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Gesellschaftsvertrag für eine Große Transformation - Erfolgsfaktoren ...

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Ein neuer globaler <strong>Gesellschaftsvertrag</strong> 7.2<br />

realistische Empfehlungen des höchsten Ambitionsniveaus<br />

bei allen politischen Entscheidungen zu erwägen<br />

und nicht von vorne herein auszuschließen.<br />

Selbst die Einschätzung der <strong>Transformation</strong>swirkung<br />

ist nicht statisch. Empfehlungen mit niedriger<br />

<strong>Transformation</strong>swirkung ersch<strong>eine</strong>n zunächst als wenig<br />

attraktive, weil kaum wirksame Maßnahmen, dennoch<br />

können sich manche dieser Maßnahmen als wichtige<br />

Türöffner erweisen und damit <strong>eine</strong> unerwartet große<br />

Breitenwirkung erreichen.<br />

7.2<br />

Ein neuer globaler <strong>Gesellschaftsvertrag</strong><br />

Die in Kapitel 3 als „Geschäftsgrundlage“ der Industriellen<br />

Revolution beschriebene Konstellation kann<br />

man auch als Interaktion von Unternehmern, Ingenieuren<br />

und Bankiers mit <strong>eine</strong>r aufgeschlossen-fortschrittlichen<br />

Verwaltung und <strong>eine</strong>m selbstbewussten Bürgertum<br />

beschreiben. Zusammen streiften sie feudale Fesseln<br />

und religiöse Dogmen ab und sicherten in <strong>eine</strong>m<br />

ungeschriebenen <strong>Gesellschaftsvertrag</strong> die „lose Kopplung“<br />

der dadurch autonom gewordenen Teilsysteme<br />

von Staat/Politik, Wirtschaft/Technik und bürgerlicher<br />

Gesellschaft zum wechselseitigen Nutzen. Die Idee des<br />

<strong>Gesellschaftsvertrag</strong>s ist aus dem Naturrecht der frühen<br />

Moderne (namentlich von Thomas Hobbes 1651,<br />

John Locke 1690, Jean-Jacques Rousseau 1762 und<br />

Immanuel Kant 1797) entwickelt worden. Sie fragt, wie<br />

<strong>eine</strong> (gedachte) vertraglich begründete Übereinkunft<br />

zwischen Regierenden und Regierten die Ordnung<br />

des Zusammenlebens der Menschen in <strong>eine</strong>m Staatsund<br />

Gesellschaftsverband garantieren kann. Mit dieser<br />

Denkfigur sollte ein anarchischer Naturzustand,<br />

der in s<strong>eine</strong>r extremen Form auf <strong>eine</strong>n (Bürger-)Krieg<br />

aller gegen alle hinauslief, vermieden werden. Zeitgeschichtlicher<br />

Hintergrund waren die Religionskonflikte<br />

und Territorialkonflikte in der Herausbildung der europäischen<br />

Staatenordnung.<br />

Die Konstruktion war folgende: Freie und gleiche<br />

Individuen treten gegenüber <strong>eine</strong>r Regierung ihre<br />

Rechte ab, und eben dieser Verzicht legt dem Staat<br />

Verpflichtungen zum Schutz s<strong>eine</strong>r Bürger auf, die<br />

diese wiederum in Form von Obligationen (zum Beispiel<br />

Steuern, Wehrdienst, gemeinnützige Arbeit usw.)<br />

beantworten. Der Staat baut damit sein Gewaltmonopol<br />

auf, das die Bürgerschaft mit ihren elementaren Grundrechten<br />

auf Unversehrtheit und individueller Entfaltung<br />

und mit ihrer Eigentumsordnung schützt. Dafür<br />

muss die Bürgerschaft dem Staat die notwendigen Ressourcen<br />

zur Verfügung stellen, über deren Verwendung<br />

wiederum in der Entwicklung parlamentarischer Kontrollrechte<br />

gewählte Repräsentanten der Bürgerschaft<br />

wachten.<br />

Analog zu Rechtsgeschäften verleiht diese vielschichtige<br />

Übereinkunft zu gegenseitigem Nutzen der<br />

Herrschaftsorganisation insofern Legitimität, als sie<br />

idealerweise die Zustimmung aller Betroffenen findet.<br />

Die Figur des Vertrags zielt nicht auf die Beschreibung<br />

oder Festlegung wirklicher Abläufe ab, sie ist aber <strong>eine</strong><br />

wirksame Norm zur Begründung des modernen Staates,<br />

der nicht mehr durch Gott (oder die Natur) gestiftet<br />

ist, sondern durch souveräne Menschen, die – nur<br />

scheinbar paradox – aus freien Stücken auf natürliche<br />

Freiheiten und die Verwirklichung egoistischer Bedürfnisse<br />

verzichten.<br />

In der klassischen Naturrechtslehre unterscheidet<br />

sich die Ausgestaltung des <strong>Gesellschaftsvertrag</strong>s – die<br />

Bestimmung der notwendigen Rechte und Pflichten<br />

der Bürger sowie der Aufbau des Staates – bei s<strong>eine</strong>n<br />

Autoren stark. Während Hobbes den Staat als <strong>eine</strong>n mit<br />

absoluter Macht ausgestatteten „Leviathan“ beschrieben<br />

hat, begründet Locke, warum die Macht der<br />

Staatsgewalt eingeschränkt sein sollte. Grundlage hierfür<br />

sind unterschiedliche anthropologische Annahmen<br />

der jeweiligen Vertragstheoretiker über den Zustand<br />

des Menschen im sogenannten Naturzustand. Hobbes<br />

ging davon aus, dass den Menschen Wettstreben, Misstrauen<br />

und Ruhmsucht auszeichnen und dies im Naturzustand<br />

tendenziell zu <strong>eine</strong>m „Krieg aller gegen alle“<br />

führe, in dem „der Mensch dem Menschen ein Wolf<br />

ist“. Locke dagegen sah den Menschen als vernunftbestimmt<br />

und aus eigener Erkenntnis grundsätzlich<br />

zum friedlichen Miteinander fähig. Analog hierzu orientieren<br />

sich auch die hier angestellten Überlegungen<br />

zur Reformulierung des <strong>Gesellschaftsvertrag</strong>s an <strong>eine</strong>m<br />

konkreten Menschenbild und der Frage, ob man den<br />

Menschen zutraut, als vernunftbegabte Wesen die sich<br />

aus der Krise des Erdsystems ergebenden Konsequenzen<br />

zu ziehen.<br />

Gesellschaft, Politik und Wirtschaft haben sich<br />

erheblich weiter entwickelt und ausdifferenziert. Eine<br />

Neuauflage des <strong>Gesellschaftsvertrag</strong>es steht damit im<br />

Wesentlichen vor vier Herausforderungen:<br />

1. Der nationale Territorialstaat kann aufgrund der<br />

fortschreitenden wirtschaftlichen und kulturellen<br />

Globalisierung nicht länger als alleinige Grundlage<br />

des Vertragsverhältnisses angenommen werden;<br />

s<strong>eine</strong> Bewohner müssen globale Risiken und Naturgefahren<br />

sowie die legitimen Interessen Dritter,<br />

nämlich anderer Mitglieder der Weltgesellschaft,<br />

verantwortlich einbeziehen.<br />

2. Die herkömmliche Vertragslehre ging von der<br />

Fiktion völliger Gleichheit aller Gesellschaftsmitglieder<br />

aus; angesichts der ungleichen Verteilung<br />

von Ressourcen und Fähigkeiten in der heutigen<br />

Weltgesellschaft müssen Ungleichheiten global<br />

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