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Preproceedings 2006 - Austrian Ludwig Wittgenstein Society

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Zar'a-Jacob und Walda-Heiwat über die Rationalität religiöser<br />

Aussagen – Ein Beitrag zur äthiopischen Religionsphilosophie des<br />

17. Jahrhunderts<br />

Andrej Krause, University of Halle-Wittenberg, Germany<br />

1. Einführung<br />

Im Besitz der Nationalbibliothek in Paris befindet sich eine<br />

größere Anzahl äthiopischer Manuskripte, unter anderem<br />

das Manuskript 215 der Sammlung von Antoine d'Abbadie<br />

(vgl. d'Abbadie 1859). Dieses enthält zwei Abhandlungen,<br />

eine von Zar'a-Jacob und eine von seinem Schüler Walda-<br />

Heiwat. 1 Beide Philosophen lebten im 17. Jahrhundert in<br />

Äthiopien. Zar'a-Jacob wird 1599 in der Gegend von Axum<br />

geboren. In den Kirchen- und Klosterschulen lernt er die<br />

philosophisch-theologische Tradition seines Landes<br />

kennen. Danach ist er als Schreiber und Lehrer tätig.<br />

1667, im Alter von 68 Jahren, vollendet er seine<br />

Abhandlung, zu der sich beispielsweise Hermann Cohen<br />

und Benno Erdmann anerkennend äußern (vgl. Cohen<br />

1916/17, 201, Erdmann 1916, IX). 1692 stirbt er in<br />

Enferaz, einem Ort am Ostufer des Tana-Sees, der Quelle<br />

des Blauen Nils. Walda-Heiwat ist sein unmittelbarer<br />

Schüler. Er wird in Enferaz, vermutlich um 1626 geboren.<br />

Seine Schrift verfaßt er etwa um das Todesjahr des Zar'a-<br />

Jacob.<br />

Beide Denker sind Monotheisten, es ist jedoch<br />

schwierig anzugeben, welcher Konfession sie angehören<br />

(vgl. UZJ 35 [28rv], UWH 207 [37v] 2 ). Von Zar'a-Jacob<br />

wissen wir, daß er getauft ist (vgl. UZJ 3 [1v]). Er lehrt und<br />

kopiert als Schreiber die Psalmen, zitiert sie auch<br />

zustimmend, wenngleich er andere Bemerkungen der<br />

Bibel gelegentlich kritisiert. Walda-Heiwat zitiert ebenfalls<br />

die Bibel, allerdings viel seltener.<br />

Im folgenden soll es darum gehen, in einer ersten<br />

Annäherung den Stellenwert, den Zar'a-Jacob und Walda-<br />

Heiwat in ihren Traktaten der menschlichen Vernunft bei<br />

der Behandlung von Glaubensfragen einräumen, zu<br />

erörtern und an Hand ihrer Begründungen für die<br />

Annahme der Existenz Gottes darzustellen.<br />

2. Fides sine inquisitione non exigitur<br />

Den religiösen Glauben seiner Zeitgenossen kritisierend,<br />

schreibt Zar'a-Jacob:<br />

Wiederum sann ich nach und sprach: "Warum verstehen<br />

denn alle Menschen nicht die Wahrheit, sondern<br />

[glauben an] 3 das Falsche?" Da schien mir der Grund zu<br />

sein, daß die Natur der Menschen schwach und träge<br />

ist. ... Und deswegen wollen die Menschen nicht<br />

nachforschen, sondern glauben eilends an das, was sie<br />

1 Die Authentizität dieser Schriften wurde von Sumner 1976, 61-275,<br />

nachgewiesen. Littmann hat beide Texte kritisch ediert (vgl. Littmann 1904a),<br />

ins Lateinische (vgl. Littmann 1904b) sowie den ersten ins Deutsche (vgl.<br />

Littmann 1916) übertragen. Eine vollständige Übersetzung beider<br />

Abhandlungen ins Deutsche, angefertigt von Amsalu Aklilu und Hopfmann, ist<br />

in Hopfmann 1992 enthalten. Littmann folgend, seien beide Abhandlungen<br />

Untersuchung (Hatäta) genannt. Zitiert werde Zar'a-Jacob nach Littmann 1916<br />

