Gesellschaftsvertrag für eine GroÃe Transformation - Erfolgsfaktoren ...
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6 Akteure der <strong>Transformation</strong>: Wie sich Innovationen (rascher) ausbreiten können<br />
274<br />
Potenziale zur Politisierung des Konsums unter Einbindung<br />
von Verbraucherverbänden heraus. Besondere<br />
Bedeutung wird in diesem Zusammenhang der<br />
wachsenden Gruppe sogenannter „strategischer<br />
Konsumenten“ zugesprochen, die nicht nur ökologisch<br />
bzw. klimabewusst einkaufen, sich ernähren<br />
und fortbewegen, bauen und heizen, sondern durch<br />
ihr Verhalten auch Konsummuster in Frage stellen<br />
und sie unter Nachhaltigkeitsgesichtspunkten verändern<br />
(Lamla und Neckel, 2006).<br />
Tatsächlich ist festzustellen, dass sich seit einigen Jahren<br />
<strong>eine</strong> wachsende Anzahl von Verbrauchern für die<br />
sozialen und ökologischen Herstellungsbedingungen<br />
der von ihnen konsumierten Produkte interessiert.<br />
Ökologisch hergestellte oder fair gehandelte Produkte<br />
verzeichnen starke Wachstumsraten. Insbesondere in<br />
den sogenannten gesellschaftlichen Leitmilieus ist <strong>eine</strong><br />
wachsende Bereitschaft zu erkennen, auch bei höheren<br />
Preisen ökologische Produkte zu kaufen. Innerhalb der<br />
sogenannten Sinus-Milieus (der Name orientiert sich<br />
am Urheber, der Sinus-Sociovision GmbH) liegen bei<br />
den meisten Fragen zu umweltschonendem Einkaufsverhalten<br />
– wie die Bevorzugung energieeffizienter<br />
und langlebiger Geräte, der Kauf regionaler Produkte<br />
und die Berücksichtigung des Umweltzeichens „Blauer<br />
Engel“ – die Milieus der Oberschicht und oberen Mittelschicht<br />
deutlich über dem deutschen Bevölkerungsdurchschnitt<br />
(Wipperman et al., 2009).<br />
Auch nach Herstellerangaben ist der europäische<br />
Markt für Bioprodukte in den vergangenen Jahren<br />
mehrfach im zweistelligen Bereich gewachsen und der<br />
Umsatz lag im Jahr 2009 bei fast 18 Mrd. € (BÖLW,<br />
2010). Davon entfallen rund 5,8 Mrd. € Jahresumsatz<br />
auf Deutschland; im Jahr 2000 waren es noch<br />
2,1 Mrd. €. Ähnlich dynamisch wuchs in den vergangenen<br />
Jahren der Markt für fair gehandelte Produkte<br />
(Krier, 2008). Das Marktpotenzial der sogenannten<br />
LOHAS, womit die Konsumentengruppe gemeint ist,<br />
die <strong>eine</strong>n „Lifestyle of Health and Sustainability“ verfolgt,<br />
wurde von der Marktforschung für das Jahr 2004<br />
allein in Deutschland auf über 200 Mrd. US-$ geschätzt<br />
(Kreeb et al., 2008).<br />
Diese Veränderung des Konsumverhaltens vollzieht<br />
sich vor allem auf der Grundlage <strong>eine</strong>s Wandels kultureller<br />
Normen (Kap. 2), infolgedessen Nachhaltigkeit<br />
zunehmend zum neuen Leitbild <strong>eine</strong>r zukunftsfähigen<br />
Gesellschaft wird. Der Konsum von Gütern ist nicht<br />
mehr nur durch r<strong>eine</strong> Nutzenerwägungen bestimmt,<br />
sondern auch durch <strong>eine</strong>n „moralischen Mehrwert“,<br />
der in der Summe einzelner Konsumentscheidungen<br />
<strong>eine</strong>n nachhaltigen Wandel anstoßen kann. Doch über<br />
diesen r<strong>eine</strong>n Ergebnisnutzen durch die Mitwirkung an<br />
<strong>eine</strong>m breiteren bürgergesellschaftlichen Projekt hinaus<br />
