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Meditationen der Stille lesen - Franziskanische Gassenarbeit ...

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In diesem und in einigen an<strong>der</strong>en Gebeten in <strong>der</strong> heiligen Messe kommt die kosmische Dimension<br />

dieses Geschehens zum Ausdruck. Das, was in Jesus vor zwei Tausend Jahren geschah, ist für den, <strong>der</strong><br />

glaubt bis heute in je<strong>der</strong> heiligen Messe reinste Gegenwart. Seit dieser Osterzeit hatte ich nie mehr<br />

Zweifel, dass durch Gottes Gnade die traurigsten Geschichten auf diesem Planeten zum Segen werden<br />

können. Nach <strong>der</strong> Messe hielten wir noch eine halbe Stunde Meditation. Doris saß in sich versunken<br />

wie alle Brü<strong>der</strong> da. Ich konnte kaum glauben, was ich da sah. Eine <strong>der</strong> schlimmsten Drogenfrauen saß<br />

ruhig und nach innen gekehrt da. Nach <strong>der</strong> Meditation wurde sie von den Brü<strong>der</strong>n zum Nachtessen<br />

eingeladen. Wir konnten normal mit ihr reden und lachen, haben bei einem Glas Wein die Freude <strong>der</strong><br />

Auferstehung gefeiert.<br />

Sicher, die Geschichte ging weiter. Nach diesem Abend hatte ich schon die Illusion, dass im Leben<br />

von Doris jetzt alles an<strong>der</strong>s war, aber zwei Tage später traf ich sie wie<strong>der</strong> völlig mit Drogen abgefüllt<br />

auf <strong>der</strong> Straße. Bald schon wurde ich zu ihr ins Krankenhaus gerufen, sie lag im Sterben und verlangte<br />

nach mir, dass ich ihr dieheilige Krankenkommunion bringe. Der Arzt stand mit mir am Bett und er<br />

meinte, es sei gut, dass ich da sei, denn es gehe nicht mehr lange mit Doris. Sie lag röchelnd vor mir<br />

und konnte kaum noch sprechen. Ich gab ihr die Krankenkommunion und fragte, ob ich noch beten<br />

solle, dass Gott ihr soviel Leben gebe, wie sie noch brauche, um vor ihn hinzutreten. Sie nickte. Ich<br />

betete und sagte dabei „oh, guter Gott du kennst das Leben von Doris, gib ihr einfach soviel Zeit, wie<br />

sie noch braucht, um wirklich vor dich hinzutreten und sei ihr gnädig in <strong>der</strong> Stunde ihres Todes“.<br />

Zwei o<strong>der</strong> drei Wochen später, wen sah ich auf <strong>der</strong> Gasse herumstressen, mit Drogen dealen – es war<br />

Doris. Ich ging zu ihr hin und fragte sie „was machst du hier, du müsstest doch schon lange tot sein?“<br />

Sie lachte mich zwischen ihrem Drogenstress an und meinte: „Zwei, drei Tage, nachdem du bei mir<br />

warst, wurde ich ganz unerwartet gesund und habe mich wohl nicht im Krankenhaus nicht so gut<br />

benommen. So musste ich die Klinik wie<strong>der</strong> verlassen und jetzt bin ich da“ – und schon war sie<br />

wie<strong>der</strong> mit einem an<strong>der</strong>n Süchtigen um die nächste Hausecke verschwunden. Ich stand da, schaute<br />

zum Himmel und fragte Gott: He, was soll das, warum ist sie wie<strong>der</strong> gesund, hast du sie etwa geheilt?<br />

Und wozu? Dass sie noch schlimmer sündigt als vorher? Für so viele brave Leute hatte ich gebetet und<br />

sie starben und die wilde Doris bekommt Heilung, was soll das? Da kam mir <strong>der</strong> Satz aus <strong>der</strong> Bibel in<br />

den Sinn: „Ich aber sage euch: Liebt eure Feinde und betet für die, die euch verfolgen, damit ihr Söhne<br />

eures Vaters im Himmel werdet; denn er lässt seine Sonne aufgehen über Bösen und Guten, und er<br />

lässt regnen über Gerechte und Ungerechte.“ (Mt 5,44-45) Ich war beschämt über mich, weil ich mir<br />

anmaßte, dass Gott nur die Braven belohnt. Nein, er liebt und lässt die Sonne über allen Menschen<br />

aufgehen, ich soll es genauso machen. So versuche ich seit diesem Tag die Menschen zu lieben,<br />

unabhängig davon, was sie tun und lassen.<br />

Einige Zeit später kam Doris in eine tiefe Depression und Krankheit, und es sah wie<strong>der</strong> so aus, als sei<br />

sie am Ziel ihres Leben, aber es kam ganz an<strong>der</strong>s. Und dieses Jahr konnte ich sie trauen, sie lebt jetzt<br />

mit ihrem Mann ohne Heroin und Kokain in einer kleinen Wohnung. Die Wohnung ist sauber und<br />

man kann je<strong>der</strong>zeit bei ihr auf einen Tee o<strong>der</strong> Kaffe vorbei gehen. Und während ich diese Zeilen<br />

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