(UZJ) und Walda-Heiwat nach Hopfmann 1992 (UWH), wobei neben der<br />

Seitenzahl die Referenzstellen des äthiopischen Manuskriptes in eckigen<br />

Klammern angeben sind. Die Schreibweise der Namen entspricht der in<br />

Littmann 1916.<br />

2 In der Übersetzung von Amsalu Aklilu und Hopfmann fehlt an dieser Stelle<br />

offensichtlich ein Satz. In diesem wird der Glaube des Moses erwähnt. Vgl.<br />

Littmann 1904a, 65, emendanda zu p. 34, l. 22, Littmann 1904b, p. 34, l. 19.<br />

3 In eckige Klammern gesetzte Einschübe stammen von Littmann.<br />

von ihren Vätern gehört haben, ohne es zu prüfen. ...<br />

Sie glauben an all das nicht etwa, weil sie durch<br />

Forschen es als wahr erfunden hätten, sondern sie<br />

glauben daran, weil sie es von ihren Vorfahren gehört<br />

haben (UZJ 10f. [7r-8r]).<br />

Die Menschen sollen sich also nicht ohne weiteres<br />

auf die religiösen Aussagen der Tradition verlassen, da<br />

diese oft falsch sind. Wenn viele dennoch unkritisch an<br />

religiösen Überlieferungen festhalten, so deshalb, weil<br />

diese Menschen zu schwach und zu träge sind, um das<br />

Gesagte zu prüfen. Zar'a-Jacob zufolge muß man in<br />

religiösen Dingen seine Vernunft gebrauchen. Religiöser<br />

Glaube soll nicht nur nach Einsicht suchen - fides<br />

quaerens intellectum -, religiöse Aussagen können und<br />

sollen auch eingesehen werden. Letzteres ist möglich, weil<br />

die menschliche Vernunft in Gott ihren Ursprung hat und<br />

Gott den Menschen nicht täuscht (vgl. UZJ 11-13 [8r-9v]).<br />

Ähnlich äußert sich Walda-Heiwat. Er kritisiert<br />

diejenigen, die ohne Untersuchung die Religion ihrer Väter<br />

übernehmen:<br />

Es gibt keinen anderen Grund für ihren Glauben als den<br />

genannten; weil sie Kinder ihrer Väter sind und weil sie<br />

in ihrer Kindheit gehört haben, daß die Religion ihrer<br />

Väter richtig ist. Und sie haben daran ohne<br />

Untersuchung oder Kenntnis geglaubt (UWH 200 [32r]).<br />

Man dürfe an das, was man mündlich oder<br />

schriftlich gelehrt bekommen habe, nicht glauben, solange<br />

man es nicht geprüft und als wahr befunden habe (vgl.<br />

UWH 201 [32v-33r]). Da die Vernunft ein Geschenk Gottes<br />

ist, versetzt sie den Menschen in die Lage, die Wahrheit zu<br />

erkennen (vgl. UWH 202, 209 [33r, 38v-39r]).<br />

Beide Philosophen vertreten nicht nur die Meinung,<br />

daß es so etwas wie eine natürliche Theologie gibt, daß<br />

also gewisse Inhalte des religiösen Glaubens der<br />

menschlichen Vernunft zugänglich sind, sondern sie sind<br />

der stärkeren Auffassung, daß Theologie auf natürliche<br />

Theologie reduziert werden muß, daß also alle Inhalte des<br />

religiösen Glaubens der menschlichen Vernunft zugänglich<br />

sein müssen und daß es insbesondere überflüssig ist,<br />

einen Bereich von Glaubenswahrheiten anzunehmen, der<br />

nicht prinzipiell eingesehen werden kann. Walda-Heiwat<br />

schreibt das an mehreren Stellen auch ausdrücklich:<br />

Damit ich nicht in meinem Glauben falsch geleitet<br />

werde, glaube ich an nichts, mit Ausnahme dessen, was<br />

Gott mir durch das Licht meines Verstandes offenbarte<br />

(UWH 207 [37v]).<br />

Ein Glaube ohne Untersuchung ist von Gott nicht<br />

gefordert und entspricht nicht der Natur der rationalen<br />

Kreatur (UWH 208 [38v]). 4<br />

Der Glaube, den unser Verstand uns zeigt, ist größer als<br />

alle versteckten Geheimnisse ... (UWH 211 [40v]).<br />

4 In der lateinischen Übertragung von Littmann: "Fides autem sine inquisitione<br />

non exigitur a Deo neque congruit cum natura creaturae rationalis" (p. 35, l.<br />

13-15).<br />

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