13.02.2013 Views

Preproceedings 2006 - Austrian Ludwig Wittgenstein Society

Preproceedings 2006 - Austrian Ludwig Wittgenstein Society

Preproceedings 2006 - Austrian Ludwig Wittgenstein Society

SHOW MORE
SHOW LESS

You also want an ePaper? Increase the reach of your titles

YUMPU automatically turns print PDFs into web optimized ePapers that Google loves.

sind sie Inbegriffe, Summen von Bedeutungen höherer<br />

Stufe. Höherstufige Bedeutungen finden üblicherweise<br />

angenehmen Platz in natürlichen Sprachen, die immer<br />

über korrekte und treffende sprachliche Wendungen<br />

verfügen, um sie auszudrücken. Diese Bedeutungen sind<br />

nur mit Mühe in eine andere Sprache (oft nur durch<br />

Paraphrasen) zu übersetzen und die entsprechenden<br />

Ausdrücke, einmal übertragen, verdecken das Gefühl von<br />

Selbstverständlichkeit, das sie in ihren ursprünglichen<br />

Sprachen charakterisiert.<br />

Technisch gesehen kann man schließen, dass nicht<br />

nur der Referenzgegenstand auf eine Gegebenheitsweise<br />

(und daher auf einen Inhalt) hinweist, sondern auch die<br />

Bedeutung in dieser oder jener Weise intendiert werden<br />

kann. Intendiert man die Bedeutung schlechthin (ohne<br />

zusätzliche Merkmale), dann hat man eine Bedeutung<br />

niedrigstufiger Art. Intendiert man die Bedeutung unter<br />

Einschluss bestimmter Merkmale und wird sie von einer<br />

ganzen Menschengruppe gemeinsam mit diesen<br />

zusätzlichen Merkmalen stets intendiert, dann hat man<br />

eine höherstufige Bedeutung. Höherstufige Bedeutungen<br />

sind die Weisen, wie niedrigstufige Bedeutungen von einer<br />

Menschengruppe stets intendiert sind. Kultur ist eine<br />

Bedeutung, welche den Inbegriff von allen möglichen<br />

Weisen ausmacht, wie Bedeutungen niedriger Ordnung<br />

innerhalb definierter Menschengruppen intendiert werden<br />

können. In einem bestimmten Kulturkreis aktiv zu sein<br />

heißt, dass sich die intentionale Erlebnisstruktur, während<br />

sich sie auf ihr Korrelat richtet, nicht nur eine Bedeutung<br />

niedriger Ordnung, sondern auch eine höherer Ordnung<br />

impliziert. Auf Grund der Allgemeinheit der Struktur Akt-<br />

Inhalt-Gegenstand hat dies ferner zur Folge, dass<br />

verschiedenste Erlebnisse sich in den spezifischen<br />

Kulturmodalitäten realisieren können. „Macht“ man ein<br />

Haus bzw. ein beliebiges Artefakt, dann kann man es mit<br />

bestimmten kulturellen Merkmalen machen. „Sagt“ man<br />

etwas (als einen Sprechakt), dann kann dies stets in einer<br />

bestimmten, kulturbedingten Weise geschehen (dasselbe<br />

gilt indes nicht für alle sog. Anpassungserlebnisse, wie<br />

z.B. die Vorstellung).<br />

Um dem Kulturabhängigkeitsaspekt einer<br />

Gegenständlichkeit gerecht zu werden, habe ich bis jetzt<br />

analysiert, wie sie zustande kommt und insbesondere wie<br />

sich eine Bedeutung herausbildet. Nun ist noch die<br />

Anerkennung von Kulturgegenständlichkeiten zu<br />

untersuchen. Da Kulturen von Menschengruppen<br />

abhängig sind, muss man Kulturgegenständlichkeit auf<br />

menschliche Artefakte beschränken. Mit „Artefakt“ ist ein<br />

großes Spektrum von Gegenständlichkeitstypen an<br />

Produkten gemeint, so ist z.B. eine Rede auch ein<br />

menschliches Produkt. Kulturen sind immer mit<br />

spezifischen Gegenständlichkeiten verknüpft, sodass man<br />

