Gesellschaftsvertrag für eine GroÃe Transformation - Erfolgsfaktoren ...
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Neue Staatlichkeit im Mehrebenensystem 5.4<br />
Mehr noch als der Entkräftung solcher kooperationshemmender<br />
Mythen bedarf es <strong>eine</strong>r fortgesetzten<br />
Aufklärung über die globalen Systemrisiken, denen<br />
sich die Weltgesellschaft angesichts der ökologischen,<br />
technologischen und sozioökonomischen Megatrends<br />
ausgesetzt sieht (Kap. 1; Beck, 2007; Messner et al.,<br />
2009). Zwar ist das grundsätzliche Problembewusstsein<br />
speziell für die ökologischen Risiken seit den Anfängen<br />
der „grünen Bewegung“ in den 1970er Jahren weltweit<br />
kontinuierlich gestiegen und durch den klimapolitischen<br />
Diskurs der vergangenen Jahre verstärkt<br />
worden (Kap. 2; Sommer, 2011). Das Bewusstsein,<br />
mit der heute manifesten Verschränkung von technologisch-ökonomischem<br />
Wandel womöglich an <strong>eine</strong>r<br />
ähnlichen Zivilisationsschwelle zu stehen wie zu Zeiten<br />
der Industriellen Revolution und die daraus resultierenden<br />
Erfordernisse politischer <strong>Transformation</strong> ist<br />
aber noch k<strong>eine</strong>swegs erreicht (Kap. 3). Die Parallelität<br />
rasanter technischer und gesellschaftlicher Innovationen<br />
in transformationsfreundlichen Nischen und <strong>eine</strong>s<br />
konventionellen, dem fossilen Zeitalter und <strong>eine</strong>r Logik<br />
beständigen Wachstums verschriebenen Gesellschaft<br />
zeugt davon (Kap. 3). Es ist anzunehmen, dass die<br />
Übersetzung der „world of possibilities“ in <strong>eine</strong> „world<br />
of necessity“ auch daran hakt (Ostrom, 2003).<br />
Dies soll nicht suggerieren, dass die globale <strong>Transformation</strong><br />
<strong>eine</strong> vor allem technokratische Herausforderung<br />
darstellt, deren Umsetzung allein durch machtpolitische<br />
und finanzielle Kraftanstrengungen erreicht<br />
werden könnte (Messner, 2011). Sie ist im Gegenteil<br />
<strong>eine</strong> zutiefst gesellschaftliche Herausforderung. Diese<br />
erfordert von politischen wie wirtschaftlichen Entscheidungsträgern<br />
langfristig orientiertes Handeln auf<br />
der Grundlage wissenschaftlich fundierter Erkenntnisse,<br />
d. h. nicht erst in Reaktion auf bereits eingetretene<br />
Ereignisse wie die globale Finanzmarktkrise<br />
von 2007 bis 2009 oder den japanischen Super-GAU<br />
in Fukushima von 2011. Dies impliziert tief greifende<br />
soziale Innovationen, die an den vorherrschenden<br />
„mental maps“ in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft<br />
ansetzen (Leggewie und Welzer, 2009; Messner, 2011).<br />
Eine internationale Politik, die an der <strong>Transformation</strong><br />
und insbesondere der Vermeidung <strong>eine</strong>s ungebremsten<br />
Klimawandels scheitert, würde ohnehin zu <strong>eine</strong>m radikalen<br />
Wandel der Weltwirtschaft und mit ihr der Weltpolitik<br />
führen – die Weltgesellschaft ist also ohnehin<br />
mit globalen Umwälzungen konfrontiert (WBGU, 2008;<br />
Leggewie und Welzer, 2009; Messner und Rahmstorf,<br />
2009).<br />
Halten die Protagonisten der Weltpolitik dennoch<br />
