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Meditationen der Stille lesen - Franziskanische Gassenarbeit ...

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ich will in ihnen die Sünde nicht sehen, weil ich den Sohn Gottes in ihnen erblicke und sie<br />

meine Herren sind. Und deswegen tue ich das, weil ich leiblicherweise von ihm, dem höchsten<br />

Sohn Gottes, in dieser Welt nichts sehe als seinen heiligsten Leib und sein heiligstes Blut, das<br />

sie selbst empfangen und sie allein den an<strong>der</strong>en darreichen.<br />

((Zitat Ende))<br />

Was im Testament des Franziskus steht, trifft wohl den Kern, wie sich Gott den Menschen offenbaren<br />

will. Wenn Franziskus von Gott spricht, spricht er von ihm immer in <strong>der</strong> Spannung zu den<br />

Geschöpfen. Die Art und Weise, wie er mit dem Aussätzigen umgeht, ist die Art und Weise, wie er<br />

mit dem Gekreuzigten umgeht. Wie er mit <strong>der</strong> Kirche umgeht, ist die Art, wie er mit Christus umgeht.<br />

Wenn er schon mit den Extrempolen von Christi Gegenwart im Amt des Priesters wie auch in <strong>der</strong><br />

Gestalt des Aussätzigen umgeht, wie viel mehr erkennt er in jedem Geschöpf zwischen den Polen das<br />

Geheimnis Christi. Die Begegnung mit dem Aussätzigen war für Franziskus <strong>der</strong> Angelpunkt, <strong>der</strong><br />

Anfang des neuen Lebens.<br />

Damit <strong>der</strong> Weg <strong>der</strong> Kontemplation keine abgehobene menschen- und weltfremde Sache wird, son<strong>der</strong>n<br />

wirklich <strong>der</strong> Weg zur größeren Liebe, ist es unbedingt notwendig, den »Gottesspiegel« gut zu kennen.<br />

Wer ehrlich in diesen Spiegel schaut, wird tief erfahren, dass Gott immer noch <strong>der</strong> ganz An<strong>der</strong>e ist,<br />

aber dass ich in diesem Spiegel erkenne, wie ich zu Gott stehe. Der Spiegel ist die Art und Weise, wie<br />

ich mit meinen Mitmenschen umgehe. Wenn ich dreißig Prozent meiner Bekannten achte und liebe,<br />

wenn ich die weitere dreißig Prozent verachte und ablehne und wenn mir vierzig Prozent gleichgültig<br />

sind, kann man ruhig sagen, dreißig Prozent von Gott achte und liebe ich, dreißig Prozent verachte und<br />

lehne ich an <strong>der</strong> Gegenwart Gottes ab und vierzig Prozent sind mir gleichgültig.<br />

Solange ich einen einzigen Menschen gering schätze, solange verachte ich auch Gott. Solange ich auf<br />

einen einzigen Menschen wütend bin, bin ich auch gegen Gott wütend, und solange ich vor einem<br />

Menschen Angst habe, ihn ignoriere o<strong>der</strong> beneide, solange habe ich Angst vor Gott, ignoriere o<strong>der</strong><br />

beneide ihn.<br />

Dieser klare Spiegel <strong>der</strong> Gottesbeziehung in den Menschenbeziehungen ist die einzige Chance, wie<br />

<strong>der</strong> Glaube voll im Leben verankert werden kann – immer im Wissen, dass das Spiegelbild wohl<br />

wirklich ist, aber nicht <strong>der</strong> Spiegel das Wirkliche ist. Manche Menschen werten die Gottesbeziehung<br />

höher als ihre Beziehung zu den Menschen. Dies ist nichts als eine Täuschung; sie schätzen sich<br />

gläubiger ein, als sie in Wirklichkeit sind. So müssen wir nicht fragen, wie wir den Glauben in den<br />

Alltag hinein übersetzen könnten, son<strong>der</strong>n wir können ihn am Alltag in seiner wahren Größe ab<strong>lesen</strong>.<br />

Wer krampfhaft versucht, seinen Glauben im Alltag umzusetzen, setzt nur seine Vorstellung von<br />

Glauben o<strong>der</strong> Gott um. Wahren Glauben lebt man ganz natürlich und spontan. Wer diesen Spiegel<br />

ehrlich benutzt, kann auch darum bitten, dass die Liebe zu Gott, zum Nächsten und zu sich selbst zu<br />

wachsen beginne. Dieser Weg wird nicht einfacher, aber die Täuschung, den Glauben schon zu leben,<br />

die Nächstenliebe aber noch nicht, ist dann zumindest ausgeschlossen.<br />

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