Meditationen der Stille lesen - Franziskanische Gassenarbeit ...
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uns-selbst-Kreisen den Blick auf Ihn verdunkelt. Wir dürfen jedoch lernen, wahrzunehmen und uns in<br />
die Kontemplation hineinzugeben.<br />
Wahrnehmung beginnt mit unseren physischen Sinnen, es ist aber eigentlich eine innere Wachsamkeit,<br />
eine gesammelte Aktivität des Bewusstseins. Schrittweise nähern wir uns dann dem Geheimnis <strong>der</strong><br />
geistigen Wahrnehmung. Wahrnehmen heißt ganz und gar in <strong>der</strong> Gegenwart zu sein, denn Zukunft<br />
und Vergangenheit sind immer Gedanken und Wünsche. Nur das Jetzt ist Gegenwart und somit die<br />
wahre Realität.<br />
Franziskus, <strong>der</strong> am Anfang seines Weges Kontakte zu Benediktinern hatte, wusste sicher um das Ziel<br />
<strong>der</strong> benediktinischen Spiritualität, das »In <strong>der</strong> Gegenwart Gottes wandeln.« Da das Vergangene und<br />
die Zukunft sehr wichtig für unser Leben sind, haben wir verlernt o<strong>der</strong> vergessen, wirklich in <strong>der</strong><br />
Nüchternheit und Armut <strong>der</strong> Gegenwart zu sein. Trotzdem wird unsere Zukunft und unsere Geschichte<br />
immer eine Folge dessen sein, wie wir die Gegenwart leben. Darum ist es sehr wichtig, dass wir<br />
wie<strong>der</strong> lernen, ganz in die Gegenwart zu kommen – erst in <strong>der</strong> Gegenwart kann uns die große<br />
Gegenwart Gottes näher kommen.<br />
Wahrnehmen, Bewusstsein, in <strong>der</strong> Gegenwart sein, Da-Sein – dies alles sind Synonyme für das, was<br />
wir letztlich nicht allein mit dem Kopf verstehen können, son<strong>der</strong>n was nur zusammen mit dem Weg<br />
<strong>der</strong> Erfahrung in uns wirksam werden kann. Ob das Wahrnehmen mehr ein Denken o<strong>der</strong> ein Tun ist,<br />
erkennen wir daran, ob es uns ermüdet o<strong>der</strong> belebt. Wer wirklich den Punkt des Wahrnehmens trifft,<br />
wird kaum ermüden – im Gegenteil, er ist am Ort des lebendigen Wassers. Wer arbeitet, braucht eine<br />
Pause, und diese Pause gewährt das stille Wahrnehmen. Wahrnehmen in diesem Sinne ist wohl die<br />
höchste Form <strong>der</strong> Erholung. Es erfrischt, regeneriert und entfaltet unsere Kräfte. Wir sollten aber den<br />
Mut nicht verlieren, wenn wir diese wohltuende Wirkung nicht schon nach einer Woche erreichen,<br />
denn wer einmal auf diesem Weg geht, macht die Erfahrung, dass es ein Lebensweg ist. Mal geht es<br />
leichter, mal steckt man fest, mal ist es unglaublich mühsam – und dann geht alles wie<strong>der</strong> von allein.<br />
Aber im Ganzen wird man dabei eine immer tiefere Form von Gottes Gegenwart erleben. Nur an IHM,<br />
an seiner Gegenwart, erkennen wir, ob wir wirklich auf dem Weg sind.<br />
Erholen wir uns im Zustand <strong>der</strong> Wahrnehmung, so gelangen wir langsam zur Kontemplation.<br />
Von den Schwestern <strong>der</strong> heiligen Klara werden die sieben Stufen des geistigen Weges<br />
beschrieben: Haben sie die siebte Stufe, den höchsten Grad <strong>der</strong> Beschauung, erlangt, so lernen<br />
sie dort alles, was sie tun o<strong>der</strong> lassen müssen, und verstehen es glücklich, sich mit ihrem Geist<br />
zu Gott zu erheben, indem sie bei Tag und Nacht im Lobgesang Gottes und im Gebet verharren.<br />
Auch von Franziskus wird an vielen Stellen berichtet, dass er sehr lange im Gebet versunken<br />
war. In Gottes Gegenwart hineinzukommen kann uns auch einfach für einige Zeit geschenkt<br />
werden. Mir selbst wurden etwa in den ersten Jahren des Klosters riesige Gnaden des Gebets<br />
geschenkt und es ging ohne zu üben. Um im Alltag weiterzugehen, bin ich sehr dankbar für das<br />
Wissen über die Grundregeln <strong>der</strong> Einübung in die »franzisklarianische« Kontemplation.<br />
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