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Preproceedings 2006 - Austrian Ludwig Wittgenstein Society

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Hier erweitert sich eine philosophische und linguistische<br />

Frage zu einer psychologischen, sozialpsychologischen<br />

und auch soziologischen Frage.<br />

In Sprachen gibt es auch viel Variation, von<br />

Dialekten und Idiolekten bis zur Hochsprache, so dass<br />

man innerhalb einer Sprache Probleme hat, die Sprache<br />

eindeutig zu definieren. Die Berücksichtigung der<br />

Redeweisen von zweisprachigen Personen oder Lernern<br />

verkompliziert die Problemlage beträchtlich. Eine Sprache<br />

hat dazu noch (mündlich und schriftlich) so viele<br />

verschiedene historische Schichten, dass man fragen<br />

muss, wann und aus welchen Gründen die jeweils<br />

gegebene Instanzierung der Sprache als die jetzige<br />

offiziell akzeptierte Sprache zu identifizieren ist.<br />

Wessen Finnisch ist finnisch, wessen Deutsch ist<br />

deutsch? Kann man diese Fragen nur in Bezug auf die<br />

Gesellschaft und von einem interaktiven Gesichtspunkt<br />

antworten? Zum Beispiel werden bei kleinen Kindern, die<br />

in einer einsprachigen Umgebung aufwachsen, schon die<br />

ersten sprachähnlichen Wörter für richtige Wörter der<br />

eigenen Sprache gehalten, während bei einem Lerner die<br />

Zuhörer gewöhnlich viel ungeduldiger sind, seine sogar mit<br />

denen vom Kind ausgesprochenen Ausdrücken völlig<br />

identischen Äuβerungen als echte Sprache zu<br />

akzeptieren. Gibt es überhaupt richtige, objektive<br />

sprachinterne Antworten auf die obigen Fragen? (S.<br />

Latomaa 1996.) Oder sollen wir anders fragen: welches<br />

Finnisch ist echt finnisch und welches Deutsch ist echt<br />

deutsch? Welche Sprachzüge gehören unvermeidlich zu<br />

einer Einzelsprache, wie viele Prozent der sog. korrekten<br />

Formulierungen bei den Ausdrücken machen diese zu den<br />

Ausdrücken einer bestimmten Sprache?<br />

Damit man eine Konstruktion theoretisch als eine<br />

Sprache identifizieren kann, soll man bestimmte Kriterien<br />

anwenden, die diese Konstruktion zu einer Sprache<br />

macht. Zu einer Sprache gehören Syntax, Semantik und<br />

Pragmatik, aber auch Phonologie, Morphologie und<br />

Lexikon. (Vgl. Reichenbach 1947, 15–16, siehe Buβmann<br />

2002.) Die Ausdrücke eines Lerners können eine solche<br />

Ganzheit bilden, die schon als eine bestimmte, echte<br />

Sprache zu erkennen ist. Es gibt auch weitentwickelte<br />

Testsysteme, durch die die Sprachkenntnisse eines<br />

Lerners zu prüfen und einzustufen sind (s. Europarat<br />

2001). Aber die minimalen Kriterien zu finden, die eine<br />

Lernersprache zu erfüllen hat, um die gewollte Sprache zu<br />

sein, ist gar nicht einfach. Erstens muss die Lernersprache<br />

eine Konstruktion sein, die man theoretisch schon für eine<br />

Sprache halten kann. Zweitens muss die Lernersprache<br />

genug Ähnlichkeit mit der gewollten Sprache haben und<br />

Korrektheit auf allen Stufen aufweisen, um ausreichend für<br />

die Kommunikation zu sein.<br />

Vielleicht gibt es keine ganz klaren objektiven<br />

Kriterien, vielleicht geht es in der Frage um die Definition<br />

letztlich wirklich um das gegenseitige Verstehen. Die<br />

Sprache ist, wie gesagt, auch Semantik und Pragmatik,<br />

nicht bloβ Syntax. Ich kann zehn griechische Wörter<br />

nacheinander sagen, aber wenn diese Liste keinen<br />

weiteren Sinn hat, ist es dennoch Griechisch? Es kann<br />

auch passieren, dass alle verwendeten Wörter somit die<br />

ganze Syntax und Semantik vollständig in Ordnung sind<br />

und der andere aber doch nicht versteht: Ein Kind hört zu,<br />

wie eine ausländische Studentin ein Märchen in seiner<br />

Sprache vorliest. Danach fragt das Kind: „In welcher<br />

Sprache hat sie gelesen?“ Es war die Aussprache, die das<br />

Gelesene unverständlich machte. Manchmal wiederum<br />

gelingt das gegenseitige Verstehen beinahe ohne<br />

