Hundertjahrährige Geschichte des Deutschtums von Rochester

Geschichte d e r Deutschen von Roch e st e r
ster eine Periode ein, in w elcher der auf einen neuen Boden verpflanzte
deutsche Volksgeist nach E ntfaltung ringt, und der adoptierten
H eimat sein dauerndes Gepräge aufzudrücken beginnt. Der
dem D eutschen eigentümliche Trieb zur Gesellig keit, Gleichheit der
Gesinnungen und Betrebungen, die Kooperation zur E rreichung gemeinsamer
Zwecke rufen jetzt eine A nzahl bleibender Vereinigungen
zur gegenseitigen Unterstützung, U nterhaltung oder Belehrung
hervor, welche atich heute noch den Mittelpunkt des geistigen und
sozialen Lebens unter der deutsch-ame1:ikanischen Bevölkerung und
die Horte deutschen Wesens bilden. Vereine zu gegenseitiger Sicherstellung
in U nglücks-, Krankheits- und Sterbefällen, zur P fle ge
der Geselligkeit, der Künste oder leiblicher Fertigkeiten, 'U nterrichtsanstalten
zur E rhaltung deutscher Bildung und deutscher Sprache,
blühen jetzt in grosser A nzahl empor und g reifen nachhaltig
ein in den Entwicklungsgang des geistigen, sozialen und politischen
Lebens unter dem Deutschamerikanertum, und während sie anfangs
der eingeborenen Bevölkerung schroff gegenüber zu stehen scheinen,
vollzieht sich in ihnen leise und allmählich ein Teil des Amalgamisationsprozesses
in Abstammung, Sitten, Gebräu'chen und Anschauungeri
ursprüng lich verschiedener Völkerstämme, di e dazu bestimmt
sind, in eine einzige g rosse Nation zu verschmelzen. Durch
die amerkanischen Mustern nachgebildet en deutschen· Kooperativ-
Vereine wird das echt amerikanische Prinzip der Selbsthilfe in das
Deutschamerikanertum eingeführt; die hi erzulande hochgehaltene
Pflege der äusseren Kultur findet in un seren deutschen O rganisationen
fruchtbare P flanzstätten, durch welche sich ihre verfeinernde
\iVirkung und der mit derselben verbundene äussere Schliff auf Familien
wie Individuen überträgt; in ihnen lernt der deutsche Eingewanderte
nach dem Muster der eingeborenen E lemente Selbstbeherrschung,
di e freiwillige Unterordnung· unter selbstgeschaffene
Gesetze und Obere, den freien Meinungs-Ausdruck und die Kunst
des Debattierens. Dabei haben die deutschamerikanischen Schulorganisationen
den Amerikaner mit den Erziehungsgrundsätzen
und Methoden eines Pestalozzi, Fröbel u. A. bekannt gemacht, die
deutschen Gesang- und Musikverein e haben ihm die Meisterwerke
der Tonkunst nahe gerückt und den Sim~ für di eselben in ihm wachgerufen
und genährt, und Lust und L1 ebe zu Musik und Gesang
vereinigt heutzutage Amerikaner und Deutsche bei den verschi edensten
Gelegenheiten zu gemeinsamen Wirken und Streben. Die ebenfa
lls auf den Boden der Freiheit verpflanzten Turnverein e haben der
hierzulande all zusehr vernachlässigten, oder unter der Vorspann des
E hrgeizes und der Gewinnsucht verwahrlosten leiblichen Erziehung
neben der geistigen eine Stätte bereitet, und so sehr sich auch
nativisti sche Eitelkeit dagegen sträuben mag - di e in den öffentlichen
L ehranstalten eingeführten "Calishenic's", die systematische
P fl eg·e körperlicher Ausbildung in den amerikanischen "Athletic
Clubs" oder den "Gymnasien" sind ihr Werk. Vor Allem aber
49