eine Kultur stets nur an „typischen Gegenständen“ bzw.<br />

Produkten erkennt. Wie erkennt man nun, dass ein<br />

Gegenstand ein Kulturgegenstand ist? Dieses Wissen<br />

entsteht nicht durch einen reinen Wahrnehmungsakt.<br />

Derlei Erkenntnis kann sich nur vollziehen, wenn der<br />

Erfassungsakt begrifflicher Natur ist, wenn also ein<br />

Gegenstand unter seinem besonderen kulturellen Aspekt<br />

als Kulturgegenstand angesehen wird. Man erfasst den<br />

Gegenstand unter dem Begriff der jeweiligen Kultur (was<br />

nichts anderes als die Erfassung eines Sachverhaltes<br />

meint), so dass – um auf das obige Beispiel<br />

zurückzukommen – ein Haus als ein italienischer,<br />

japanischer, beduinischer kulturbedingter Gegenstand<br />

erfasst wird. Das bedeutet freilich nicht, dass man alle<br />

Merkmale eines Begriffes kennen muss, um einen<br />

Gegenstand bzw. ein kulturbedingtes Produkt unter<br />

diesem Begriff subsumieren zu können. Wir verwenden<br />

Kulturelle Gegenstände und intentionale Erlebnisse - Alessandro Salice<br />

nämlich regelmäßig Begriffe ohne ihre vollständigen<br />

Definitionen zu kennen. Begriffe sind allgemeine<br />

Gegenstände, Allgemeinheiten, welche semantisch keine<br />

Bedeutungen, sondern Referenzgegenstände sind. Ich<br />

kann nun zum entscheidenden zweiten Punkt kommen:<br />

Wir haben bereits einen ersten Sinn des Wortes „Kultur“<br />

festgestellt, welcher Kulturen als Inbegriffe von<br />

Bedeutungen höherer Ordnung festschreibt. Jede Kultur<br />

ist näher eine kategorematische Bedeutung, die einem<br />

Referenzgegenstand entspricht: Der Ausdruck „japanische<br />

Kultur“ hat eine selbständige Bedeutung, die aus der<br />

Summe von höherstufigen Bedeutungen besteht und die<br />

sich auf etwas bezieht. Referenzgegenstände von<br />

Kulturbedeutungen sind allgemeine Kulturbegriffe, welche<br />

sich in kulturbedingten Gegenständen und Produkten<br />

exemplifizieren. Wenn man also etwas als ein<br />

Kulturphänomen erfasst, dann erfasst man das betrachtete<br />

Phänomen als Instanz des allgemeinen Kulturbegriffes.<br />

Kulturbegriffe sind Inbegriffe der Artefakte, welche in einer<br />

bestimmten kulturellen Weise hergestellt werden.<br />

Zusammenfassend gilt: Kulturen sind einerseits<br />

Bedeutungen, andrerseits sind sie Allgemeinheiten bzw.<br />

Begriffe. Kulturbedingtheit heißt entweder die Weise, wie<br />

wir zu einigen Bedeutungen in Kontakt treten, oder sie<br />

meint, dass bestimmte Phänomene Instanzen eines<br />

Allgemeingegenstandes sind. Da kulturbedingte<br />

Phänomene nur menschliche Produkte sein können, sind<br />

die Allgemeingegenstände von den Kulturbedeutungen<br />

abhängig. Kulturbedeutungen haben Gültigkeit nur für eine<br />

so und so geartete Menschengruppe. Kulturen sind also<br />

soziale (d.h. zeitliche und zugleich abstrakte)<br />

Gegenstände. Ihre Existenz hängt nicht bloß von<br />

einzelnen Menschen ab, sondern von bestimmt gearteten<br />

Menschengruppen. Indem Kulturen (in den beiden<br />

festgestellten Sinnen) notwendigerweise nach<br />

Menschengruppen verlangen, sind sie unselbstständige<br />

Gegenstände: Sie erlöschen zusammen mit dem<br />

Erlöschen ihrer Fundamente.<br />

291

Hooray! Your file is uploaded and ready to be published.

Saved successfully!

Ooh no, something went wrong!