Meditationen der Stille lesen - Franziskanische Gassenarbeit ...
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empfohlenen Beruf ergreifen, <strong>der</strong> da ein Diener des Evangeliums in Glaube und Wahrheit<br />
werden sollte.<br />
((Zitat Ende))<br />
((Ü3)) Anweisungen zum Üben<br />
Wir können und sollten Franziskus nicht kopieren, son<strong>der</strong>n versuchen den schlichten Weg <strong>der</strong><br />
»Wahrnehmung« zu gehen. Auf diesem Weg können wir Gott selbst genug Raum und Zeit geben, dass<br />
Er in uns das wirken kann, was Er schon von Ewigkeit her für uns bereit hat. Gott ist da. Man muss<br />
kein großer geistlicher Meister sein, um das zu wissen. Der Weg zu Gott öffnet sich indes kaum o<strong>der</strong><br />
nur wenig durch diskursives Denken und stetiges Nachsinnen. Gott ist da, aber wir nehmen ihn kaum<br />
o<strong>der</strong> nicht wahr. Es ist die Wahrnehmung, das Hineinhorchen in ihn, wodurch seine Gegenwart sich<br />
uns ganz neu eröffnen kann. Das Einüben <strong>der</strong> Wahrnehmung sollte das Denken, Nachsinnen,<br />
Reflektieren und Studieren über Gott ergänzen.<br />
In <strong>der</strong> religiösen Literatur hat das kontemplative Betrachten, das Nachsinnen über Gott eine reiche<br />
Tradition und einen sehr hohen Stellenwert. Über die Wahrnehmung als solche ist relativ wenig<br />
überliefert, wahrscheinlich, weil man nicht viel sagen muss, aber doch viel Zeit braucht, um in sie<br />
hineinzuwachsen. Über Jesus steht geschrieben, dass er stunden- o<strong>der</strong> nächtelang beten ging. Zum<br />
Beispiel schreibt <strong>der</strong> Evangelist Lukas: „In diesen Tagen ging er auf einen Berg, um zu beten. Und er<br />
verbrachte die ganze Nacht im Gebet zu Gott.“ (Lk 6,12)<br />
Kontemplation ist ein ganz an<strong>der</strong>er Weg als <strong>der</strong>jenige des Verstandes, auch wenn dieser sicher wichtig<br />
ist. Hier geht es von <strong>der</strong> Wahrnehmung zum Denken und dann zum Tun und nicht umgekehrt, obwohl<br />
unsere westliche Welt vor allem das Tun und Denken betont und kaum Raum und Zeit zum<br />
Wahrnehmen <strong>der</strong> Wirklichkeit gibt.<br />
Kontemplation ist <strong>der</strong> Weg über die Wahrnehmung, wobei es zwei Ebenen <strong>der</strong> Wahrnehmung zu<br />
unterscheiden gilt: Wahrnehmen mit den physischen Sinnen, dem Hören, Tasten, Schmecken, Sehen,<br />
Riechen; wahrnehmen auf <strong>der</strong> geistigen Ebene hingegen ist es eher ein Bewusstwerden, ein<br />
Innewerden und ein Gewahrwerden. Erst danach fangen wir an, über das zu reflektieren, was wir<br />
wahrgenommen haben. Und dann kommt das Handeln.<br />
Diese Struktur ist ein Gesetz des Lebens, und wir können sie so wenig än<strong>der</strong>n wie die Schwerkraft.<br />
Das Problem in unserer heutigen Zeit ist, dass wir, sobald wir irgendetwas wahrgenommen haben, zu<br />
denken beginnen und möglichst sofort handeln wollen. Gewiss, an<strong>der</strong>e bleiben in ihren Gedanken<br />
hängen und kommen noch weniger als die Gestressten zur Wahrnehmung. Der große Macher-Zeitgeist<br />
aber reißt uns in eine gefährliche Hektik hinein und hetzt uns in eine Überaktivität. Ich selbst kenne<br />
diese Versuchung nur zu gut.<br />
Das lateinische Wort contemplari bedeutet schauen, was nichts an<strong>der</strong>es ist als wahrnehmen. Im<br />
Himmel werden wir nicht mehr über Gott nachdenken, son<strong>der</strong>n ihn schlichtweg schauen. Das beginnt<br />
aber schon hier auf Erden. Zunächst nehmen wir Gott nicht wahr, weil unsere Unruhe und unser Um-<br />
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