Sprache, mit Gesten und Mienen.<br />

Sprache im interkulturellen Dialog - Kirsti Siitonen<br />

3. Wie erleichtert die Kenntnis gewisser<br />

logischer Prinzipien das Lernen<br />

Das zu definieren, wann eine Sprache die gemeinte<br />

Sprache ist, ist schwierig. Die Frage ruft<br />

Gedankenexperimente hervor. Ein Thema ist, wie die zu<br />

lernende Sprache der Zielsprache näher zu bringen sei.<br />

Es gibt einige allgemeine pädagogische sowie<br />

sprachinterne Prinzipien, die die Lehrer/Lerner ausnützen<br />

können, um den Lernprozess zu erleichtern. Die<br />

letztgenannten Prinzipien haben die jeweiligen<br />

philologischen Untersuchungen entblöβt. Freilich werden<br />

in den Unterrichtsituationen solche allgemeinen Prinzipien<br />

leicht vergessen. Da geht es oft nur um die Übung einiger<br />

konkrete Sätze.<br />

In dem Buch <strong>Wittgenstein</strong> und der Wiener Kreis sind<br />

einige Gespräche von <strong>Wittgenstein</strong> und Schlick<br />

aufgezeichnet worden. Es wird (S. 45–47) bestätigt, dass<br />

die Teilnehmer nicht voraussetzen, dass es zwei Sprachen<br />

– die Umgangssprache und die sog. primäre Sprache –<br />

gäbe. Nur setzen sie voraus, dass die Umgangssprache<br />

von den in ihr steckenden Unklarheiten befreit werden soll.<br />

(Das ist wohl eine groβe Herausforderung.) Sie entwickeln<br />

weiter ihre Gedanken: zur Darstellung der Verhältnisse<br />

von zwei natürlichen Sprachen kann eine künstliche<br />

Symbolik doch nützlich sein. Sie kritisieren aber Frege,<br />

Peano und Russell darüber, dass diese bei dem Aufbau<br />

der symbolischen Logik immer nur die Mathematik und<br />

nicht die wirklichen Sachverhalte im Auge gehabt haben.<br />

Die Symbole können sehr schön einfache logische<br />

Verhältnisse erläutern, aber die gewöhnliche Sprache<br />

zeigt sofort, dass es für ein Symbol in Wirklichkeit<br />

zahlreiche substituierende und dadurch auch unmögliche<br />

Wörter gibt. Ein schönes Beispiel im Gespräch ist das<br />

Problem mit rechts und süβ: es scheint auf den ersten<br />

Blick so zu sein, dass das Paar rechts – links dem Paar<br />

süβ – bitter entspricht. Man kann wohl sagen mehr rechts<br />

wie auch süβer, aber …liegt süβ von… geht nicht, obwohl<br />

…liegt rechts von… völlig korrekt ist. Dieses ist als<br />

Gedankenspiel der Muttersprachler schon ergiebig, aber<br />

wenn man an die Vielfalt des Vokabulars und an dessen<br />

Systematisierung in die bestimmten Wortklassen und in<br />

die bestimmten semantischen Gruppen bei dem<br />

Spracherwerb denkt, versteht man sofort, wie oft eigentlich<br />

falsche Substituierungen vorkommen können. Dieses<br />

macht es auch verständlich, wie schwierig es ist die<br />

problematischen Fälle den Non-native-speakers zu<br />

erklären, geschweige denn die Unklarheiten von der<br />

Umgangssprache zu beseitigen (s. oben).<br />

Es ist möglich im Prinzip aller natürlichen Sprachen<br />

durch formale Systeme zu beschreiben und zu<br />

vergleichen; mit logischen Mitteln, sowie auch z.B. durch<br />

die Verwendung der Ideen der konzeptuellen Semantik<br />

(Jackendoff 1990). Man kommt ziemlich weit, wenn man<br />

die gröβeren Konstruktionen formal untersucht und<br />

gewisse Einzelheiten nicht berücksichtigt. Z.B. lassen sich<br />

die kausativen, antikausativen und intentionalen<br />

Beziehungen und Strukturen in verschiedenen Sprachen<br />

mit den Mitteln der konzeptuellen Semantik miteinander<br />

vergleichen.<br />

Die Lerner einer Sprache sprechen die sog.<br />

Lernersprache oder Intersprache (engl. interlanguage).<br />

Wie bekannt, ist die Lernersprache theoretisch gesehen<br />

oft ein systematisches Geschöpf, in dem die Regeln des<br />

Lerners eine Struktur bilden. Im interkulturellen Dialog<br />

kennen die Laien diese Sachlage nicht, sondern können<br />

mehr oder weniger gereizt sein, wenn der Lerner z.B. zu<br />

einer bestimmten Abweichung noch eine andere ähnliche<br />

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