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Preproceedings 2006 - Austrian Ludwig Wittgenstein Society

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<strong>Wittgenstein</strong> im Iran<br />

Malek Hosseini, Munich, Germany<br />

I. Erste Phase<br />

Die Rezeption <strong>Wittgenstein</strong>s im Iran erfolgte zum<br />

erstenmal gegen Ende 1971, und zwar durch die<br />

Übersetzung des zusammengefassten Vorworts David<br />

Pears zu seinem damals neuerlich erschienenem Buch<br />

<strong>Ludwig</strong> <strong>Wittgenstein</strong>. Der Übersetzer war Manutschehr<br />

Bosorgmehr, der an der Teheraner Universität lehrte.<br />

Dieser veröffentlichte kurz danach, im Jahre 1972, seine<br />

Übersetzung von Justus Hartnacks ursprünglich auf<br />

Dänisch erschienenem <strong>Wittgenstein</strong> and Modern<br />

Philosophy (London 1965). Bosorgmehr war scheinbar ein<br />

Positivist, wahrscheinlich war besonders der frühe<br />

<strong>Wittgenstein</strong> für ihn von Bedeutung; es ist nicht<br />

ausgeschlossen, dass er <strong>Wittgenstein</strong> gezielt und bewusst<br />

im philosophischen Raum Irans vorstellen wollte. Es gab<br />

nämlich auch einen von Martin Heidegger begeisterten<br />

Kreis.<br />

Im gleichen Jahre veröffentlichte Darjusch Aschuri,<br />

ein bekannter Intellektueller, einen Aufsatz mit dem Titel<br />

„<strong>Ludwig</strong> <strong>Wittgenstein</strong>: der leidenschaftliche Logiker“, in<br />

dem er eine für die damalige Zeit Irans gute und<br />

allgemeine Beschreibung von <strong>Wittgenstein</strong> und seinem<br />

Werke gab.<br />

1975 veröffentlichte der hochgelehrte Scharafoddin<br />

Khorasani seine Übersetzung von I. M. J. Bochenskis<br />

Europäische Philosophie der Gegenwart (Bern 1947) mit<br />

einem von dem Übersetzter selbst verfassten Anhang, in<br />

dem er eine auf <strong>Wittgenstein</strong>s eigenen Werken<br />

gegründete Beschreibung der beiden Denkphasen<br />

<strong>Wittgenstein</strong>s auf etwa 25 Seiten gibt Diese Beschreibung<br />

scheint der erste philosophisch ernstzunehmende<br />

ursprünglich auf Persisch geschriebene Text über<br />

<strong>Wittgenstein</strong> zu sein.<br />

1980 erschien von dem späteren Übersetzer des<br />

Tractatus <strong>Wittgenstein</strong>s ins Persische, Mir Schamssoddin<br />

Adib Soltani, ein beachtenswertes Werk mit dem Titel Die<br />

Wiener Abhandlung, in dem er sich freilich auch mit dem<br />

frühen <strong>Wittgenstein</strong> beschäftigt.<br />

Viele Jahre später, 1987, erschien ein Aufsatz von<br />

Schapur Etemad, einem bekannten Akademiker, mit dem<br />

Titel: „<strong>Wittgenstein</strong>: Logik, Mathematik und<br />

Naturwissenschaften in der ‚Logisch-philosophischen<br />

Abhandlung’“.<br />

Abgesehen von manchen Hinweisen in Werken zur<br />

Philosophiegeschichte scheinen das alle Texte zu sein, die<br />

über <strong>Wittgenstein</strong> bis etwa 1990 in persischer Sprache<br />

veröffentlicht wurden.<br />

II. Zweite Phase<br />

1. Hintergrund<br />

Etwa dreizehn Jahre nach der Islamischen Revolution und<br />

drei Jahre nach dem langen Krieg mit dem Iraq, hat der Iran<br />

langsam begonnen, auch in kultureller Hinsicht viele neue<br />

Erfahrungen zu sammeln; trotz aller Schwierigkeiten hat das<br />

Land eine spannende ja in mancher Hinsicht glühende Zeit<br />

vor sich. Die intellektuellen Diskussionen werden heißer, die<br />

philosophisch-theologischen Debatten schärfer. Dabei<br />

werden in verschiedenen Bereichen viele Aufsätze und<br />

Bücher übersetzt und veröffentlicht. Die philosophischen<br />

Werke haben dabei besonderen Stellenwert, und auch<br />

<strong>Wittgenstein</strong> genießt zunehmende Aufmerksamkeit: Nicht<br />

nur Werke von ihm werden veröffentlicht, sondern es<br />

kommen auch allerlei Werke über ihn in persischer Sprache<br />

heraus, wie etwa „Wittgestein für Anfänger“ oder<br />

„<strong>Wittgenstein</strong> in 90 Minuten“ bis zu sehr bedeutsamen<br />

Werken, manche davon mit nicht immer gelungenen<br />

Übersetzungen. Die Zahl persischer Bücher von und über<br />

<strong>Wittgenstein</strong> beträgt gegenwärtig um die 40. (Die wichtigen<br />

