Gesellschaftsvertrag für eine GroÃe Transformation - Erfolgsfaktoren ...
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5 Gestaltung der <strong>Transformation</strong><br />
236<br />
5.4.4<br />
Global Governance durch internationale<br />
Kooperation<br />
Obwohl viele für die <strong>Transformation</strong> zu <strong>eine</strong>r klimaverträglichen<br />
Welt elementare Handlungsfelder, wie<br />
der Umbau der Energiesysteme oder Fragen der Städteplanung<br />
und der Landnutzung, vordergründig vor<br />
allem lokaler und nationaler Antworten bedürfen, ist<br />
<strong>eine</strong> erfolgreiche <strong>Transformation</strong> ohne genuin globales<br />
Handeln kaum vorstellbar. Ein hohes Niveau an internationaler<br />
Kooperation und globaler Gestaltung wird<br />
dadurch zu <strong>eine</strong>r wichtigen Erfolgsbedingung der vom<br />
WBGU propagierten <strong>Transformation</strong>. Ohne <strong>eine</strong> enge<br />
Abstimmung und Koordination der internationalen<br />
Politik in den für die <strong>Transformation</strong> unverzichtbaren<br />
Politikfeldern wird die erforderliche Trendumkehr der<br />
globalen Entwicklungsdynamik nicht möglich sein.<br />
Die komplexen Herausforderungen des Klimawandels,<br />
der eng gewordenen planetarische Leitplanken<br />
des fossilen Zeitalters und der multipolaren Neuordnung<br />
der Staatenwelt sch<strong>eine</strong>n jedoch mit den etablierten<br />
Mitteln multilateraler Politik praktisch kaum zu<br />
bewältigen zu sein. Angesichts des Schneckentempos<br />
der Welthandelsrunde, der Stagnation der internationalen<br />
Klimaverhandlungen oder der neuartigen Aktivitäten<br />
der G20 wird vielerorts <strong>eine</strong> Krise des Multilateralismus<br />
beklagt, wenn nicht gleich sein Ende postuliert<br />
wird (Kap. 5.3.5). Gleichzeitig bleibt transnationale<br />
Zusammenarbeit zur Bearbeitung globaler Probleme<br />
unabdingbar, weswegen nicht zuletzt der WBGU bereits<br />
<strong>eine</strong> „internationale Kooperationsrevolution“ gefordert<br />
hat (WBGU, 2009b, 2010). So sollten etwa, um nur ein<br />
konkretes Beispiel zu nennen, im Kontext der Klimarahmenkonvention<br />
UNFCCC am Mehrheitsprinzip ausgerichtete<br />
Entscheidungsprozesse ermöglicht werden,<br />
um lähmende Konsensfindung auf dem Niveau kleinster<br />
Nenner zu überwinden (WBGU, 2010).<br />
Eine transformative Kooperationsrevolution im<br />
Sinne wirksamer und legitimer Global Governance<br />
muss dabei breiter angelegt sein und tiefer greifen als<br />
nur das etablierte Konsensprinzip multilateraler Aushandlungsprozesse<br />
zu überwinden. Das International<br />
Human Dimensions Programme on Global Environmental<br />
Change postuliert <strong>eine</strong>n Bedarf nach „Earth<br />
System Governance“, die gebräuchliche Global-Governance-Vorstellungen<br />
weiterentwickelt und unter dezidierter<br />
Berücksichtigung des globalen Umweltwandels<br />
transzendiert (Biermann, 2007, 2008). Dessen ungeachtet<br />
bleibt im gegebenen internationalen System<br />
schwer vorstellbar, dass ein dazu erforderliches Maß an<br />
universaler Kooperation außerhalb des etablierten Institutionengefüges<br />
des Völkerrechts und der Vereinten<br />
Nationen erreicht werden kann (Kap. 5.3.5).<br />
Daraus folgt nicht, dass die Vereinten Nationen zu<br />
<strong>eine</strong>r globalen Superregierung ausgestaltet werden sollen,<br />
die der Welt souveräner Nationalstaaten hierarchisch<br />
übergeordnet wäre. Als multilaterale Handlungsplattform,<br />
die internationale Organisationen und transnationale<br />
zivilgesellschaftliche wie privatwirtschaftliche<br />
Akteure vernetzt, die Komplexität weltpolitischer<br />
und regionaler Prozesse auf globaler Ebene reduziert<br />
und so die Rahmenbedingungen für zwischenstaatliche<br />
Kooperation verbessert, bleiben sie jedoch unverzichtbar.<br />
Daraus erwächst nicht automatisch <strong>eine</strong> integrierte<br />
multilaterale Weltordnung, aber es existiert ein Fundament,<br />
auf dem die Weltgesellschaft den Anspruch globalen<br />
Regierens legitim verfolgen kann.<br />
In diesem Rahmen sind auch <strong>eine</strong> Reihe zum Teil<br />
widersprüchlicher Mythen über das Wesen des Multilateralismus<br />
zu entkräften, die <strong>eine</strong>r Kooperationsrevolution<br />
bislang im Wege stehen. So wird Multilateralismus<br />
im Vergleich zu unilateraler Außenpolitik und<br />
bilateraler Zusammenarbeit, häufig als „weicher“ Weg<br />
beschrieben, zu dem sich Staaten nur in guten Zeiten<br />
und angesichts „leichter“ Koordinations- und Kooperationsprobleme<br />
bekennen. Nicht erst der Klimawandel<br />
zeigt jedoch, dass die bereits in den 1970er Jahren<br />
festgestellten globalen Interdependenzen real sind<br />
und die Abgrenzung zwischen „high politics“ und<br />
„low politics“ zunehmend artifiziell ersch<strong>eine</strong>n lassen<br />
(Held et al., 1999; Keohane und Nye, 2001; WBGU,<br />
2008). Ein weiterer Mythos besteht darin anzunehmen,<br />
dass Multilateralismus „Leadership“ in der Bearbeitung<br />
globaler Probleme quasi ersetzen könne, weil<br />
der Problemdruck dabei auf vielen Schultern verteilt<br />
werde. Diese verkürzte Sicht internationaler Kooperation<br />
verkennt, dass multilaterale Politik vor allem<br />
dann Wirksamkeit entfaltet, wenn es unter den kooperierenden<br />
Partnern <strong>eine</strong>n oder mehrere handlungsmächtige<br />
Anführer gibt, die sich ernsthaft der Lösung<br />
des betreffenden Problems verschrieben haben (Lake,<br />
1993; Underdal, 1998; Brzezinski, 2004; Lindenthal,<br />
2009). Ein dritter Mythos, der häufig gegen das Eingehen<br />
multilateraler Verpflichtungen ins Feld geführt<br />
wird, ist die Befürchtung, zu viel Souveränität aufzugeben<br />
und dadurch der Entstehung entscheidungsmächtiger<br />
supranationaler Bürokratien ohne demokratische<br />
Legitimation Vorschub zu leisten – „institutional Frankensteins<br />
terrorizing the global countryside“ (Hawkins<br />
et al., 2006). Dem steht aller Autonomiebestrebungen<br />
und rational-legaler Autorität internationaler Organisationen<br />
zum Trotz ultimativ die nationale Souveränität<br />
ihrer Mitgliedstaaten entgegen, deren Interessenkonflikte<br />
in der Praxis eher moderiert als übergangen werden<br />
(Barnett und Finnemore, 2004; Vaubel, 2006; Biermann<br />
und Siebenhüner, 2009).