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Preproceedings 2006 - Austrian Ludwig Wittgenstein Society

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Spiel der Sprache und Sprachspiel – Gadamer und <strong>Wittgenstein</strong> im Vergleich - Juliane Reichel<br />

erfüllt sind; genauso wie bei einem gelungenen Spiel.<br />

(Gadamer 1986a: 152) An anderer Stelle spricht Gadamer<br />

von der “verwandelnden Kraft” des Gespräches. Wer<br />

intensiv über eine Sache gesprochen hat, kommt zu neuen<br />

Einsichten, dem werden Probleme bewußt, die er vorher<br />

gar nicht gesehen hat und die ihn zu neuem Nachdenken<br />

anregen, kurz: “Wo ei! n Gespräch gelungen ist, ist uns<br />

etwas geblieben und ist in uns etwas geblieben, das uns<br />

verändert hat.” (Gadamer 1986a: 211) In dieser<br />

Gesprächserfahrung spiegelt sich auch der Prozeß des<br />

Verstehens wider. Nur durch das Miteinandersprechen<br />

können wir uns verständigen und das heißt über eine<br />

Sache verständigen. “Im Miteinandersprechen treten wir<br />

vielmehr ständig in die Vorstellungswelt des anderen über,<br />

lassen uns gleichsam auf ihn ein und er sich auf uns […]<br />

bis das Spiel des Gebens und Nehmens, das eigentliche<br />

Gespräch, beginnt.” (Gadamer 1986a: 131) Das<br />

Miteinandersprechen, das Einander Verstehenwollen<br />

durch das Austauschen von Weltbildern kommt durch uns<br />

Menschen niemals zu einem Ende. Frage und Antwort<br />

eines Gespräches bilden einen unendlichen und letztlich<br />

offenen Dialog. (Gadamer 1986a: 210, 153)<br />

2. <strong>Wittgenstein</strong>s Sprachspielkonzept<br />

Anders als Gadamer gibt <strong>Wittgenstein</strong> keine Definition von<br />

dem Begriff des “Spieles”. Nach <strong>Wittgenstein</strong> ist dies sogar<br />

unmöglich, weil es sich beim Spiel um einen Ausdruck<br />

handelt, der sich nicht durch Angabe eines spezifischen<br />

Merkmales erfassen läßt. Vielmehr hängt die Bedeutung<br />

von den vielen verschiedenen Kontexten ab, in denen er<br />

Verwendung findet. <strong>Wittgenstein</strong> hat diese Art Begriffe<br />

bekanntlich Familienähnlichkeitsbegriffe genannt.<br />

(<strong>Wittgenstein</strong>: PU §§66ff) Wie die Mitglieder einer Familie<br />