kommt ein zusätzlicher Prozessnutzen hinzu: das<br />
(Selbst-)Bewusstsein, etwas Nützliches und Gutes für<br />
die Um- und Nachwelt zu tun und dafür von anderen<br />
anerkannt zu werden (Frey und Stutzer, 2002). Dann<br />
bekommt die individuelle „rationale Wahl“ <strong>eine</strong>n Aspekt<br />
kollektiver Identität und Intervention. Solche moralisch<br />
bedingten Metapräferenzen können so stark sein, dass<br />
sie sich gegenüber Kostenaspekten durchsetzen: „Wer<br />
fair gehandelten Kaffee oder kompostierbare T-Shirts<br />
kauft, erwirbt zugleich ein Stück ethischer Qualität,<br />
die nicht in der Nutzenfunktion der Produkte aufgeht,<br />
sondern dazu beiträgt, Waren und Dienstleistungen auf<br />
ihren gesellschaftlichen Wert zu befragen.“ (Heidbrink<br />
und Schmidt, 2009). Als Resultat dieser Entwicklung<br />
wächst der Druck auf Unternehmen und Produzenten:<br />
Protestaktionen und öffentlichkeitswirksame Aktionen<br />
wie die Kampagne für saubere Kleidung, welche<br />
soziale Missstände bei Zulieferbetrieben in Lateinamerika<br />
und Asien thematisiert, haben in den vergangenen<br />
Jahren dazu geführt, dass sich <strong>eine</strong> wachsende Anzahl<br />
von Herstellern mit der Einhaltung sozialer und ökologischer<br />
Standards bei den Zulieferern auseinandersetzt.<br />
Ein Wertewandel bei den Konsumenten hat zur Folge,<br />
dass sich auch die Produzenten mit den gesellschaftlichen<br />
Folgen ihrer Geschäftsstrategien auseinander setzen<br />
müssen. So stellen Güter und Dienstleistungen, „die<br />
über <strong>eine</strong>n moralischen Mehrwert verfügen“ (Heidbrink<br />
und Schmidt, 2009), <strong>eine</strong>n wichtigen Marktfaktor<br />
dar und <strong>eine</strong> wachsende Anzahl von Unternehmen<br />
hat in den vergangenen Jahren begonnen, ihre Produktion<br />
und Angebote entsprechend zu modifizieren (Centrum<br />
für Corporate Citizenship, 2007). Als „virtuelle<br />
Heimat“ des nachhaltigen und strategischen Konsums<br />
kann in Deutschland die Internetplattform „Utopia“<br />
gelten, die nach eigenen Angaben im Moment mehr als<br />
2 Mio. Nutzer jährlich sowie 70.000 registrierte Mitglieder<br />
zählt (Langer, 2011). Auf Utopia.de finden sich<br />
Hinweise zum klimafreundlichen Konsum, es werden<br />
Produkte vorgestellt und bewertet, oder in Beiträgen<br />
und Blogs wird über klimapolitische Themen berichtet.<br />
Zudem haben die Nutzer die Möglichkeit, sich zu<br />
vernetzen und auszutauschen. Eine Stiftung zeichnet<br />
jährlich Vorbilder, Ideen, Produkte, Unternehmen und<br />
Organisationen, aber auch „Verhinderer“ aus. Auf internationaler<br />
Ebene nimmt das Good Magazine <strong>eine</strong> ähnliche<br />
Funktion ein. Das Magazin, das im Jahr 2006 in den<br />
USA gegründet wurde und über <strong>eine</strong> Auflage von ca.<br />
25.000 Exemplaren verfügt, berichtet vierteljährlich<br />
über einzelne Akteure und Unternehmen, die sich in<br />
den Bereichen Umwelt, Stadtplanung, Ernährung oder<br />
Gesundheit für Verbesserungen einsetzen.<br />
Gleichwohl stehen der wachsenden Bereitschaft von<br />
Verbrauchern zum nachhaltigen Konsum Widerstände<br />
und Barrieren entgegen: neben fehlenden materiellen<br />
Voraussetzungen bestimmter Konsumenten sind dies