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Preproceedings 2006 - Austrian Ludwig Wittgenstein Society

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274<br />

Spiel der Sprache und Sprachspiel – Gadamer und <strong>Wittgenstein</strong> im Vergleich - Juliane Reichel<br />

“heilungsbedürftig”, seien. Trotz dieser negativen<br />

Einstellung erkennt Gadamer die Sprachspielkonzeption<br />

<strong>Wittgenstein</strong>s an und sieht sich darin in seinem eigenen<br />

Denken bestätigt. (Gadamer 1986a: 5, 507)<br />

In der Tat geht Gadamer gegenüber <strong>Wittgenstein</strong><br />

einen Schritt weiter, weil er es nicht bei der abstrakten<br />

Analogie von Sprache und Spiel beläßt, sondern einen<br />

konkreten Vorschlag macht, wie Philosophieren allein<br />

möglich ist: nämlich im Dialog. Für <strong>Wittgenstein</strong> wäre dies<br />

vermutlich nicht mehr als ein Sprachspiel. Auch Arnswald<br />

sieht Gadamer darin gegenüber <strong>Wittgenstein</strong> einen Schritt<br />

voraus, vor allem in Beziehung auf den interkulturellen<br />

Dialog, der Überwindung von Konflikten zwischen<br />

Kulturen. (Arnswald 2002: 35) Natürlich fußt ein solcher<br />

Dialog auf einer elementaren Grundvoraussetzung, was<br />

Gadamer später durch die Auseinandersetzung mit<br />

Derrida einsehen mußte: dem “guten” Willen, der Toleranz<br />

sich auf den anderen überhaupt erst einzulassen.<br />

(Gadamer 1986a: 215) Bringt nur eine Seite diesen guten<br />

Willen nicht mit, dann ist alles Verständigen zum Scheitern<br />

verurteilt. Allerdings haben wir keine Wahl; wir werden es<br />

immer wie! der versuchen müssen, mit den anderen ins<br />

Gespräch zu kommen, auch wenn es wie das<br />

tagespolitische Geschäft zeigt, fast unmöglich scheint.<br />

Die Konvergenz aber, die Gadamer zwischen<br />

seinem und <strong>Wittgenstein</strong>s Denken bemerkt, fußt auf dem<br />

Phänomen des Spieles, das sie beide als Modell für die<br />

Sprache benutzen. Da wäre zunächst die Betonung des<br />

Prozeßhaften, das sich bei Gadamer direkt durch das<br />

Spielgeschehen ausdrückt, bei <strong>Wittgenstein</strong> durch den<br />

Gebrauch von Sprache, der potentiell Veränderungen<br />

unterworfen ist. Beide gehen im Sprachgeschehen von<br />

einer Übersubjektivität aus, daß Sprache nur intersubjektiv<br />

möglich ist, was beide durch die Aspekte der<br />

Geschichtlichkeit, Tradition und Gepflogenheiten kenntlich<br />

machen. Daß sich Wortbedeutungen durch den Gebrauch,<br />

sei es im Gespräch, sei es durch Handlungskontexte,<br />

ergeben, verbindet die Denker ebenfalls. Und als wichtiger<br />

abschließender Punkt: Für beide bildet die Sprache die<br />

Basis für unsere Welterfahrung.<br />

Entsprechend dieser gemeinsamen Grundlinien, die<br />

sich vom Modell des Spieles aus ergeben, fragt es sich, ob<br />

es sich beim Spiel um ein sehr grundlegendes Konzept<br />

handelt, mit dem das Verhältnis Mensch-Sprache-Welt<br />

erfaßt werden kann. In der Tat stellt das Spielkonzept<br />

elementare Parallelen zur Sprache bereit. Unsere Sprache<br />

vermittelt uns eine ganz bestimmte Sicht auf die Welt. Daß<br />

Sprache nichts Statisches ist, sondern sich durch den<br />

Gebrauch der Sprecher verändert und gleichzeitig durch<br />

eine bestimmte Ordnung (Regeln) bestimmt ist und daß<br />

sie nur in einer Gemeinschaft funktioniert, das sind die<br />

Aspekte, die durch die Analogie mit dem Spielbegriff erfaßt<br />

werden. Zwar sind wir es, die die Sprachspiele spielen,<br />

aber im Grunde liegt es nicht an uns einzelnen Sprechern,<br />

wie sich dieses Spiel der Sprache entwickelt.<br />

Literatur<br />

Arnswald, Ulrich 2002 "On the Certainty of Uncertainty: Language<br />

Games and Forms of Life in Gadamer and <strong>Wittgenstein</strong>", in: Jeff<br />

Malpas, Ulrich Arnswald and Jens Kertscher (eds.), Gadamer's<br />

Century. Essays in Honor of Hans-Georg Gadamer,<br />

Cambridge/Mass.: MIT Press, 25-44.<br />

Gadamer, Hans-Georg 51986 Hermeneutik I., Wahrheit und<br />

Methode. Grundzüge einer philosophischen Hermeneutik,<br />

Tübingen: Mohr Siebeck.<br />

Gadamer, Hans-Georg 1986a Hermeneutik II., Wahrheit und<br />

Methode. Ergänzungen. Register, Tübingen: Mohr Siebeck.<br />

Gadamer, Hans-Georg 1987 Neuere Philosophie I., Hegel-Husserl-<br />

Heidegger, Tübingen: Mohr Siebeck.<br />

<strong>Wittgenstein</strong>, <strong>Ludwig</strong> 2003 Philosophische Untersuchungen,<br />

Frankfurt/Main: Suhrkamp (PU).<br />

<strong>Wittgenstein</strong>, <strong>Ludwig</strong> 92002 Über Gewißheit, Frankfurt/Main:<br />

Suhrkamp (ÜG).

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