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Meditationen der Stille lesen - Franziskanische Gassenarbeit ...

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Individuen wahrnehmen und zugleich in ein großes Ganzes gehören: Ich, Familie, Gesellschaft,<br />

Menschheit, Erde, Sonnensystem.<br />

Mein Glaube und meine Weltsicht gehen wie gesagt davon aus, dass nicht <strong>der</strong> Kosmos den Menschen<br />

bewegt, son<strong>der</strong>n letztlich <strong>der</strong> Mensch es ist, <strong>der</strong> mit seinem Weg und mit seinen Entscheidungen die<br />

Dinge bewegt. Wenn wir jedoch über die Art und Weise sprechen, wie Menschen entscheiden, wird es<br />

noch komplizierter. Denn eine wirkliche Entscheidung wird zwar vom Verstand getragen, aber nicht<br />

von ihm gefällt, eine wirkliche Entscheidung wird zwar von den Gefühlen unterstützt, aber es sind<br />

auch nicht die Gefühle, die solche Lebensentscheidungen hervorbringen. Letztlich geschieht das<br />

Entscheiden tief in unseren Herzen. O<strong>der</strong> wie an<strong>der</strong>e sagen, es ist <strong>der</strong> oft noch unbewusste Geist,<br />

welcher unser Wesen in sich trägt, <strong>der</strong> die wirklichen Entscheidungen fällt und auch hervorbringt,<br />

durch Gefühl und Verstand. Wenn dieser unbewusste Geist, unser Herz o<strong>der</strong> unser Wesen, wie man es<br />

auch nennt, das Geschenk bekommt, sich <strong>der</strong> Ewigen Liebe o<strong>der</strong> dem Heiligen Geist zu öffnen,<br />

beginnt eine neue Freiheit aufzukeimen. Dass wir uns nicht wirklich öffnen können o<strong>der</strong> wollen, hängt<br />

letztlich mit <strong>der</strong> tiefsten Schuld des Menschen zusammen: Er hat sich von Gott und vom Ganzen<br />

abgewendet. Hier wird das christliche Moment wirksam, dass Christus alles, was uns vom Ganzen und<br />

beson<strong>der</strong>s von Gott trennt, in seinem Erbarmen von uns nimmt und dabei aber unsere Freiheit nicht<br />

überspringt.<br />

Diese Zusammenhänge sind sehr komplex und schwer in Worte zu fassen, ohne eine lange<br />

philosophische und theologische Arbeit zu schreiben, welche dann nur noch ganz wenige<br />

nachvollziehen können. Ich möchte daher aus meiner eigenen Erfahrung berichten und die folgende<br />

Ostergeschichte erzählen, die mir eindrücklich gezeigt hat, wie weit die Erlösung reicht.<br />

In <strong>der</strong> Fastenzeit 2000 fuhr ich mit dem Bus von <strong>der</strong> Arbeit auf <strong>der</strong> Drogenszene nachhause. Als Doris<br />

mich im Bus entdeckte, kam sie sofort zu mir und redete wie ein Wasserfall auf mich ein. Doris war<br />

eine Drogenprostituierte und eine <strong>der</strong> wohl am schlimmsten heruntergekommenen Süchtigen, die ich<br />

in Zürich kannte. Sie lachte und weinte während sie mit mir redete. Sie erzählte mir, dass sie mit den<br />

Drogen aufhören wolle, dann von ihren großen Plänen, als Leiterin in einer Entzugsklinik, dann<br />

fluchte sie wie<strong>der</strong> über die perversen Freier, die nicht bezahlen wollten, dann fragte sie mich, wie es<br />

mir gehe und bevor ich antworten konnte, rief sie: „Schau dort im Schaufenster, diese Hifi-Stereo-<br />

Anlage werde ich mir kaufen …“ Ich habe ja schon oft verwirrten o<strong>der</strong> psychotischen Menschen<br />

zugehört, aber dieses Mal war es speziell und mir war, als ob mir <strong>der</strong> Schutzengel zuflüsterte, sie ist<br />

jetzt im Karussell von Leben und Tod und die Sucht treibt es gefährlich schnell an. Versuch einfach<br />

zuzuhören, vielleicht kannst du aufspringen und einige unvergessliche und lehrreiche Runden mit ihr<br />

drehen. Doris war immer noch am Erzählen über dies und jenes, dann sagte sie in völliger Klarheit.<br />

„Gell, Benno, du kannst mir nicht richtig folgen?“ Ich schaute sie nur mit großen Augen an. Dann<br />

fasste sie mich an meine Kutte und sagte „Weißt du, ich spreche jetzt vom 2ten zum 10ten vom<br />

100sten zum 38ten usw., aber vertrau mir, am Schluss wird es zu einem Ganzen … und übrigens<br />

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