Meditationen der Stille lesen - Franziskanische Gassenarbeit ...
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aufbewahrten Schriftstück für Bru<strong>der</strong> Leo ist dieser Brief im übrigen das einzige erhaltene Autograph<br />
des heiligen Franz. Er ist auf einem kleinen Stück Pergament geschrieben und wird im Domschatz zu<br />
Spoleto aufbewahrt. Franziskus spricht darin das Grundanliegen seines Lebens aus und empfiehlt es<br />
nachdrücklich dem Bru<strong>der</strong> Leo. Franziskus schreibt an ihn:<br />
((Zitat Anfang))<br />
Bru<strong>der</strong> Leo, dein Bru<strong>der</strong> Franziskus wünscht dir Heil und Frieden.<br />
So sage ich dir, mein Sohn, wie eine Mutter, weil ich alle Worte, die wir auf dem Wege<br />
gesprochen haben, kurz in diesem Wort unterbringe, und rate – und wenn es dir nachher (doch)<br />
Not tut, um einen Rat zu mir zu kommen – so also rate ich dir: Auf welche Weise auch immer<br />
es dir besser erscheint, Gott, dem Herrn, zu gefallen und seinen Fußspuren und seiner Armut zu<br />
folgen, so tut es mit dem Segen Gottes, des Herrn, und mit dem Gehorsam gegen mich. Und<br />
wenn es dir notwendig ist, um deiner Seele o<strong>der</strong> deines sonstigen Trostes willen zu mir zu<br />
kommen, und wenn du zu mir kommen willst, Leo, so komm.<br />
((Zitat Ende))<br />
Franziskus war ein ganz feinfühliger Begleiter auf dem geistigen Weg. Er for<strong>der</strong>t die Nachfolge Jesu<br />
in <strong>der</strong> o<strong>der</strong> mit <strong>der</strong> heiligen Armut, also durch das Leerwerden. Aber er kennt auch die<br />
Schwierigkeiten eines solchen Weges und macht Leo Mut, das Gespräch zu suchen. Die Erfahrung <strong>der</strong><br />
eigenen Armut kann zur Versuchung führen, in <strong>der</strong> man sich sagt: »Der Begleiter hat viel Wichtigeres<br />
zu tun, was ich mache, ist nicht so interessant.« Franziskus wusste um diese Not und schrieb darum<br />
dem Bru<strong>der</strong> Leo stellvertretend für dich und mich dreimal »komm«: »Und wenn es dir notwendig ist,<br />
um deiner Seele o<strong>der</strong> deines sonstigen Trostes willen zu mir zu kommen, und wenn du zu mir<br />
kommen willst, Leo, so komm.«<br />
Denn <strong>der</strong> Weg durch die Armut (durch die Leere) braucht wirklich Begleitung.<br />
((Ü3)) Die Leere im Leben des Menschen<br />
Je<strong>der</strong> Mensch muss irgendwann den Weg durch die Leere gehen. Wir werden alle einmal durch das<br />
Nichts <strong>der</strong> Todeserfahrung geführt. Gott leitet uns durch den natürlichen Lauf <strong>der</strong> Dinge Schritt für<br />
Schritt zu diesem Punkt <strong>der</strong> Leere hin. Es beginnt beim Wählen. Wählen bedeutet, sich für eine<br />
Möglichkeit zu entscheiden, aber zugleich muss man auf etwas An<strong>der</strong>es verzichten, die Fülle <strong>der</strong><br />
Möglichkeiten aufgeben. Das Problem ist kaum das Wählen selbst, son<strong>der</strong>n eher, auf das<br />
Nichtgewählte zu verzichten. Manche entscheiden sich nie, weil sie lieber am Reichtum <strong>der</strong><br />
Möglichkeiten festhalten, statt arm zu werden, zu wählen und in diese Wirklichkeit eintauchen. Bei<br />
Entscheidungen entstehen gezwungenermaßen Gefühle von Verlust und Leere, bis man die zugehörige<br />
Trauerarbeit beendet hat. In je<strong>der</strong> Wahl lernen wir, leer zu werden.<br />
Der Lebenslauf des Menschen führt kontinuierlich zur Leere hin, so zum Beispiel durch den Weg von<br />
Mann und Frau, die sich in ihrer Partnerschaft viel Liebe, Gemeinschaft, Sicherheit, Leben und Glück<br />
schenken können. Trotzdem bedeutet eine Beziehung auch, viel vom eigenen Raum aufzugeben, auf<br />
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