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Meditationen der Stille lesen - Franziskanische Gassenarbeit ...

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Selbstverständlich ist es nicht immer leicht, die Spiritualität so in den Alltag herein zu holen und aus<br />

dieser Mitte zu leben. Was kann das konkret heißen? Vielleicht erinnern Sie sich an das, was ich über<br />

das Migros-Christentum gesagt habe: Man bedient sich <strong>der</strong> christlichen Gebete und Rituale nur bei<br />

Bedarf und erwartet, dass sie schnell und umkompliziert helfen. Ansonsten bleiben sie im Regal<br />

stehen. Diese Vorstellung gilt es umzudrehen: Die Spiritualität ist die Basis, aus <strong>der</strong> man lebt und die<br />

einen unterstützt, den Alltag zu bewältigen und sich selbst zu organisieren und zu „managen“, wie<br />

man heute so schön sagt. Letztlich ist es so: Bei einer gesunden, integrierten Spiritualität muss man<br />

nicht mehr versuchen, an Gott zu denken o<strong>der</strong> sich immer wie<strong>der</strong> zu fragen, was <strong>der</strong> liebe Gott zu<br />

dieser o<strong>der</strong> jener Sache sagen würde. Man lebt natürlich in <strong>der</strong> Verbundenheit mit sich, mit Gott und<br />

<strong>der</strong> Mitwelt. Spiritualität hat dabei viel mit Ganzheitlichkeit zu tun, mit <strong>der</strong> körperlichen und<br />

seelischen Entfaltung und damit, dass Sie Ihre Stärken und Schwächen kennen und damit umzugehen<br />

wissen.<br />

Gerade die Auseinan<strong>der</strong>setzung mit den negativen Seiten, die Schattenarbeit wird dann zur Freude.<br />

Diejenigen, die in <strong>der</strong> Mitte waren, wissen, dass all das, was wir in uns an Bedrohungen,<br />

unangenehmen Emotionen, Haltungen und diffusen Kräften erleben, noch ungeschliffenes Potenzial<br />

ist. Es geht darum, dies anzuschauen, wahrzunehmen und zu sagen, ja, da sind Dinge in meinem<br />

Leben, die noch nicht die Form haben, die sie haben könnten, aber wir sind dran. Wie die Kohle, die<br />

unter Druck zum Diamanten wird, <strong>der</strong> wie<strong>der</strong>um nur mit Diamanten geschliffen werden kann. Wer<br />

Schattenarbeit macht, <strong>der</strong> lässt sich auch gerne im Alltag durch die Lebensumstände schleifen, obwohl<br />

es manchmal schmerzt.<br />

An<strong>der</strong>e Menschen haben hingegen große Angst, sich mit den Schatten auseinan<strong>der</strong> zu setzen. Manche<br />

verdrängen die fehlerhaften Seiten und leben oberflächlich in dem Bewusstsein, dass sie keine Fehler<br />

haben und daher auch we<strong>der</strong> Vergebung noch Schattenarbeit benötigen. Diejenigen, die zu viel<br />

Skrupel haben und krampfhaft darauf bedacht sind, keine Fehler zu machen, vergraben sich oft<br />

ängstlich und verschütten damit ihre Begabungen. Wie<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e beschäftigen sich unaufhörlich mit<br />

ihren Problemen und kreisen nur um sich selber. Es fehlt jegliche Energie, um die konstruktiven<br />

Seiten des Lebens zu entfalten. Sie alle werden kaum an das wirkliche Potenzial des Menschseins<br />

herankommen.<br />

Oft braucht es einen langen Prozess mit einem kompetenten geistlichen Begleiter o<strong>der</strong> Beichtvater, bis<br />

wir entdecken, dass in unseren Schatten unglaubliche Möglichkeiten verborgen sind. Es ist ähnlich<br />

wie mit den Öl-Fel<strong>der</strong>n o<strong>der</strong> Kohleminen, die viel mehr sind als nur harmlose Bodenschätze. Die<br />

Kunst liegt darin, sie so nutzbar zu machen, dass sie we<strong>der</strong> uns noch an<strong>der</strong>en Schaden zufügen. Es<br />

braucht dazu eine wirklich konsequente Entscheidung, dass man sich diesen Seiten stellen will. Wer<br />

sich auf den Weg macht und in <strong>der</strong> Schattenarbeit nicht nur an den moralischen Fehltritten arbeitet und<br />

versucht ein möglichst anständiger Mitmensch zu sein, son<strong>der</strong>n den Mut hat, in die eigenen Tiefen<br />

vorzudringen, wird staunen, was alles im Menschen möglich ist.<br />

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