Migration und Gesundheit - BITV-Test
Migration und Gesundheit - BITV-Test
Migration und Gesundheit - BITV-Test
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
60 <strong>Migration</strong> <strong>und</strong> Ges<strong>und</strong>heit Ges<strong>und</strong>heitliche Lage <strong>und</strong> migrationsspezifische Belastungen<br />
Anteil psychisch Erkrankter bei 30 % bis 40 % liegt<br />
[86, 87, 88].<br />
Die Diagnose PTBS unterstellt ein Abklingen<br />
der Symptome im Zeitverlauf. Es gibt jedoch<br />
Hinweise auf bleibende <strong>und</strong> zunehmende<br />
Beschwerden, die durch fehlende oder unzureichende<br />
Behandlung mit verursacht werden<br />
[89, 90, 91]. Erschwerend <strong>und</strong> die Symptomatik<br />
verstärkend wirken die Trennung von Familienangehörigen,<br />
die Unsicherheit über deren<br />
Schicksal sowie Isolation, Zukunftsunsicherheit<br />
in Bezug auf das Aufenthaltsrecht, fehlender<br />
Zugang zu Arbeit <strong>und</strong> Bildung, Leben in Gemeinschaftsunterkünften<br />
<strong>und</strong> die Erfahrung von<br />
Diskriminierung <strong>und</strong> Fremdenfeindlichkeit im<br />
Asylland [92, 93, 94, 95, 96].<br />
3.4.2 Ges<strong>und</strong>heit bei der Einreise <strong>und</strong> Anpassungsreaktionen<br />
in der Anfangsphase der<br />
<strong>Migration</strong><br />
Die Phase der Ankunft im Zielland ist besonders<br />
für Flüchtlinge, aber auch für andere zugewanderte<br />
Personen mit einem Verlusterlebnis <strong>und</strong> einer<br />
hohen existenziellen Verunsicherung verb<strong>und</strong>en.<br />
Aussagefähige Daten über die Bedingungen, die<br />
eine Adaptation in der ersten Phase nach der Zuwanderung<br />
begünstigen oder erschweren, gibt es<br />
in Deutschland nicht. Auch ist die Bedeutung dieser<br />
Phase für spätere Erkrankungsrisiken unzureichend<br />
untersucht. Medizinische Untersuchungen<br />
bei der Einreise wurden bzw. werden primär mit<br />
dem Ziel durchgeführt, ansteckende Krankheiten<br />
wie z. B. Tuberkulose zu entdecken, um die<br />
einheimische Bevölkerung zu schützen <strong>und</strong> Erkrankte<br />
zu behandeln. Ein Gr<strong>und</strong> hierfür wird in<br />
den erhöhten Erkrankungsrisiken in vielen Herkunftsländern<br />
von (Spät)Aussiedlerinnen/(Spät)<br />
Aussiedlern <strong>und</strong> Asylsuchenden gesehen (siehe<br />
Abschnitt 3.2.1).<br />
Die medizinischen Untersuchungen in den<br />
Herkunftsländern der Arbeitsmigrantinnen <strong>und</strong><br />
Arbeitsmigranten, welche die Anwerbekommissionen<br />
der B<strong>und</strong>esanstalt für Arbeit in den 1950er<strong>und</strong><br />
1960er-Jahren durchführten, waren hingegen<br />
vorrangig als betriebsmedizinische Eignungsuntersuchungen<br />
gedacht. Zudem sollten Personen<br />
mit infektiösen oder parasitären Erkrankungen<br />
von der Rekrutierung ausgeschlossen werden<br />
[97]. Der Erfahrungsbericht der B<strong>und</strong>esanstalt für<br />
Arbeit aus dem Jahr 1962 teilt über die Untersuchungen<br />
der Kommission in der Türkei mit, dass<br />
ein Zehntel der Bewerber aus ges<strong>und</strong>heitlichen<br />
Gründen abgelehnt wurde (zitiert in [97]). Fast<br />
einem Viertel der Ablehnungen (23,6 %) lagen<br />
Röntgenbef<strong>und</strong>e der Lunge zugr<strong>und</strong>e. Die hohe<br />
Zahl der Lungenbef<strong>und</strong>e kann aber nicht allein<br />
auf Tuberkulose zurückgeführt werden, da eine<br />
Aufschlüsselung nach Diagnosen nicht vorliegt.<br />
Weitere Ablehnungsgründe waren Störungen der<br />
Sinnesorgane (19,4 %) oder des Herz-Kreislauf-<br />
Systems (12,8 %) sowie ein »schwächlicher Allgemeinzustand«<br />
(7,6 %) [97]. Nicht alle potenziellen<br />
Arbeitsmigrantinnen <strong>und</strong> Arbeitsmigranten<br />
unterzogen sich allerdings einer Ges<strong>und</strong>heitsuntersuchung.<br />
Zeitweilig reisten zwei Drittel der<br />
italienischen <strong>und</strong> ca. 20 % der türkischen Arbeitnehmer<br />
ohne eine solche Untersuchung ein [97].<br />
<strong>Migration</strong> <strong>und</strong> der damit verb<strong>und</strong>ene Verlust<br />
vertrauter Beziehungen <strong>und</strong> Lebensgewohnheiten<br />
werden auch bei körperlicher Ges<strong>und</strong>heit als psychische<br />
Belastung erlebt. In einer 1977 veröffentlichten<br />
Studie unter 200 männlichen Arbeitern<br />
aus Mittelanatolien wiesen drei Monate nach ihrer<br />
Ankunft 20 % der Befragten depressive Symptome<br />
auf. Nach einem ein- bis zweijährigen Aufenthalt<br />
wurde eine Symptomverschiebung in Richtung<br />
psychosomatischer Symptome, insbesondere Magenbeschwerden<br />
sowie Kopf- <strong>und</strong> Rückenschmerzen,<br />
festgestellt [98]. Eine neuere Befragung von<br />
300 Spätaussiedlerinnen <strong>und</strong> Spätaussiedlern<br />
kommt zu vergleichbaren Ergebnissen. Im Mittel<br />
berichteten sie signifikant mehr körperliche Beschwerden<br />
als eine deutsche Vergleichsgruppe,<br />
wobei insbesondere Kopfschmerzen, Mattigkeit<br />
<strong>und</strong> Erschöpfbarkeit häufiger genannt wurden.<br />
Hingegen zeigten sich keine Unterschiede in Bezug<br />
auf die Häufigkeit von Krankheiten, die zu<br />
einem Arztbesuch führten [99].<br />
3.4.3 Bilanzierungskrisen im mittleren Lebensalter<br />
<strong>und</strong> Rückkehrmigration<br />
Zugewanderte Personen stehen immer wieder<br />
vor der Frage, ob ihre Entscheidung zu migrieren<br />
richtig war <strong>und</strong> wo langfristig ihr Lebensmittelpunkt<br />
sein soll. Sie haben mit der <strong>Migration</strong> einen<br />
Schritt getan, der sie von traditionellen Bindungen