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Gesellschaftsvertrag für eine Große Transformation - Erfolgsfaktoren ...

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8 Die Wissenschaft im <strong>Transformation</strong>sprozess – Empfehlungen für Forschung<br />

Kasten 8.1-1<br />

Illustration komplexer kausaler Verbindungen am<br />

Beispiel der Industriellen Revolution<br />

Das „Kausalgeflecht“ zündender Innovationen<br />

Ziel der <strong>Transformation</strong>sforschung sollte es u. a. sein, aus historischen<br />

Analysen die Stellschrauben und Schlüsselfaktoren<br />

für sich beschleunigende und selbst verstärkende Innovationsprozesse<br />

zu identifizieren, um diese für zukünftige Entwicklungen<br />

nutzbar zu machen.<br />

Solche Beschleunigungsprozesse lassen sich am Beispiel<br />

der Industriellen Revolution illustrieren (Kasten 3.2-1). Unter<br />

geeigneten Rahmenbedingungen, wie sie in Kasten 3.6-1<br />

beschrieben wurden, entstanden Innovationen, die als die<br />

wichtigsten Treiber der Industriellen Revolution auszumachen<br />

sind. Abbildung 8.1-1 illustriert, stark vereinfacht,<br />

Schlüsseltechnologien, die zur Industriellen Revolution führten,<br />

eingebettet in ein Netzwerk der wesentlichen Einflussgrößen<br />

ihrer Beschleunigung.<br />

Zu lesen ist die Skizze startend bei „Textilmaschinen“<br />

folgendermaßen: Mit der Mechanisierung des Webstuhls,<br />

die in mehreren Etappen aufeinander aufbauender Innovationen,<br />

teilweise angestoßen durch ausgeschriebene Preisgelder,<br />

erfolgt war, konnte mit der Entwicklung <strong>eine</strong>r durch<br />

Wasser angetriebenen Spinnmaschine („Waterframe“) 1772<br />

erstmals menschliche oder tierische Arbeit durch Wasserkraft<br />

ersetzt werden. Die resultierende höhere Produktivität im<br />

Textilsektor trug zur Deckung der gestiegenen Nachfrage im<br />

Bekleidungssektor bei. Gleichzeitig bewirkte sie <strong>eine</strong> erhöhte<br />

Nachfrage nach Baumwolle. Dank der ausgeprägten Schifffahrt,<br />

dem Handel mit Übersee und der Sklaverei konnte der<br />

gestiegene Bedarf aus den Kolonien gedeckt werden.<br />

Der Ausbau der Schiffsflotte hatte – neben dem Bedarf<br />

an Feuerholz – allerdings dazu geführt, dass Holz als Ressource<br />

knapp geworden war. Kohle wurde als Alternative<br />

bereits eingesetzt. Ihr Abbau erwies sich jedoch als schwierig,<br />

nicht zuletzt weil die Gruben bei Erreichen der Grundwasserlinie<br />

regelmäßig fluteten. Anfänglich wurden die Schächte<br />

durch menschliche und tierische Arbeitskraft trocken gehalten.<br />

Mit der Konstruktion der ersten in größerem Maßstab<br />

verwendbaren Dampfmaschine durch Thomas Newcomen<br />

konnte 1712 die begrenzte Körperkraft schließlich erstmals<br />

durch Dampfkraft substituiert werden. Dampfmaschinen<br />

wurden in unmittelbarer Nähe der Abbaugebiete errichtet<br />

und mit der vor Ort verfügbaren Ressource Kohle betrieben.<br />

So war <strong>eine</strong> positive Rückkopplung entstanden und der<br />

Kohleabbau wurde lukrativer (Sieferle et al., 2006). Jedoch<br />

war der Wirkungsgrad der Newcomen´schen Dampfmaschine<br />

mit <strong>eine</strong>m Wert von 0,5 % stark begrenzt, was anschließend<br />

durch James Watt erheblich verbessert wurde. Dessen Partner,<br />

Matthew Boulton, hatte das Potenzial <strong>eine</strong>s alternativen<br />

Antriebs angesichts der mittlerweile hohen Verbreitung von<br />

mit Menschen- oder Wasserkraft angetriebenen Webstühlen<br />

erkannt und investierte erheblich in die Entwicklung der<br />

Dampfmaschine.<br />

Um 1785 schließlich gelang es dem Engländer Edmond<br />

Cartwright, die erste automatische Textilmaschine zu konstruieren,<br />

die durch Dampfkraft angetrieben war. Mit dem<br />

Wechsel der Energiebasis von Wasserkraft zu Kohle war nun<br />

erstmalig <strong>eine</strong> Kleidungsproduktion in industrieller Größenordnung<br />

möglich und <strong>eine</strong> rapide Beschleunigung bereits<br />

existierender Prozesse setzte ein. Eine wachsende Nachfrage<br />

nach Dampfmaschinen ließ auch die Nachfrage nach Eisenerz<br />

und Kohle steigen, wobei die Nachfrage nach letzterer<br />

zusätzlich verstärkt wurde, da sie nunmehr auch in der Eisenverhüttung<br />

das Holz ersetzte. Die Erfindung der Eisenbahn<br />

im frühen 19. Jahrhundert brachte den Stein endgültig ins<br />

Rollen: Die Nachfrage nach Ressourcen stieg ebenso an wie<br />

die Verbreitungsmöglichkeiten sowohl der Textilprodukte als<br />

auch der Kohle und schloss somit <strong>eine</strong> sich stets weiter selbst<br />

verstärkende Schleife einzelner Schlüsselfaktoren.<br />

Die obige Skizze ist weder erschöpfend noch wird sie<br />

der Komplexität des Gesamtbildes gerecht. Jede Entwicklung<br />

hatte soziale Implikationen und baute auf bestimmten<br />

sozialen und politischen Bedingungen auf, welche in diesem<br />

kurzen Abriss k<strong>eine</strong> Erwähnung finden können. Dennoch soll<br />

dieser Exkurs <strong>eine</strong>n kursorischen Eindruck für die Notwen-<br />

Ermöglichung<br />

Nachfrage / Verbrauch<br />

Antrieb<br />

Kleidung<br />

Abbildung 8.1-1<br />

Illustration zu den treibenden,<br />

interdependenten Faktoren der<br />

Beschleunigung der Industriellen<br />

Revolution.<br />

Quelle: WBGU<br />

Verhüttung<br />

Eisenbahn<br />

Holz<br />

~1785<br />

Textilmaschinen<br />

Dampfmaschine<br />

Wasserkraft<br />

Eisenerz<br />

Kohle<br />

Baumwolle<br />

Hausbrand<br />

(Brennstoff)<br />

Landwirtschaft<br />

Schifffahrt<br />

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