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Preproceedings 2006 - Austrian Ludwig Wittgenstein Society

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Abweichung in seinem Sprachgebrauch produziert. Sie<br />

wollen nicht einsehen, dass es da eine Logik gibt, die zu<br />

dieser Häufung der Abweichungen zwingt. Die<br />

Kumulationseffekte der logischen Missverständnisse der<br />

Sprachstruktur sind eine Tatsache; natürlich wirken sie<br />

auch störend. Aber weil sie systematisch sind, wird deren<br />

Abbau dem Lerner ziemlich leicht vorkommen, wenn er<br />

einmal die Einsicht in seine nicht-korrekten Vermutungen<br />

bekommt. Noch besser ist es, wenn er einen Lehrer hat,<br />

der Erfahrungen über die Wurzeln und Routen der<br />

Missverständnisse hätte. Im Finnischen kommt es oft vor,<br />

dass der Lerner das Wort nicht identifiziert hat, weil der<br />

Stamm in einer Form anders aussieht als in einer anderen<br />

(z.B. sind wohl mäellä sowohl als auch mäkeä Formen des<br />

Wortes mäki ‚Hügel’). Ein deutschsprachiger Lerner kann<br />

das Objekt in einem Satz durch die deutsche Grammatik<br />

interpretieren und dabei doch die finnischen Regeln wohl<br />

systematisch folgen. Dieses wäre dadurch zu erklären,<br />

dass er die deutsche Begriffsbildung auf die von ihm<br />

produzierten Sätze bezieht.<br />

Aufgrund der angeführten Beispiele können wir nun<br />

folgende These festhalten: In einem interkulturellen Dialog<br />

soll man fähig sein, die eigene Sprache von einem<br />

allgemeinen Gesichtspunkt zu sehen. Und was interessant<br />

zu sehen ist: Dies lernen die Teilnehmenden allmählich.<br />

Durch das Kennen einiger allgemeiner Prinzipien könnte<br />

man das gegenseitige Verstehen beschleunigen. Dem<br />

Lerner sind unter anderem die folgenden Neigungen<br />

typisch: Bestrebung zur Systematik (wenn eine falsche<br />

Vorstellung zugrunde liegt, häufen sich die<br />

Missverständnisse; siehe oben), Vermeidung von<br />

Asymmetrie, Ignorieren der kognitiven Neuigkeiten und<br />

Bedürfnis, Agensstrukturen zu verstehen (s. Ellis 1994, 56,<br />

68, 326, 374–375.)<br />

Das Vokabular einer Sprache ist weit und<br />

vielschichtig; um das zu lernen, muss sich jeder viel Mühe<br />

geben. Es gibt aber jeweils bestimmte spracheigene<br />

logische oder unlogische [!] Strukturen, die die Non-nativespeakers<br />

ab und zu sogar genauer bemerken als die<br />

Muttersprachler.<br />

Der Lerner sucht die Symmetrie. Wenn es in der zu<br />

lernenden Sprache Asymmetrie gibt, wie es unvermeidlich<br />

doch manchmal der Fall ist, wird Lernen schwierig, sogar<br />

in denjenigen Fällen in denen es in der eigenen Sprache<br />

eine ähnliche Asymmetrie gibt. Z.B. hat man im Deutschen<br />

die Endung -er für jemanden, der etwas macht (fahren ><br />

der Fahrer). Wenn ein Verb vorkommt, in dem dieses sich<br />

nicht verwirklicht, wird es für einen Lerner schwierig. Man<br />

kann z.B. von dem häufig vorkommenden Verb sitzen ein<br />

Substantiv Sitzer bilden; es passt wohl in dem folgenden<br />

Zusammenhang SOFA 2-Sitzer DOMINA (www-Seiten<br />

eco-trade.de 17.4.<strong>2006</strong>), aber dieses bezieht sich nicht auf<br />