primär an <strong>eine</strong>r machtvollen Durchsetzung unilateraler<br />
Interessen fest, wird die globale <strong>Transformation</strong> insgesamt<br />
scheitern und nicht nur ein ungebremst fortschreitender<br />
Klimawandel <strong>eine</strong> vertrauensvolle internationale<br />
Zusammenarbeit weiter erschweren (Abb. 5.3-1).<br />
Eine dann wahrscheinlicher werdende sicherheitspolitische<br />
Vereinnahmung globalen Umweltwandels würde<br />
an den zugrunde liegenden Problemen vorbeiführen.<br />
Umgekehrt könnte <strong>eine</strong> umfassende und glaubwürdige<br />
internationale Politik der Dekarbonisierung nicht<br />
zuletzt im Sinne vertrauensbildender Maßnahmen zwischen<br />
den großen Mächten wirken und in den kommenden<br />
Jahren und Jahrzehnten zu <strong>eine</strong>m wesentlichen<br />
Pfeiler <strong>eine</strong>s runderneuerten Multilateralismus<br />
werden (Bauer, 2009). Die Dekarbonisierung der Welt<br />
würde praktisch zur Abrüstungspolitik der Zukunft<br />
(Abb. 5.3-1).<br />
Um entgegen der widrigen weltpolitischen Umstände<br />
Fortschritte in Richtung <strong>eine</strong>r globalen Kooperationsrevolution<br />
zu erreichen, sind nach Ansicht des WBGU<br />
vier Ansatzpunkte zentral: die Überwindung des sich<br />
abzeichnenden Machtvakuums in den internationalen<br />
Beziehungen (Kap. 5.4.4.1), die Setzung transformationsfreundlicher<br />
Prioritäten auf höchster politischer<br />
Ebene (Kap. 5.4.4.2), die Annäherung an das<br />
übergeordnete Ziel globaler Gerechtigkeit durch Schaffung<br />
von Glaubwürdigkeit, speziell seitens der reichen<br />
Industrieländer (Kap. 5.4.4.3) und <strong>eine</strong> Runderneuerung<br />
des institutionellen Rahmens multilateraler Politikprozesse<br />
(Kap. 5.4.4.4).<br />
5.4.4.1<br />
Internationales Machtvakuum managen<br />
Das mit dem Trend zur multipolaren Neuordnung der<br />
Weltpolitik einhergehende internationale Machtvakuum<br />
und die davon ausgehenden Handlungsblockaden<br />
zwischenstaatlicher Kooperation müssen überwunden<br />
werden (Kap. 5.3.5). Geopolitische Allianzen<br />
gepaart mit starker politischer Führerschaft können<br />
hierbei den Weg weisen, um sich in Richtung<br />
des weltpolitischen Quadranten kooperativer Global<br />
Governance in <strong>eine</strong>r dekarbonisierten Weltwirtschaft<br />
zu bewegen (Abb. 5.3-1).<br />
Nach Auffassung des WBGU bietet sich dazu <strong>eine</strong><br />
strategische Geopolitik an, die sich z. B. dezidiert der<br />
Klimapolitik als wegweisendem Vehikel zur Vertrauensbildung<br />
zwischen den Weltmächten und zur<br />
konstruktiven Bearbeitung globaler Interdependenz<br />
bedient (WBGU 2009b, 2010; Bauer, 2009; Messner,<br />
2010). Subglobale Allianzen, die im Sinne privilegierter<br />
geopolitischer Partnerschaften wirkungsmächtigen<br />
Pioniergeist in einschlägigen Politikbereichen – etwa<br />
der Waldpolitik oder dem Emissionshandel – beweisen,<br />
könnten zu selbstbewussten Motoren <strong>eine</strong>s anspruchsvollen<br />
kooperativen Multilateralismus werden. Getreu<br />
dem Vorbild der sechs Kernländer der Europäischen<br />
Gemeinschaften könnten solche Allianzen sukzessive<br />
ausgeweitet werden (Messner, 2010; WBGU, 2010).<br />
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