miteinander verwandt sind, so verhält es sich auch mit den<br />

Familienähnlichkeitsbegriffen. Es ist gewiß kein Zufall, daß<br />

<strong>Wittgenstein</strong> zur Illustration dieser<br />

Familienähnlichkeitsbegriffe den Ausdruck “Spiel” gewählt<br />

hat. Es dürfte kaum ein anderes Wort geben, das sich<br />

durch eine derartige Verwendungsvielfalt auszeichnet,<br />

allein, was es alles für Spiele gibt und was alles als Spiel<br />

verstanden werden kann, ist unüberschaubar. Du! rch<br />

diese dem Spielbegriff innewohnende Vielschichtigkeit<br />

zeichnet sich das Spiel entsprechend als Modell aus, das<br />

<strong>Wittgenstein</strong> dem, was Sprache ist, zugrundelegt und das<br />

als “Sprachspiel” in die Philosophiegeschichte<br />

eingegangen ist.<br />

<strong>Wittgenstein</strong>s Intention in den PU ist es, der<br />

Sprache ein angemessenes Bild zu geben. (<strong>Wittgenstein</strong>:<br />

PU §130) Demnach läßt sich Sprache am besten von dem<br />

Modell des Spieles erfassen: Sprache zeichnet sich vor<br />

allem als Tätigkeit aus, einem Handeln, das bestimmten<br />

Regeln folgt, genau wie sich Spiele auch durch<br />

Handlungen und Regeln auszeichnen. Das Regelfolgen,<br />

das <strong>Wittgenstein</strong> für die Sprache-Spiel-Analogie für<br />

wesentlich hält, findet sich im Gadamerschen Konzept in<br />

dem Aspekt eines allgemeinen Ordnungsgefüges wieder,<br />

das Spiele grundsätzlich auszeichnet und für Menschen<br />

durch Regeln und selbstgesetzte Spielaufgaben entsteht.<br />

(Gadamer<br />

5 1986: 112, 113) <strong>Wittgenstein</strong>s zentraler<br />

Gedanke fußt darauf, daß sich der Sprachgebrauch von<br />

nichtsprachlichen Handlungen nicht trennen läßt. Für die<br />

Sprache ist das Eingeordnetsein in Handlungskontexte<br />

konstitutiv. Was Worte bedeuten, ergibt sich vor allem aus<br />

ihrer Verwendungsweise, daraus, welchen Worten welche<br />

Taten folgen: “Unsere Rede erhält durch unsre übrigen<br />

Handlungen ihren Sinn.” (<strong>Wittgenstein</strong>: ÜG §229) und “…<br />

Eine Bedeutung eines Wortes ist eine Art seiner<br />

Verwendung. Denn sie ist das, was wir erlernen, wenn das<br />

Wort zuerst unserer Sprache einverleibt wird.”<br />

(<strong>Wittgenstein</strong>: ÜG §61) Diese Verwendung von Worten ist<br />

keineswegs von den einzelnen Menschen willkürlich<br />

einsetzbar, sondern unterliegt einem gewissen<br />

Regelkanon, den wir durch Abrichtung erlernen und der<br />

durch Gebräuche, Institutionen beziehungsweise<br />

Gepflogenheiten gewährleistet wird. (<strong>Wittgenstein</strong>: PU<br />

§199) Gleichwohl dieser Regelk! anon kein festgefügtes<br />

unerschütterliches Gebäude ist, das ein für alle Mal gilt.<br />

Regeln können sich ändern, und sie werden manchmal im<br />

Gebrauch neu aufgestellt. <strong>Wittgenstein</strong> denkt wieder an<br />

sein Modell des Spieles:<br />

“Steckt uns da nicht die Analogie der Sprache mit dem<br />

Spiel ein Licht auf? Wir können uns doch sehr wohl<br />

denken, daß sich Menschen auf einer Wiese damit<br />

unterhielten, mit einem Ball zu spielen, so zwar, daß sie<br />

verschiedene bestehende Spiele anfingen, manche zu<br />

Ende spielten, dazwischen den Ball planlos in die Höhe<br />

würfen […] Und nun Einer: Die ganze Zeit hindurch<br />

spielen die Leute ein Ballspiel, und richten sich daher<br />

bei jedem Wurf nach bestimmten Regeln. Und gibt es<br />

nicht auch den Fall, wo wir spielen und – ,make up the<br />

rules as we go along?` Ja, auch den, in welchem wir sie<br />

abändern – as we go along.” (<strong>Wittgenstein</strong>: PU §83)<br />

Der Aspekt der Tradition erweist sich für<br />

<strong>Wittgenstein</strong> als genauso wichtig wie für Gadamer und<br />

spiegelt sich in <strong>Wittgenstein</strong>s Ausdruck der<br />

“Naturgeschichte” wider. Damit sind laut Arnswald die<br />

gemeinsamen Gewohnheiten, Traditionen, Regeln und<br />

sozialen Institutionen von Menschen gemeint, die dafür<br />

sorgen, daß wir in unserem Handeln übereinstimmen und<br />

uns die Sicherheit liefern, daß wir so und nicht anders<br />

handeln. (Arnswald 2002: 34) “[…] Befehlen, fragen,<br />

erzählen, plauschen gehören zu unserer Naturgeschichte<br />

so, wie gehen, essen, trinken, spielen.” (<strong>Wittgenstein</strong>: PU<br />

§25) und “Du mußt bedenken, daß das Sprachspiel<br />

sozusagen etwas Unvorhersehbares ist. Ich meine: Es ist<br />

nicht begründet. Nicht vernünftig (oder unvernünftig). Es<br />

steht da – wie unser Leben.” (<strong>Wittgenstein</strong>: ÜG §559)<br />

3. Gadamer und <strong>Wittgenstein</strong><br />

Aufgrund seines hohen Lebensalters hat Gadamer<br />

gegenüber <strong>Wittgenstein</strong> den elementaren Vorteil, daß er<br />

<strong>Wittgenstein</strong>s Lebenswerk eingehend zur Kenntnis hat<br />

nehmen können, was umgekehrt sicherlich nicht der Fall<br />

ist. Für einen Vergleich der Sprache-Spiel-Konzeption der<br />

beiden Denker mag es zunächst interessant sein, zu<br />

sehen, was für ein Verhältnis Gadamer zum<br />

<strong>Wittgenstein</strong>schen Denken einnimmt. Abgesehen von<br />

einigen verstreuten Bemerkungen in seinem Gesamtwerk<br />

hat sich Gadamer in Die phänomenologische Bewegung<br />

eingehender mit <strong>Wittgenstein</strong> befaßt. Neben Gadamers<br />

Kritik am Traktat und dessen logischem Reduktionismus<br />

der Sprache interessiert Gadamer vor allem <strong>Wittgenstein</strong>s<br />

spätere Selbstkritik an seiner frühen Auffassung der<br />

Sprache. Gadamer betont <strong>Wittgenstein</strong>s Hinwendung zum<br />

lebendigen Gebrauch der Sprache, der Warnungen vor<br />

falschen Übertragungen von einem Sprachspiel in ein<br />

anderes und einem metaphysischen Sprachgebrauch.<br />

(Gadamer 1987: 144) Daß Philosophie nur als sprachliche<br />

Selbstkritik im Sinne einer Selbstheilung fungieren soll,<br />

stößt auf Widerstand im Gadamerschen Denken: das ist<br />

dem am produktiven Dialog orientierten Gadamer zu<br />

negativ. Auch stellt er in Frage, ob nicht <strong>Wittgenstein</strong>s<br />

eigene Beschreibungen der Sprache anhand von<br />

“Gebrauch, Verwendung der Wörter” oder “Lebensform”<br />

nicht selbst der Sprachkritik unterzogen, also<br />

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