20.01.2015 Aufrufe

Gesellschaftsvertrag für eine Große Transformation - Erfolgsfaktoren ...

Gesellschaftsvertrag für eine Große Transformation - Erfolgsfaktoren ...

Gesellschaftsvertrag für eine Große Transformation - Erfolgsfaktoren ...

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Hindernisse und Blockaden für die <strong>Transformation</strong>: It’s politics, stupid! 5.3<br />

Leistungsfähigkeit von Demokratien<br />

Derzeit hat die Demokratie diese Zukunftsfähigkeit<br />

noch k<strong>eine</strong>swegs unter Beweis gestellt (Kasten 5.3-1).<br />

Zeitdruck und Komplexität der <strong>Transformation</strong> werfen<br />

deshalb die Frage nach der Funktionsfähigkeit und<br />

Tauglichkeit demokratischer Systeme auf. Die Qualität<br />

und Leistungsfähigkeit von Demokratien wird üblicherweise<br />

gemessen an ihrem Input, also an der effektiven<br />

Beteiligung der Bürger sowie die Bereitschaft der Politik,<br />

auf die Interessen und Wünsche der Bürger einzugehen,<br />

und an ihrem Output, d. h. der politischen Leistungsfähigkeit<br />

in Gestalt effektiven und effizienten<br />

Handelns der Exekutive (Brusis, 2008). Die Maßnahmen<br />

<strong>eine</strong>r Politik der <strong>Transformation</strong> setzen temporal<br />

wie räumlich die Normalform demokratischen Regierens<br />

unter Druck. Demokratische Verfahren benötigen<br />

in der Regel Zeit, da sie vielfältige Interessen berücksichtigen;<br />

zudem sind sie normalerweise an der kurzfristigen<br />

Erreichung von Politikzielen orientiert, so<br />

dass die Bearbeitung und Lösung von Langfristproblemen<br />

erschwert wird (Kap. 5.3.1.1). Langsamkeit<br />

ist allerdings k<strong>eine</strong> inhärente Eigenschaft demokratischer<br />

Systeme und Institutionen. Wie der Umgang<br />

mit der Finanz- und Wirtschaftskrise im Herbst 2008<br />

zeigt, sind Demokratien durchaus in der Lage, schnell<br />

auf finanzielle und wirtschaftliche Krisensituationen zu<br />

reagieren und weitreichende Reformentscheidungen zu<br />

treffen. Unter dem Druck der Finanz- und Wirtschaftskrise<br />

wurden in kürzester Zeit milliardenschwere<br />

Bankenrettungsschirme und Konjunkturpakete verabschiedet<br />

(Meyer-Ohlendorf et al., 2009). Das deutsche<br />

Finanzmarktstabilisierungsgesetz (FMStG) und die Einrichtung<br />

<strong>eine</strong>s Fonds in Höhe von 480 Mrd. € wurden<br />

in <strong>eine</strong>m Eilverfahren innerhalb <strong>eine</strong>r Woche von Bundestag<br />