einen Menschen, der sitzt. Einige Wörter im Finnischen<br />

enthalten einen positiven Zug in sich, einige andere<br />

wiederum einen negativen. Man kann aber die meisten<br />

von den beiden Typen auch in einer umgekehrten<br />

Situation benutzen – freilich soll dabei ein Merkmal für<br />

diesen umgekehrten Gebrauch hinzugefügt werden.<br />

Wegen der Symmetrie wollen die Lerner ein Merkmal auch<br />

in gegensätzlichen Fällen gebrauchen. Das ist aber nicht<br />

nötig. Solche Sätze zu verstehen, kann problematisch<br />

werden, weil sie dem Lerner als irgendwie unvollendet<br />

vorkommen. Zum Beispiel sind Hän pärjää, Häneltä se<br />

sujuu ‚Er/sie wird es schon schaffen’ positiv, während; Hän<br />

pärjää huonosti, Häneltä se sujuu heikosti ‚Er/sie schafft<br />

es kaum’ negativ.<br />

318<br />

Sprache im interkulturellen Dialog - Kirsti Siitonen<br />

Kognitiv schwierig sich anzueignen sind solche<br />

Elemente oder Züge, die jemand sich wegen der fremden<br />

Denkweise nicht vorstellen kann. Wie ist es z.B. zu<br />

verstehen, wenn man mit einigen Verben Unabsichtlichkeit<br />

ausdrückt oder mit der Passivform immer ein<br />

menschliches Lebewesen verbindet, so wie im Finnischen.<br />

Ein Finne wiederum verbindet mit dem in der Passivform<br />

stehenden Verb im deutschen Satz im Autounfall wurden<br />

fünf Menschen getötet einen Täter. Die absurde<br />

Konsequenz ist, dass dieser es war, der nach dem Unfall<br />

angekommen ist und die betroffenen Personen z.B. mit<br />

einem Revolver umgebracht hat (vgl. wurden von<br />

jemandem getötet).<br />

In der Sprachphilosophie hat man im Laufe der<br />

Jahre häufig über die Beziehungen zwischen Sprache und<br />

Denken spekuliert und viele verschiedene<br />

Zusammenhänge finden wollen. Ich will in dieser Hinsicht<br />

vorsichtig sein. Die zahlreichen finnischen Satztypen, bei<br />

denen der Agens nicht explizit ausgedrückt wird und/oder<br />

das Subjekt fehlt, sind oft als Zeichen oder als Beweis der<br />

finnischen Zurückgezogenheit aufgefasst worden. In<br />

letzter Zeit wurde in der Linguistik aber behauptet, dass<br />

eben die subjektlosen Sätze den Sprechenden mehr nach<br />

vorne rücken als die anderen (Laitinen 1995). Wir werden<br />

hier diese Angelegenheit nicht entscheiden. Nur ist es für<br />

einen Finnischlerner wichtig zu wissen, dass die Struktur<br />

des Finnischen die Sätze ohne Subjekt zulässt und in<br />

einigen Fällen sogar fordert. Logischerweise werden dann<br />

die Finnen, die Deutsch sprechen, oft inkorrekt das<br />

Ausdrücken des Subjekts vermeiden. Sie verwenden z.B.<br />

statt des Satzes Ich fühle mich traurig den Satz Man fühlt<br />

sich traurig oder statt des Ausdruckes Ich meine… den<br />

Ausdruck Es wäre möglich zu denken, dass… Da würde<br />

ich vermuten, dass es in deutschen Ohren so klingt, als ob<br />

der Sprecher sehr scheu wäre, wenig Empathie fühle oder<br />

sich eben zurückziehe.<br />

Der interkulturelle Dialog wird schon auf einer<br />

Sprache geführt. Die bekannten, sog. groβen Sprachen<br />

haben ein bestimmtes Register für die offiziellen<br />

interkulturellen Begegnungen entwickelt. Die kleineren<br />

werden öfters inoffiziell benutzt und sind – so wie ich<br />

versuchte an einigen Fallbeispielen zu verdeutlichen – viel<br />

mehr den Fehleinschätzungen ausgesetzt.<br />

Literatur<br />

Buβmann, Hadumod (hrsg.) 2002 Lexikon der Sprachwissenschaft,<br />

3., akt. und erw. Auflage, Stuttgart: Afred Kröner Verlag.<br />

Ellis, Rod 2004 The Study of Second Language Acquisition,<br />

Oxford: Oxford University Press.<br />

Europarat 2001 Gemeinsamer Europäischer Referenzrahmen für<br />

Sprachen: lernen, lehren, beurteilen, Berlin et al.<br />

Jackendoff, Ray 1990 Semantic Structures, Cambridge Mass.: The<br />

MIT Press.<br />

Laitinen, Lea 1995 „Nollapersoona“ (The zero person), Virittäjä 99,<br />

337–358.<br />

Latomaa, Sirkku 1996 „Matkalla uuteen kieleen” (Unterwegs zur<br />

neuen Sprache), in: Helena Ruuska and Sanna-Marja Tuomi (eds.)<br />

Moneja baareja. Tiellä toimivaan kaksikielisyyteen, Helsinki: ÄOL,<br />

97–105.<br />

McGuinness B. F. (hrsg.) 1984 <strong>Ludwig</strong> <strong>Wittgenstein</strong> und der<br />

Wiener Kreis. Gespräche, aufgezeichnet von Friedrich Waismann,<br />

Frankfurt am Main: Suhrkamp.<br />

Reichenbach, Hans 1947 Elements of Symbolic Logic, New York:<br />

The Macmillan Company.

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