Gesellschaftsvertrag für eine GroÃe Transformation - Erfolgsfaktoren ...
Gesellschaftsvertrag für eine GroÃe Transformation - Erfolgsfaktoren ...
Gesellschaftsvertrag für eine GroÃe Transformation - Erfolgsfaktoren ...
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
Zentrale Charakteristika der Großen <strong>Transformation</strong> 3.1<br />
sind jenseits der Technologien angesiedelt – etwa die<br />
Veränderung von Lebensstilen, <strong>eine</strong> globale Kooperationsrevolution,<br />
die Überwindung von Politikblockaden<br />
sowie ein verantwortungsvoller Umgang mit<br />
generationenübergreifenden Langfristveränderungen<br />
(Kap. 5, 6). Technologien können helfen, diese Herausforderungen<br />
<strong>eine</strong>s umfassenden ökonomischen und<br />
gesellschaftlichen Wandels zu vereinfachen. Sie sind<br />
jedoch nicht der Schlüssel oder gar der einzige Schlüssel<br />
zur Großen <strong>Transformation</strong>.<br />
Auch die <strong>Transformation</strong>stheorien, die sich mit<br />
dem Übergang der sozialistischen Länder in Richtung<br />
Marktwirtschaft und Demokratie beschäftigen (Merkel,<br />
2010), erfassen, wie die Innovationstheorien und<br />
die Theorie langer Wellen, einige wichtige Dimensionen<br />
der Großen <strong>Transformation</strong>. Immerhin geht es bei diesen<br />
Ansätzen darum, den weitreichenden Umbau von<br />
Ökonomien und Gesellschaft zu verstehen sowie entsprechende<br />
<strong>Transformation</strong>sstrategien zu entwickeln.<br />
Der entscheidende Unterschied zwischen diesen <strong>Transformation</strong>en<br />
und dem Übergang zu <strong>eine</strong>r Weltwirtschaft<br />
in den Grenzen des Erdsystems besteht darin,<br />
dass sich die ehemals sozialistischen Länder im Übergang<br />
zur Marktwirtschaft an existierenden Leitbildern<br />
und Modellen westlicher Länder orientiert haben.<br />
Für die Große <strong>Transformation</strong> zur Nachhaltigkeit<br />
dagegen gibt es k<strong>eine</strong> etablierten Vorbilder. Die Verbindung<br />
von Wohlstand, Dekarbonisierung, radikaler Ressourceneffizienz<br />
und Demokratie ist <strong>eine</strong> historische<br />
Herausforderung, der sich alle Länder gleichermaßen<br />
stellen müssen und von der gerade die wohlhabenden<br />
Staaten – was ihre Treibhausgasemissionen und ihren<br />
Ressourcenverbrauch angeht – besonders weit entfernt<br />
sind. Es gibt derzeit weltweit kein einziges Modellland<br />
für klimaverträgliches Wirtschaften (Low-carbon-<br />
Modellland), an dem sich Reformprozesse in anderen<br />
Ländern orientieren könnten. Zudem konzentrierten<br />
sich die <strong>Transformation</strong>stheorien zum Übergang von<br />
sozialistischen zu westlichen Gesellschaften auf nationale<br />
Systeme, während die Große <strong>Transformation</strong> des<br />
21. Jahrhunderts sowohl Veränderungen in nationalen<br />
Gesellschaften als auch insbesondere Prozesse globalen<br />
Wandels umfassen muss.<br />
Existierende <strong>Transformation</strong>stheorien können durchaus<br />
Elemente und Strukturmerkmale zu <strong>eine</strong>m heuristischen<br />
Konzept zur Analyse der Großen <strong>Transformation</strong><br />
beitragen, sind jedoch nicht darauf ausgelegt, den epochalen<br />
Umbruch zu beschreiben, der aus Sicht des<br />
WBGU notwendig wäre, um Erdsystemstabilität, breitenwirksamen<br />
Wohlstand und Demokratie langfristig zu<br />
sichern.<br />
3.1<br />
Zentrale Charakteristika der Großen<br />
<strong>Transformation</strong><br />
Grin et al. (2010) leisten mit ihren Arbeiten zu „long<br />
term transformative change to sustainabilty“ wichtige<br />
Beiträge zu <strong>eine</strong>m besseren Verständnis von Veränderungsprozessen,<br />
die der WBGU als Große <strong>Transformation</strong><br />
bezeichnet. Der Ansatz von Grin et al. (2010)<br />
rekurriert auf oben skizzierte <strong>Transformation</strong>skonzepte<br />
und -theorien, insbesondere aus der evolutorischen<br />
Ökonomik und der Innovationsforschung, aber<br />
auch aus den Geschichtswissenschaften, und erweitert<br />
diese in Richtung <strong>eine</strong>s umfassenderen Wandels zur<br />
nachhaltigen Entwicklung. Grin et al. (2010) sprechen<br />
von „transition“, wenn sie Prozesse umfassenden Wandels<br />
analysieren und von „transformations“ als Phasen<br />
innerhalb der „transition“. In den Sozialwissenschaften<br />
werden die deutschen Begriffe „Transition“ und „<strong>Transformation</strong>“<br />
in der Regel synonym gebraucht, um weitreichende<br />
Prozesse gesellschaftlichen, wirtschaft lichen,<br />
kulturellen und politischen Wandels zu beschreiben<br />
(Nohlen, 2005). Der WBGU verwendet in dieser Studie<br />
den Begriff der „<strong>Transformation</strong>“, nicht zuletzt in<br />
Anlehnung an Karl Polanyis (1944) „Great <strong>Transformation</strong>“,<br />
um umfassenden Wandel zu beschreiben.<br />
Historische Phasen umfassenden wirtschaftlichen,<br />
technologischen, kulturellen und politischen Wandels,<br />
die nicht nur Nischen und Sektoren betreffen, sondern<br />
in denen Gesellschaften insgesamt transformiert werden,<br />
können in Anlehnung an Giddens (1984), Bourdieu<br />
(1977) und Braudel (1958) als Prozesse verstanden<br />
werden, in denen „wechselnde Praktiken, struktureller<br />
Wandel und exogene Tendenzen parallel zueinander<br />
auftreten und gegebenenfalls interagieren, so<br />
dass nicht-inkrementelle Veränderungen in Praktiken<br />
und Strukturen entstehen“ (Grin et al., 2010). Dabei<br />
übernehmen die Autoren von dem Wirtschaftshistoriker<br />
Braudel (1958) die Erkenntnis, dass tiefgreifender<br />
Wandel auf Veränderungsprozessen basiert, die<br />
unterschiedlichen Zeitlogiken und Geschwindigkeiten<br />
folgen. Geographische, geologische, aber auch soziale<br />
und mentale Strukturen verändern sich nur sehr<br />
langsam (structural history); ökonomische Strukturen,<br />
Akteurs- und Machtkonstellationen, die Verfügbarkeit<br />
natürlicher Ressourcen können sich im Rhythmus<br />
von Jahren und wenigen Dekaden verändern (conjunctural<br />
history); spezielle Momente und Ereignisse der<br />
Geschichte (der 11. September 2001, Beginn und Ende<br />
des II. Weltkrieges; Weltwirtschaftskrise 1929/30 bzw.<br />
2007–2009), können zu Kursänderungen, Schocks,<br />
lang anhaltenden Krisen oder auch Gelegenheitsfenstern<br />
(windows of opportunity) für Veränderung führen<br />
89