Wirtschaftswoche Ausgabe vom 2013-11-11 (Vorschau)
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Perspektiven&Debatte<br />
»<br />
ro schwere Konjunkturprogramm<br />
Plan E, bei dem ein Großteil in so unsinnige<br />
Maßnahmen wie die Renovierung<br />
von Gehwegen floss, und zeigt in<br />
der nächsten Szene John Maynard<br />
Keynes, der sich im Grab umdreht.<br />
Saló stellt den Denkansatz von<br />
Staatsgläubigen und Marktverfechtern<br />
einander gegenüber und kommt<br />
zu dem Schluss, dass Spanien nicht<br />
an Ideologien gescheitert ist, sondern<br />
an Filz. Konservative wie Sozialdemokraten<br />
haben ihre Leute in<br />
die Aufsichtsräte großer Unternehmen<br />
wie den Stromversorger Endesa<br />
oder Telefónica geschickt und<br />
Klientelpolitik betrieben. Saló hütet<br />
sich allerdings vor allzu einfachen<br />
Erklärungsmustern: „Ich glaube<br />
nicht, dass Banker böse sind oder<br />
jeder Politiker korrupt. Wir haben<br />
alle einen Anteil an dem, was aus<br />
Spanien geworden ist.“<br />
MIT SPITZER FEDER<br />
Der 30-Jährige zeichnet Karikaturen, seit er<br />
17 ist, zunächst für die Lokalzeitung seiner<br />
katalanischen Heimatstadt Ripollet. Dort<br />
bringt er Bürgermeister und Gemeinderat<br />
mit seiner spitzen Feder gegen sich auf. Ein<br />
Architekturstudium bricht er ab, weil er<br />
sich lieber mit Comics seinen Lebensunterhalt<br />
verdient. Er provoziert ein bisschen,<br />
indem er einen bösen Videoclip<br />
zum Besuch von Papst Benedikt XVI. ins<br />
Netz stellt. Doch sein Durchbruch kommt<br />
mit der Krise und dem Comic-Band „Españistan“.<br />
Der Name ist Programm: Seither<br />
geht Saló der Frage nach, wie seine Heimat<br />
zu einem Land verkommen konnte, das einer<br />
zentralasiatischen Republik gleicht.<br />
Seine Themen sind grenzüberschreitend<br />
verständlich. Der jüngste Band „Euro pesadilla<br />
– Alguien se ha comido a la clase media“<br />
(„Euro-Alptraum – Jemand hat den<br />
Mittelstand verzehrt“) ist gerade in Portugal<br />
erschienen, die Übersetzung ins Türkische<br />
steht bevor.<br />
Dem Iren Barry Murphy mit seiner<br />
Kunstfigur Professor Doktor Günther<br />
Gruhn hat die Krise ebenfalls zu einem völlig<br />
neuen Umfeld verholfen. Schon vor<br />
zehn Jahren brachte Murphy seine Landsleute<br />
zum Lachen, wenn er als EZB-Ökonom<br />
mit schlecht sitzender Perücke und<br />
ploppenden Konsonanten darauf hinwies,<br />
dass Deutschland Irland genug Geld gegeben<br />
hätte, um das ganze Land zu teeren –<br />
und zwar 32-mal. Seit Irland aber unter der<br />
Kuratel der Troika steht, bekommt ein<br />
Realität in harter Optik<br />
Andrés Rábago García, alias El Roto, begleitete<br />
schon in den Siebzigerjahren mit seinen<br />
Karikaturen Spanien auf den Weg in die<br />
Demokratie. Korruption, Klientelpolitik und<br />
politischer Realitätsverlust lassen ihn heute<br />
wieder bissig kommentieren: „Selbst unter<br />
Trümmern behielt der Risikomanager seinen<br />
Optimismus: Das System ist sicher.“<br />
Ökonom mit deutschem Akzent, der den<br />
Iren Verschwendung und Schlamperei vorwirft,<br />
eine ganz neue Bedeutung. Bösartigkeit<br />
liegt Murphy fern, er weiß, dass Iren<br />
am liebsten über sich selbst lachen. Auch<br />
