Gerhard Ott: Zur Entstehung der prismatischen ... - Farben-Welten
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so formuliert schließlich Rudolf Steiner in <strong>der</strong> knappsten Weise dieses<br />
allem Farbigen zugrunde liegende Urphänomen, wie Goethe es sah.<br />
Hinblickend darauf, daß die Natur selbst dieses Urphänomen dem auf·<br />
merksamen Beobachter groß und rein vor Augen stellt und es keiner<br />
beson<strong>der</strong>en Vorrichtungen bedarf, um es wahrzunehmen, sagt Goethe<br />
(in einem gegen die Newtonsehe Ansicht gerichteten Gedichte, 6. Buch<br />
<strong>der</strong> Zahmen Xenien, 2. Strophe) :<br />
Wenn <strong>der</strong> Blick an heitren Tagen<br />
Sich zur Himmelsbläue lenkt,<br />
Beim Sirok <strong>der</strong> Sonnenwagen<br />
Purpurrot sich nie<strong>der</strong>senkt :<br />
Da geht <strong>der</strong> Natur die Ehre<br />
Froh, an Aug' und Herz gesund,<br />
Und erkennt '<strong>der</strong> <strong>Farben</strong>lehre<br />
Allgemeinen ewigen Grund.<br />
So werden WIr also durch die reine und einfache Anschauung <strong>der</strong><br />
Natur mit dem Urphänomen alles Farbigen vertraut gemacht. Wie hoch<br />
Goethe dieses Urphänomen einschätzte, gibt er deutlich in den Worten<br />
kund:<br />
«Das Höchste, wozu <strong>der</strong> Mensch gelangen kann, ist, das Erstaunen; und wenn<br />
ihn das Urphänomen in Erstaunen setzt, so sei er zufrieden; ein Höheres kann es<br />
ihm nicht gewähren, und ein Weiteres soll er nicht dahinter suchen. Hier ist die<br />
Grenze."<br />
Und weiterhin:<br />
«Das unmittelbare Gewahrwerden <strong>der</strong> Urphänomene versetzt uns in eine Art<br />
von Angst: wir fühlen unsere Unzulänglichkeit; nur durch das ewige Spiel <strong>der</strong><br />
Empirie belebt erfreuen sie uns.»<br />
An<strong>der</strong>erseits aber weist Goethe streng alles ab, was durch Theoretisieren<br />
ein noch «Ursprünglicheres» hinter diesem Ursprünglichen <strong>der</strong><br />
Natur zu suchen unternimmt:<br />
«Den Menschen ist <strong>der</strong> Anblick eines Urphänomens gewöhnlich noch nicht<br />
genug; sie denken, es müsse noch weiter gehen, und sie sind den Kin<strong>der</strong>n ähnlich,<br />
die, wenn sie in einen Spiegel geguckt, ihn sogleich umwenden, um zu sehen, was<br />
auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite ist.,,60<br />
In dem Goetheschen Urphänomen haben wir also das Weltgeschehen<br />
in einer seiner Uroflenbarungen. Und so muß von hier aus nochmals<br />
die Frage auftreten: Wenn beim Prisma das eine Mal ein rot-gelber,<br />
das an<strong>der</strong>e Mal ein blau-violetter Rand und Saum primär erscheint, wie<br />
wirkt dann in diesem Vorgang die Trübe mit Licht und Finsternis zusammen,<br />
damit diese <strong>Farben</strong> sich bilden können?<br />
Dies klarzustellen war auch Goethes Absicht. Er glaubte die Antwort<br />
darin zu finden, daß er anläßlich <strong>der</strong> Bildverrückung beim Prisma annahm,<br />
daß hier neben einem Hauptbilde noch ein halbdurchsichtiges<br />
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