und Bundesrat beschlossen sowie vom Bundespräsidenten<br />

unterschrieben (BMF, 2008). Sind die notwendigen<br />

gesetzgeberischen Koalitionen vorhanden,<br />

sind weit reichende Reformentscheidungen in demokratischen<br />

Systemen auch sehr kurzfristig möglich.<br />

Im Bereich der <strong>Transformation</strong>spolitik zeichnen<br />

sich trotz des Wissens um die gravierenden Folgen<br />

der Erderwärmung solche übergreifenden Koalitionen<br />

und raschen Entscheidungsprozesse nicht ab. Dies<br />

nährt die erwähnte Demokratieskepsis und den Glauben<br />

an <strong>eine</strong> vermeintlich höhere Effizienz autokratischer<br />

oder expertokratischer Systeme (Shearman und<br />

Smith, 2007; Friedman, 2009; Pötter, 2010; Siller,<br />

2010): Wenn auf langwierige parlamentarische Verfahren<br />

und individuelle Rechte k<strong>eine</strong> Rücksicht mehr<br />

genommen werden muss, so heißt es, kann dies staatliches<br />

Handeln erheblich beschleunigen. Deshalb sind<br />

außergewöhnliche Rechtsbefugnisse wie z. B. Notstandsgesetze<br />

zur Bewältigung existenzieller Krisen<br />

auch in Demokratien verbreitet (Nullmeier und Dietz,<br />

2010). Sie stellen <strong>eine</strong> regulierte und zeitlich begrenzte<br />

Kompetenzerweiterung der Exekutive dar. Auch die<br />

Politik des „New Deal“ unter US-Präsident Roosevelt<br />

bediente sich in ihrer Anfangsphase in den 1930er Jahren<br />

<strong>eine</strong>r beispiellosen Ausdehnung der Kompetenzen<br />

der Bundesregierung gegenüber den Einzelstaaten und<br />

in neuen Politikfeldern, um die staatliche Handlungsfähigkeit<br />

auszuweiten (Adams, 2008). Der Einsatz des<br />

Notstandsrechts oder anderweitiger dirigistischer Maßnahmen<br />

zur beschleunigten Umsteuerung kann jedoch<br />

kaum demokratische Legitimation beanspruchen. Die<br />

Anerkennung und Umsetzung der planetarischen Leitplanken<br />

zur Erhaltung der Lebensgrundlagen im politisch-wirtschaftlichen<br />

System kann daher nicht über<br />

autoritäre Ordnungspolitik erfolgen, sondern muss sich<br />

langfristig auf breite öffentliche Zustimmung stützen<br />

(Kap. 5.4.1.2). Der öffentliche Anschein <strong>eine</strong>r nicht<br />

legitimierten Politik kann im Gegenteil den Erfolgsaussichten<br />

<strong>eine</strong>r transformativen Politik enorm schaden<br />

(Nullmeier und Dietz, 2010; Leggewie, 2010).<br />

Hingegen ist die Problemlösungsfähigkeit autoritärer<br />

Systeme bzw. Verfahren im Rahmen der erforderlichen<br />

<strong>Transformation</strong> k<strong>eine</strong>swegs empirisch gesichert<br />

(Kasten 5.3-1). Die Große <strong>Transformation</strong> kann<br />

nur gelingen, wenn die Systeme innovative Lösungen<br />

hervorbringen und sich möglichst viele Akteure aus<br />

allen gesellschaftlichen Bereichen an ihr beteiligen.<br />

Sie ist auf aktive, interessierte und verantwortungsbewusste<br />

Bürger angewiesen. Nur <strong>eine</strong> offene, demokratische<br />

Gesellschaft ist in der Lage, die Art von Kreativität<br />

und Innovation zu entwickeln, die die <strong>Transformation</strong><br />

erfordert. Es geht also nicht darum ob, sondern<br />

wie die <strong>Transformation</strong> demokratisch gelöst wird. Die<br />

Hauptprobleme liegen im Zeitdruck und im grenzüberschreitenden<br />

Charakter der Großen <strong>Transformation</strong>. Da<br />

demokratische Verfahren unweigerlich Zeit konsumieren,<br />

muss unverzüglich mit der politischen Umsteuerung<br />

begonnen werden.<br />

Für die <strong>Transformation</strong> zu <strong>eine</strong>r nachhaltigen Gesellschaft<br />

mangelt es nicht an politischer Programmatik<br />

(policies, Politikfelder), die Probleme liegen im politischen<br />

Prozess (politics, politischer Wettbewerb und<br />

Machtkampf). Es geht nun darum, diese Blockaden, die<br />

den Wandel behindern, in nationalen Systemen und auf<br />

globaler Ebene zu überwinden, politische Verfahren zu<br />

beschleunigen und auf <strong>eine</strong> langfristige Perspektive<br />

auszurichten und gleichzeitig die Legitimationsbasis<br />

der Entscheidungen zu erhöhen (Leggewie, 2010). Die<br />

Große <strong>Transformation</strong> ist deshalb nicht zuletzt ein Test<br />

für die Zukunftsfähigkeit der Demokratie.<br />

205

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!