Preproceedings 2006 - Austrian Ludwig Wittgenstein Society
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154<br />
Zar'a-Jacob und Walda-Heiwat über die Rationalität religiöser Aussagen – Ein Beitrag ... - Andrej Krause<br />
Religiösen Aussagen darf man nur dann zustimmen,<br />
wenn sie von der menschlichen Vernunft eingesehen<br />
werden können. Demnach darf man, da man jeder<br />
Aussage, die eingesehen werden kann, zustimmen darf,<br />
einer religiösen Aussage genau dann zustimmen, wenn<br />
sie eingesehen werden kann. Einen der Vernunft nicht<br />
einleuchtenden religiösen Glauben muß und darf man<br />
nicht akzeptieren. Niemand darf - auch nicht durch Gott -<br />
zu einem solchen Glauben verpflichtet werden (vgl. UWH<br />
208 [37v-38r]). Der Gläubige trägt gegenüber dem<br />
Ungläubigen die Beweislast. Er muß die Gründe für seinen<br />
Glauben angeben und nicht der Ungläubige dafür, warum<br />
er nicht glaubt (vgl. UWH 206 [36v]). Er muß insbesondere<br />
die Existenz Gottes beweisen, nicht der Ungläubige die<br />
Nichtexistenz Gottes. Nun sind Zar'a-Jacob und Walda-<br />
Heiwat allerdings der Ansicht, daß die Existenz Gottes<br />
bewiesen werden kann:<br />
Die Grundlage aller Religion ... ist es, zu glauben, daß<br />
es einen Gott gibt ... und wenn wir es untersuchen,<br />
beweist uns unsere Vernunft, daß es wahr ist ... (UWH<br />
202 [33v]). 5<br />
Hier zeigt sich ein methodischer Zirkel, denn<br />
einerseits soll die menschliche Vernunft ihre Sicherheit<br />
dadurch erhalten, daß sie von Gott stammt, andererseits<br />
soll sie die Existenz Gottes erweisen. Dieser Zirkel scheint<br />
den Autoren nicht bewußt zu sein. Ihre<br />
Gottesbeweisversuche seien jetzt dargestellt und kurz<br />
diskutiert. Beide geben allerdings keine Begründung für<br />
die Einzigkeit Gottes an.<br />
3. Zar'a-Jacobs Beweisversuche<br />
Zar'a-Jacob entwickelt zwei Argumente für die Existenz<br />
Gottes. Anmerkungen hierzu finden sich in Sumner 1978,<br />
119-127.<br />
Erstes Argument<br />
Und ich sprach: "... Und wer hat mich denn geschaffen?<br />
Bin ich etwa selbst von meiner eigenen Hand<br />
geschaffen? Aber ich war doch noch nicht da, als ich<br />
geschaffen wurde. Wenn ich aber spreche: 'Mein Vater<br />
und meine Mutter haben mich geschaffen', so wird<br />
wiederum der Erschaffer meiner Eltern und ihrer Eltern<br />
gesucht, bis daß man zu den ersten [Menschen] kommt,<br />
die nicht so geschaffen sind wie wir, sondern die in<br />
diese Welt gekommen sind auf eine andere Art ohne<br />
Erzeuger. Wenn nun auch diese geschaffen sind, so<br />
weiß ich nicht, wo der Anfang ihres Ursprungs ist, außer<br />
daß ich sage: 'Der sie geschaffen hat aus dem Nichts,<br />
ist ein Wesen, das nicht geschaffen ist, sondern das ist<br />
und sein wird in alle Ewigkeit, der Allherr und<br />
Allumfasser, der keinen Anfang und kein Ende hat, der<br />
unveränderlich ist und dessen Jahre unzählbar sind.'"<br />
Und ich sprach: "Es gibt also einen Schöpfer; denn<br />
wenn es keinen Schöpfer gäbe, so gäbe es auch keine<br />
Schöpfung. Nun wir aber da sind und nicht Schöpfer<br />
sind, sondern Geschaffene, so müssen wir sagen, daß<br />
es einen Schöpfer gibt, der uns geschaffen hat. ..." (UZJ<br />
7f. [4v-5r]).<br />
Der in den Eingangsfragen verwendete Begriff des<br />
Schaffens bzw. Erschaffens ist von dem im Argument<br />
ebenfalls benutzten Begriff des Schaffens (Erschaffens)<br />
aus dem Nichts zu unterscheiden. Dies würde Zar'a-Jacob<br />
vermutlich dadurch tun, daß er sagt, daß ein beliebiges x<br />
von einem beliebigen y genau dann erschaffen wird, wenn<br />
x von y verursacht wird, und von y genau dann aus dem<br />