Forschungen zu <strong>Wittgenstein</strong> sind jedoch größtenteils nicht<br />

übersetz worden.) Sogar in vielen nicht philosophischen<br />

Pressen kann man über <strong>Wittgenstein</strong> lesen, man könnte<br />

sogar von einem <strong>Wittgenstein</strong>-Fieber reden. Bis zum Jahre<br />

2004 – hauptsächlich in einen Zeitraum von fünf Jahren –<br />

sind nach der Statistik über 100 Aufsätze, einschließlich<br />

Buchbesprechungen, über <strong>Wittgenstein</strong> veröffentlicht<br />

worden, und zwar in verschiedenen Zeitschriften und<br />

Zeitungen (es war ja der „Frühling der Presse“, die Zeit der<br />

„Reformisten“). Man braucht nicht darauf hinzuweisen, dass<br />

manche von diesen Veröffentlichungen kein so hohes<br />

Niveau hatten.<br />

Warum aber solche Aufmerksamkeit gegenüber<br />

<strong>Wittgenstein</strong>? Diese Frage lässt sich nicht leicht<br />

beantworten; vielleicht könnte man sagen, dass sie zum<br />

größten Teil nur ein bloßer Zufall ist. Eines scheint mir<br />

jedoch sicher, und zwar was die ernste Seite dieser<br />

Zuwendung zu <strong>Wittgenstein</strong> betrifft: Bei den erwähnten<br />

theologisch-philosophischen Debatten hatte für viele die<br />

rationale Rechtfertigung der Religion und des religiösen<br />

Glaubens an Gültigkeit verloren. Die „Religiöse Erfahrung“<br />

war wichtig und ist viel diskutiert geworden, der religiöse<br />

Pluralismus wurde von vielen stark verteidigt (da kennt man<br />

nun etwa John Hick sehr gut). Kein Wunder also, dass<br />

<strong>Wittgenstein</strong> gut zu verwenden war. Jedenfalls war die<br />

Aufmerksamkeit gegenüber <strong>Wittgenstein</strong> größten Teils im<br />

Bereich der Philosophie der Religion zu finden. Abhängig<br />

von den theologischen Debatten bekamen auch<br />

erkenntnistheoretischen Themen große Bedeutung; und<br />

auch hier hörte man den Namen <strong>Wittgenstein</strong>.<br />

Obwohl für manche von den sogenannten „religiösen<br />

Intellektuellen“ – die die Modernität verteidigen und<br />

versuchen den Islam und die Werte der Moderne in<br />

Einklang zu bringen – <strong>Wittgenstein</strong> bei den schon erwähnten<br />

Debatten vieles zu sagen hatte, konnte seine zweite<br />

Denkphase für manche von ihnen von keiner Bedeutung<br />

sein, anders als zum Beispiel Karl Popper. Dagegen<br />

konnten manche Gegner der „Religiösen Intellektuellen“,<br />

darunter die Vertreter der Postmoderne, sich auch<br />

<strong>Wittgenstein</strong>s Denken bedienen. Ich möchte mich aber hier<br />

nicht in diese ziemlich komplizierte Angelegenheit vertiefen.<br />

Jedenfalls ist in diesen Jahren <strong>Wittgenstein</strong> auch für die<br />

Iraner mit postmodernistischen Neigungen<br />

verständlicherweise attraktiv gewesen, und diese – seien es<br />

die Religiösen, seien es die Säkularen – haben bei der<br />

zunehmenden Aufmerksamkeit auf ihn mitgewirkt; es hat ja<br />

im Iran auch ein Postmodern-Fieber gegeben!<br />

Ich möchte jedoch nicht alles auf die kurz<br />

beschriebenen Faktoren reduzieren. Für manche ist die<br />

Person <strong>Wittgenstein</strong> interessant und beachtenswert<br />

gewesen, für manche die Beschäftigung mit ihm von bloß<br />

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