von Deutschfeindlichkeit fehlt bei Murphy<br />
jede Spur. Er hat die Deutsche Schule St.<br />
Kilians in Dublin besucht, daher auch der<br />
gekonnte deutsche Akzent.<br />
Beim Griechen Papakaliatis, 38, war es<br />
ebenfalls die Krise, die seiner Karriere eine<br />
unerwartete Wendung gab. Mit 16 war er<br />
erstmals in einer griechischen Fernsehserie<br />
aufgetreten, er schrieb Drehbücher, zuletzt<br />
für „Tessera“, eine Serie über vier Brüder,<br />
bei der er auch Regie führte. 2010 stell-<br />
Karikaturen erleben<br />
einen Boom wie<br />
zuletzt nach dem<br />
Tod Francos<br />
te der Privatsender Mega die Serie<br />
ein, weil die Anzeigeneinnahmen<br />
weggebrochen waren.<br />
„Auch ohne Krise hätte ich einen<br />
Film gemacht“, sagt Papakaliatis<br />
heute. Fernsehen drohte zur Routine<br />
zu werden.<br />
Erst die Krise lieferte die Zutaten,<br />
die „An“ zu einem Werk machen,<br />
für das sich auch ein Publikum<br />
außerhalb Griechenlands interessiert.<br />
Papakaliatis stellt ähnlich<br />
wie vor ihm schon der Franzose<br />
Alain Resnais in „Smoking“ und<br />
„No Smoking“ und der Pole Krzysztof<br />
Kieslowski in „Die zwei Leben<br />
der Veronika“ die Frage, was gewesen<br />
wäre, wenn sich die Hauptperson<br />
in einem Moment anders entschieden<br />
hätte. In einem Handlungsstrang<br />
führt Dimitris abends<br />
seinen Schäferhund aus und trifft<br />
die Frau seines Lebens, im anderen<br />
schickt er den Hund in den Hinterhof<br />
und wird kurz darauf von Einbrechern<br />
brutal zusammengeschlagen. „Die Zeiten<br />
haben sich geändert“, sagt der Polizist im<br />
Krankenhaus und fügt hinzu: „Am falschen<br />
Tag am falschen Ort.“ Nichts ist hier das,<br />
was es scheint – der Film ist eine Allegorie<br />
auf das Leben in Griechenland.<br />
2012, als der Film entstand, fanden dort<br />
zwei Wahlen statt. „Wir hatten täglich den<br />
Eindruck, dass sich um uns herum alles<br />
ändern kann“, erinnert sich Papakaliatis.<br />
KEINE ANDERE WAHL<br />
Den nächsten Film wird er auf Englisch<br />
drehen, als ausländische Koproduktion.<br />
Eine Deutsche wird auch darin vorkommen.<br />
Sie entlässt einen Griechen und verliebt<br />
sich dann in ihn. „Vor ein paar Jahren<br />
hätte die Rolle eine Schwedin oder eine Österreicherin<br />
spielen können“, sagt Papakaliatis.<br />
Aber heute ist Mitteleuropa in den<br />
Köpfen der Griechen eindeutig besetzt.<br />
Papakaliatis ist stolz, dass „An“ eine der<br />
wenigen griechischen Produktionen der<br />
vergangenen Jahre war, bei der alle ihre Gage<br />
erhielten. Comic-Zeichner Saló, dem es<br />
finanziell besser geht als vielen seiner früheren<br />
Kommilitonen, die als Architekten<br />
heute arbeitslos sind, weiß, dass Karrieren<br />
in Festanstellung, wie sie Karikaturist El<br />
Roto noch genießt, heute nicht mehr möglich<br />
sind. „Wenn ich es mir recht überlege,<br />
bin ich mehr Unternehmer als Künstler“,<br />
sagt der Katalane. „Die Zeiten lassen mir<br />
keine andere Wahl.“<br />
n<br />
silke.wettach@wiwo.de | Brüssel<br />
CARTOON: EL ROTO<br />
126 Nr. 46 <strong>11</strong>.<strong>11</strong>.<strong>2013</strong> WirtschaftsWoche<br />
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