5 Vgl. auch UWH 209 [39r].<br />
Nichts erschaffen wird, wenn x allein von y verursacht<br />
wird. Hierbei sei bei allen Schwierigkeiten, die mit dem<br />
Begriff der Ursache verbunden sind, vorausgesetzt, daß<br />
der Unterschied zwischen alleinigen Ursachen und<br />
Ursachen, die keine alleinigen Ursachen sind, intuitiv klar<br />
ist: Alleinige Ursachen sollen im Gegensatz zu Ursachen,<br />
die nicht alleinige Ursachen sind, für das von ihnen<br />
Verursachte "ausreichen".<br />
Nach dem obigen Zitat soll es nichts geben, das<br />
sich selbst geschaffen hat. Bei der Begründung hierfür<br />
wird unterstellt, daß Ursachen früher zu existieren<br />
anfangen als das von ihnen Verursachte. Somit ist es nicht<br />
möglich, daß er, Zar'a-Jacob, sich selbst geschaffen hat.<br />
Vielmehr wurde er von seinen Eltern, Vater und Mutter,<br />
geschaffen und diese wiederum von ihren Eltern usw. bis<br />
zu einem (oder eventuell mehreren) ersten Elternpaar(en).<br />
Der Kern des Gottesbeweisversuches besteht darin, daß<br />
daraus, daß die Stammeltern - im Gegensatz zu den<br />
anderen Menschen (und im Gegensatz zu Zar'a-Jacob) -<br />
nicht durch Zeugung entstanden sind, darauf geschlossen<br />
wird, daß sie aus dem Nichts geschaffen worden sind, und<br />
zwar von einem Wesen, das selbst nicht geschaffen<br />
worden ist, das ewig, (zeitlich) anfangs- und endlos,<br />
unveränderlich, allherrschend und allumfassend ist, wobei<br />
dieses Wesen dann gerade Gott ist. Natürlich enthält<br />
dieser Schluß unausgedrückte Prämissen. Schon die<br />
Behauptung, daß die Stammeltern aus dem Nichts<br />
geschaffen worden sind, ist begründungsbedürftig, denn<br />
sie könnten beispielsweise aus bereits Geschaffenem -<br />
also nicht aus dem Nichts - geschaffen worden sein. Daß<br />
die Stammeltern von einem Wesen geschaffen wurden,<br />
das selbst nicht geschaffen wurde, ist ebenfalls nicht<br />
einsichtig. Warum sollte dieses Wesen nicht von einem<br />
anderen Wesen geschaffen worden sein? Ob dieses<br />
andere Wesen dann geschaffen worden ist oder nicht, sei<br />
dahingestellt.<br />
Zweites Argument<br />
... wenn alle Menschen über eine Sache einig sind, so<br />
erscheint die Sache ihnen als Wahrheit. Aber über das<br />
Falsche können nicht alle Menschen einig sein, wie sie<br />
ja auch über ihren Glauben ganz und gar nicht einig<br />
sind. Laßt uns doch bedenken, warum alle Menschen<br />
einig sind darin, daß sie sagen, es gebe einen Gott, den<br />
Schöpfer aller Dinge! Der Verstand aller Menschen<br />
weiß, daß dies alles, was wir sehen, geschaffen ist, und<br />
daß ein Geschaffenes nicht ohne einen Schöpfer sein<br />
kann. Daß es einen Schöpfer gibt, das ist wahr;<br />
deswegen sind sich alle Menschen darüber einig (UZJ<br />
17 [12v-13r]).<br />
Dieses Zitat enthält folgende Überlegung:<br />
(1) Alle Menschen sind sich darüber einig, daß es einen<br />
Gott gibt.<br />
(2) Dasjenige, über das sich alle Menschen einig sind,<br />
ist der Fall.<br />
(3) Also gibt es einen Gott.<br />
Der Schluß von (1) und (2) auf (3) ist formal korrekt,<br />
nur ist (1) falsch und (2) sehr voraussetzungsreich. Gegen<br />
(1) spricht die Existenz von Agnostikern oder Atheisten.<br />
Dennoch versucht Zar'a-Jacob (1) zu begründen: Jeder<br />
Mensch erkennt, daß es Gott, "den Schöpfer aller Dinge",<br />
gibt, weil jeder Mensch erkennt, daß alles, was er sehen<br />
kann, geschaffen ist und daß es Geschaffenes nicht ohne<br />
einen Schöpfer geben kann, wobei dieser Schöpfer dann<br />
gerade der Schöpfer aller Dinge ist. Hier muß man Zar'a-<br />
Jacob unter anderem entgegenhalten, daß selbst dann,