in so far as an<br />

event is determined, an essential factor in its total<br />

causes must be other events. How can an event<br />

possibly be determined to happen at a certain date if its<br />

total cause contained no factor to which the notion of<br />

date has any application? And how can the notion of<br />

date have any application to anything that is not an<br />

event?” (Broad 1952, 215).

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